"Wir haben uns schlicht an das Sterben im Mittelmeer gewöhnt", kritisiert Käßmann in der "Bild am Sonntag". Die Nachrichten seien voll von jenen Superreichen, die in der U-Boot-Kapsel "Titan" ums Leben kamen – die rund 500 Menschen, die vor der griechischen Küste starben, würden dagegen "achselzuckend wahrgenommen".
Vergleich mit der "Titanic"
Dabei wagten diejenigen viel, die aus Afghanistan, dem Sudan oder Pakistan flüchteten. "Sie wollen hier bei uns arbeiten, Geld verdienen, ein gutes Leben haben", schreibt die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
Dies sei bei der "Titanic" 1912 ähnlich gewesen: "Von den 1.500 Menschen damals an Bord haben vor allem die Reichen auf dem Oberdeck überlebt. Das Wrack der 'Titanic', das die Superreichen besichtigen wollten, ist das Grab von Hunderten Wirtschaftsflüchtlingen."
Kritik an Teilnahmslosigkeit
Es sei verständlich, wenn Beobachter mit den Hinterbliebenen der "Titan"-Insassen mitfühlten, betont Käßmann. Das "Fischerboot im Mittelmeer" habe indes keinen Namen gehabt, ebenso die Menschen darauf nicht: "Wir kennen sie nicht. Wir wissen nichts von ihren Geschichten, von den trauernden Angehörigen."
Es sei beschämend, dass im Fall der "Titan" verschiedenste Rettungsaktionen in Gang gesetzt worden seien, während beim Sinken des Flüchtlingsboots "teilnahmslos zugeschaut" werde.
Migration sei eine Herausforderung, so die Theologin. Aber: "Jeder Mensch ist gleich viel wert, der amerikanische Millionär ebenso wie der pakistanische Flüchtling." Sie finde es "erbärmlich, wenn wir so tun, als gingen uns die Menschen, die im Mittelmeer ertrinken, nichts an."