Kanzler-Enkel: In Glaubensdingen war der erste Kanzler eher liberal

 (DR)

Der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876-1967) hatte nach den Worten seines gleichnamigen Enkels keine allzu hohe Meinung von seinen Mitmenschen - vor allem, was ihre moralische Integrität anging. "Er wusste sehr gut mit Verfehlungen anderer umzugehen und sie sich zunutze zu machen", sagte der 1945 geborene Jurist in einem Interview der "Zeit"-Beilage "Christ und Welt" (Donnerstag). "So manchen Minister konnte er dadurch in Schach halten, dass er etwas gegen ihn in der Hand hatte."

Kritisch würde der Bundeskanzler die Ära Merkel bewerten, ist sich sein Enkel sicher. "An Frau Merkels Politik hätte er, vorsichtig ausgedrückt, einiges vermisst." Am stärksten hätte ihn demnach gestört, "dass sie ihre Politik so sehr nach dem Zeitgeist ausrichtet". Nicht verstanden hätte er beispielsweise, dass homosexuelle Partnerschaften als Ehe definiert würden: "Für ihn war die Ehe klassisch christlich definiert."

Helmut Kohl wäre von seinem Großvater positiver beurteilt worden, so der Adenauer-Enkel. "Kohl hat sich ja selbst als Enkel Adenauers bezeichnet und die Einheit Deutschlands in Europa vollendet. Das genau war die Vision meines Großvaters."

In Glaubensdingen war der erste Kanzler nach Einschätzung seines Enkels eher liberal. "Kardinal Meisner wäre ihm wahrscheinlich zu dogmatisch gewesen", so der Jurist. "Was er allerdings hasste, war Wankelmut. Franziskus, der ja eher einen Schlingerkurs fährt und so ambivalent in seiner Erscheinung und in seinen Entscheidungen wird, den hätte er wohl weniger gutgeheißen."

Gegen den Einfluss von Frauen in der Kirche hätte der CDU-Mitbegründer "mit Sicherheit nichts" gehabt, vermutet sein Enkel. "Ich kann mir sogar vorstellen, dass er in der Frage der Mitbestimmung der Frauen in der Kirche und sogar ihrer Weihe gesprächsoffen war." Man könne aus der Bibel kein Verbot der Frauenpriesterschaft herleiten.

Theologisch habe der Altbundeskanzler zuletzt viel über das Vaterunser nachgedacht. "Die Zeile: 'und führe uns nicht in Versuchung' beschäftigte ihn. Was wäre das für ein Gott, der die Menschen in die Versuchung lockt wie die Schlange Eva im Paradies? Müsste es eigentlich nicht eher heißen: 'und führe uns in der Versuchung'?" (KNA / 24.7.19)