Kardinal Marx über die Zukunft Europas besorgt

"Europamüdigkeit"

Es gebe angesichts der nationalistischen Entwicklungen in Europa viel zu tun, mahnt Reinhard Kardinal Marx. "Die europäischen Institutionen werden als fern und unkontrollierbar wahrgenommen".

Reinhard Kardinal Marx / © Harald Oppitz (KNA)
Reinhard Kardinal Marx / © Harald Oppitz ( KNA )

"Europamüdigkeit" und eine "Akzeptanzschwäche für die europäische Idee" beklagt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx. Zwar habe der europäische Einigungsprozess Aussöhnung, Frieden und Sicherheit gebracht, heißt es in einer am Montagabend in Berlin vorgestellten Publikation. Doch blieben diese Errungenschaften "für viele Bürger blass und unnahbar".

Verfall der Europa-Idee

In vielen Ländern ist laut Marx die Unterstützung für das europäische Projekt im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise gesunken. "Die europäischen Institutionen werden als fern und unkontrollierbar wahrgenommen", so der Präsident der EU-Bischofskommission COMECE. Hinzu komme eine generelle Politikverdrossenheit in zahlreichen EU-Ländern. Vertrauen sei verspielt worden durch überzogene persönliche Ambitionen, fehlende Visionen, wahltaktische Manöver und nicht gehaltene Versprechen von Politikern.

Die Europamüdigkeit habe populistischen Bewegungen und Parteien Auftrieb gegeben, schreibt der Münchner Erzbischof. Sie seien "Blüten des Egoismus", zitiert Marx ein Wort von Papst Franziskus. Sie nutzten Emotionen aus, um Zustimmung zu gewinnen. Auch gäben sie sich als die "wahren" Vertreter des Volkes aus, spielten mit Verunsicherung und der Illusion einfacher Antworten.

Probleme sind nicht allein zu schaffen

Entschieden wendet sich der Kardinal gegen eine Rückkehr zum souveränen Nationalstaat, wie dies populistische und manche konservative Kreise vorschlügen. Dieser Weg führe in die Sackgasse. "Er treibt uns zurück in die Enge des Nationalismus, der Nährboden für den Argwohn und die Auseinandersetzungen war, die Europa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in zwei verheerende Kriege gestürzt hat", so Marx. Zudem könne der Nationalstaat Herausforderungen wie Klimawandel, Migrationsbewegungen, Terrorismus oder die Weltwirtschaft nicht allein bewältigen.

Als Weg aus der Krise plädiert Marx dafür, die Debatte über europapolitische Themen zu stärken. Monatelange Diskussionen über Inhalte der EU-Institutionen würden kaum bis gar nicht von den Bürgern wahrgenommen. Einen Raum hierfür könne politische Bildung schaffen. Der Kardinal äußert sich in einer Festschrift für Lothar Harles. Der 65-Jährige war seit 2000 Geschäftsführer der in Bonn ansässigen Arbeitsgemeinschaft katholisch-sozialer Bildungswerke (AKSB) und wurde am Montagabend feierlich in den Ruhestand verabschiedet.


Schwere Tage für Europa / © Julian Stratenschulte (dpa)
Schwere Tage für Europa / © Julian Stratenschulte ( dpa )
Quelle:
KNA