Justin Welby wird neuer Primas der Anglikaner

Vom Ölmanager zum Kirchenoberhaupt

Als Favorit galt ein anderer, dennoch wurde Justin Welby zum neuen Erzbischof von Canterbury und damit Primas der anglikanischen Staatskirche von England ernannt. Eine spannende Wahl: Welby Weg zum Kirchenamt war alles anderes als gerade.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

"Wer als Papst ins Konklave einzieht, kommt als Kardinal heraus": Dieser Spruch gilt offenbar nicht nur für die katholische Kirche. Bei den englischen Buchmachern schien im Frühjahr schon bald klar, dass der Yorker Erzbischof John Sentamu (63) der neue Erzbischof von Canterbury und damit Primas der anglikanischen Staatskirche von England werden würde. Die Nummer zwei der Kirchenhierarchie schien der geborene Nachfolger: intelligent, charismatisch, dynamisch, telegen, als erster Schwarzer so politisch korrekt wie signalstark - und bereit für den Job als oberster Repräsentant und Streitschlichter der zerstrittenen anglikanischen Weltgemeinschaft.



Doch nun hat die zuständige "Nominierungskommission der Krone" offenbar einen ganz anderen Bischofstyp zum Nachfolger des scheidenden Walisers Rowan Williams erwählt. Zumindest sind sich die britischen Medien sicher, dass es der 62-Jährige ist, der an diesem Freitag ernannt wird. Ein spannender Typ: Der bisherige Bischof von Durham, Justin Welby, ist ein echter Quereinsteiger. Der 56-jährige Eton-Absolvent, Jurist, Theologe und Familienvater wurde erst 1993 zum Priester und erst im Oktober 2011 zum Bischof geweiht. Zuvor war er unter anderem elf Jahre als Finanzmanager im Ölgeschäft.



Management-Qualitäten gingen dem herausragenden Denker und Feingeist Williams als Primas zuweilen ab; er suchte vor allem den Kompromiss im Dialog. "Führungsschwäche" nannten das seine Kritiker. Für Welby sprechen nach der Papierform zunächst sein anzunehmender Realitätssinn und seine Weltläufigkeit. Als Malus bringen argwöhnische Stimmen im Vorfeld eine mangelnde klerikale Leitungserfahrung vor. Doch die kann ja auch von Vorteil sein.



Rasch ins Rampenlicht

Seine Berufsausbildung jedenfalls ist makellos: Schulabschluss in Eton; Jura und Geschichte in Cambridge und Dublin; Managerposten in Paris und London, bei denen es etwa um die Finanzierung von Ölförderprojekten in Nigeria ging. Parallel engagierte sich Welby bereits als Laie in einer anglikanischen Gemeinde im Londoner Stadtzentrum. 1989 dann die radikale Umorientierung: Theologiestudium, Diakonen- und Priesterweihe, Ämter als Pfarrer, Kanoniker in Coventry (seit 2002) und von 2007 bis 2011 als Dekan der Kathedrale von Liverpool. Dabei weist Welbys Karriere als Seelsorger auch Stationen in sozialen Brennpunkten auf.



Seine Karriere in der Ölindustrie bedeutet offenbar keine ideologische Nähe zum Finanzsektor - im Gegenteil. In einer Rede in Zürich kritisierte Welby im Oktober den Umgang mit der Finanzkrise seit 2008. In der Finanzwelt sei ein hektischer Aktivismus ausgebrochen, der aber "keinerlei sozialen Zweck verfolgt" habe. Welby verlangte eine Wiederherstellung des zerstörten sozialen Zusammenhaltes, des Gemeinwohls und der Solidarität. Finanzdienste seien entscheidend für die menschliche Entwicklung; doch als solche könnten sie nur funktionieren, wenn sie wirklich als Dienst verstanden und angeboten würden.



Erst seit einem Jahr Bischof, rückt Welby nun rasch ganz nach vorn ins Rampenlicht, wenn man den Buchmachern und Medienschaffenden glauben darf. Der 105. Erzbischof von Canterbury ist auch als Sanierer gefragt, was die Frage der Kircheneinheit angeht. Dabei ist zu erwarten, dass Welby, ein Mitglied des evangelikalen Kirchenflügels, einen konservativeren Kurs steuern wird als der Liberale Williams. Mehrfach wandte er sich gegen die Möglichkeit einer Eheschließung für Homosexuelle. In der Frage der Bischofsweihe für Frauen vertritt er eine Mittelposition: Er sprach sich zwar dafür aus, will aber auch den Gegnern Wege zum Erhalt der Kircheneinheit ebnen.



Der neue "Canterbury" hat nun Zeit, die Weichen für die "Lambeth Conference" 2018 zu stellen. Bei diesen alle zehn Jahre stattfindende Treffen aller Bischöfe der anglikanischen Gemeinschaft wurden in den vergangenen Jahrzehnten die großen Streitthemen diskutiert. Spätestens dann wäre der Manager und Sanierer in Welby gefragt - und der Versöhner.