Kapitelsamt aus dem Kölner Dom - Predigt als Video

Dritter Fastensonntag

domradio übertrug am 3. Fastensonntag das Kapitelsamt mit Domkapitular Prälat Hans-Josef Radermacher. Der Kirchenchor St. Lambertus Düsseldorf war zu Gast im Hohen Dom und sang unter der Leitung von Heinz Terbuyken die "Messe zu Ehren des Hl. Josef" von Joseph Venantius von Wöss.

 (DR)

Die biblischen Zwillingsbücher Esra und Nehemia (vgl. die erste Lesung) führen bei uns eher ein Schattendasein. Und doch erfahren wir hier manches, das uns selbst betrifft. Es geht auch um Fragen unserer eigenen Zeit. Die Königreiche Israel und Juda sind kläglich untergegangen, die Zeit im Babylonischen Exil ist ein tiefer, noch nicht verheilter Einschnitt. Und bald zeigt sich: Auch die vom Perserkönig Cyrus gestattete Heimkehr löst nicht alle Probleme. Nach dem Exil ist die Welt eine andere als vor dem Exil. Fremde kulturelle und religiöse Einflüsse machen sich überall bemerkbar. Die Verunsicherung ist groß. Wie kann das Alte -  der Bund mit Gott und seine lebensnotwendige Lebensweisung - in eine neue Zeit transportiert werden? Und zwar nicht tot und einbalsamiert, sondern lebendig? Es geht um die Quadratur des Kreises: um einen Neuanfang, der kein gewaltsamer Abbruch, sondern ein vertrauensvoller Aufbruch ist.

Erste Lesung
Es kriselt. Die Heimkehr war hart. Der Wiederaufbau gestaltet sich langwierig. Das Leben ist mühsam. Ein Hauch von Depression liegt über dem Land. Doch heute geschieht etwas Unerwartetes. So viele Leute! Immer mehr Menschen strömen herbei. Das Gesetz, die Lebensweisung Gottes, wird vor dem Jerusalemer Wassertor laut vorgelesen. Das haben sich nicht Einzelne ausgedacht, das ist eine Initiative des ganzen Volkes. Junge und Alte, Frauen und Männer, auch Kinder, sofern sie schon etwas verstehen können, alle kommen zusammen, als gäbe es etwas umsonst. Es gibt etwas umsonst, gratis. Mit den fünf Büchern des Mose kann man leben lernen. Vor allem eines wird hier gelehrt: das solidarische Teilen. An den Bibelmarathon schließt sich ein Festmahl  an, bei dem schon einmal geübt werden kann. Die Zu-kurz-Gekommenen kommen nicht zu kurz.

Zweite Lesung
Die moderne Medizin, auf deren Segnungen niemand verzichten will, hat eine große Schwachstelle: Vor lauter Spezialisierung bekommt sie den Menschen nicht mehr in den Blick. Doch auch der leidende Mensch ist nicht die „Niere von Zimmer 14", sondern Ebenbild Gottes, Einheit in Vielheit. Eine Augenerkrankung kann seelische Ursachen haben, und die Rückenbeschwerden strahlen vielleicht von einem inneren Organ aus. Krankheit bedeutet, dass das Zusammenspiel der Kräfte und Glieder gestört, Gesundheit, dass es wieder hergestellt ist. Der zerstrittenen Gemeinde von Korinth versucht Paulus zu zeigen, dass sie ein zusammenhängender, lebendiger Organismus ist. Es wird ihr nur dann wieder gut gehen, wenn jedes Glied das andere in seiner Eigenart als unverzichtbar anerkennt. Das fällt denen, die von sich selbst überzeugt sind und auf die anderen herabsehen, schwer. Paulus stellt ihnen den einen Geist vor Augen, der in den unterschiedlichen Gaben allen geschenkt ist. So wird das Schwere leicht.  

Evangelium
Lukas schreibt dichte, programmatische Szenen. In einer solchen Schlüsselszene erfahren wir, was es mit dem Wirken und der Verkündigung Jesu auf sich hat. Mit den Worten des Jesaja-Buches: Gottes Geist ist mit Jesus. Er bringt den Armen eine Heilsbotschaft, den Gefesselten eine Befreiungsbotschaft, er kündigt die Heilung Blinder an und eröffnet ein Gottesjahr, ein Jahr der Überwindung sozialer Missstände. Wer sich als Schuldsklave verkaufen musste, erlangt in diesem Jahr die Freiheit. Damit betont Lukas: Jeder Mensch ist Gott unendlich kostbar, auch und gerade die Verarmten, die Gefangenen, die Blinden und Verblendeten, die Hoffnungslosen. Auch verraten und verkauft - Menschen sind keine Sachen. Die Sache Jesu ist der versehrte Mensch; sein Heilwerden, sein Heil, heute.
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