Kabinett verabschiedet Armutsbericht - Kritik von der Caritas

Alles halb so schlimm?

Das Bundeskabinett hat den neuen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung beschlossen. Demnach lebten 2005 etwa 13 Prozent der Bürger unter der Armutsgrenze. Damit habe sich die Armutsquote in den vergangenen zehn Jahren halbiert, sagte Bundessozialminister Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch in Berlin. Bei Kindern sei das Armutsrisiko von 34 auf 12 Prozent gesunken. Scharfe Kritik an diesen "politischen Zahlen" sollen dort nicht mehr hinein kommen. Zahlen übt im domradio-Interview der Kölner Diözesan-Caritasverband-Direktor Dr. Johannes Hensel.

 (DR)

Nach Ansicht der Caritas lebt jedes vierte Kind lebt in Armutsgefährdung und hat dadurch nicht die gleichen Chancen wie andere Kinder. Kinder, die in Armutsverhältnissen leben, könnten sich Schulmaterial nicht wie andere leisten und seien deshalb schon in der Grundschule abgehängt, so Hensel.

Die Regelsätze die zurzeit für Kinder gegeben werden seien realitätsfern. Um sich Schuhe leisten zu können müsste man zwei Jahre sparen. Die Caritas fordere daher von der Bundesregierung einen angemessenen Regelsatz, der ein Existenzminimum sicherstellt, für Kinder und Erwachsene zuzulassen und dies dann "ehrlich und wissenschaftlich belegt und berechnet" wird.

Die sachliche Analyse vermische sich mit einem wertenden politischen Teil, sagt auch Caritas-Präsident Peter Neher in Berlin. Er forderte, einen unabhängigen Sachverständigenrat mit der Berichterstattung zubeauftragen.

Neher zeigte sich überzeugt, dass ein solcher Expertenrat dazubeitrage, nachhaltige Lösungen für die «gravierendensozialpolitischen Probleme» zu finden. Die Vorschläge könntenparteiübergreifend Gehör finden und eine «dringend erforderliche" Politik der Armutsbekämpfung und Armutsprävention einleiten.

Die Caritas sieht massiven Handlungsbedarf. Besonders dramatisch sei die Situation der 25- bis 35-Jährigen. In dieser Altersgruppe blieben 17 Prozent dauerhaft ohne einen beruflichen Abschluss und hätten damit schlechte Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. In den letzten zehn Jahren sei dieser Anteil um vier Prozentpunkte gewachsen, mahnte Neher.

Nach Einschätzung von Bundessozialminister Scholz wirkt dagegen der Sozialstaat. Transferleistungen wie das Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe, Grundsicherung für Ältere und Erwerbsgeminderte sowie Familienleistungen hätten deutlich zur Senkung des Armutsrisikos beigetragen. Schlüssel zur Armutsprävention sei Teilhabe an Bildung und Beschäftigung.

Politischen Handlungsbedarf sieht der Minister bei der Zunahme des Niedriglohnbereichs. Mindestlöhne könnten hier die Basis für eine ausreichende soziale Sicherung sein. Ferner sei nach wie vor der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg eine «nationale Herausforderung». Scholz zufolge könnten die Bildungseinrichtungen noch «wirkungsvollere Beiträge» zur Verringerung sozialer Ungleichheit leisten.

Kritik aus dem Wirtschaftsministerium
Auf scharfe Kritik stieß der Bericht offensichtlich im Bundeswirtschaftsministerium. In einem internen Papier, das dem ARD-Hauptstadtstudio Angaben vorliegt, heißt es demnach, der vom Arbeitsministerium erstellte Bericht erkläre «zu wenig offensiv die Errungenschaften des Sozialstaates». Zudem zeichne er «ein zu düsteres Bild der sozialen Realität in Deutschland heute», da er sich nur auf Zahlenmaterial bis zum Jahr 2005 stütze. Aktuell gebe es kein Altersarmutsproblem in Deutschland, zitiert die ARD aus dem Papier.