Jurist Thüsing: Kirchen müssen Gewerkschaften beteiligen

"Wie ein Schlichterspruch"

Das Bundesarbeitsgericht hat das kirchliche Streikverbot gelockert, aber zugleich den eigenen kirchlichen Weg beim Arbeitsrecht gestärkt. Der Bonner Rechtswissenschaftler und Kirchenrechtsexperte Gregor Thüsing bewertete das Urteil als "Schlichterspruch, der beiden Seiten gerecht werden will". Thüsing leitet das Institut für Arbeitsrecht und das Recht der sozialen Sicherheit an der Universität Bonn.

 (DR)

KNA: Herr Professor Thüsing, wie bewerten Sie das Urteil des Bundesarbeitsgerichts?

Thüsing: Es wirkt auf mich wie ein Schlichterspruch, der beiden Seiten gerecht werden will. Den Kirchen spricht er das Recht auf einen eigenen Weg im Arbeitsrecht zu. Und den Gewerkschaften gewährt das Urteil einen Zugang in die arbeitsrechtlichen Kommissionen der Kirchen sowie ein Recht auf Streik von Kirchenmitarbeitern in bestimmten Fällen.



KNA: Würden Sie den Kirchen raten, das Urteil nicht zu akzeptieren und das Bundesverfassungsgericht anzurufen?

Thüsing: Wie weit der Interessenausgleich gelungen ist und ob das Urteil für die Kirchen tragfähig ist, wird erst die genaue Urteilsbegründung ergeben. Und die wird wohl erst in einigen Monaten vorliegen.



KNA: Wie könnte denn eine Beteiligung der Gewerkschaften bei der kirchlichen Tariffindung aussehen?

Thüsing: Auf evangelischer Seite gibt es ja bereits die unterschiedlichsten Modelle der Tariffindung in den Landeskirchen. Und bei einigen sind die Gewerkschaften bereits mit im Boot - etwa in Westfalen-Lippe. Auf katholischer Seite ist das System sehr viel einheitlicher. Es gibt eine arbeitsrechtliche Kommission etwa für die fünf NRW-Bistümer, in die Dienstgeber und Dienstnehmer paritätisch gewählt werden. Hier muss dann garantiert werden, dass auch die Gewerkschaften vertreten sind.



KNA: Und wie sieht es mit dem Streikrecht aus?

Thüsing: Sofern die Gewerkschaften einbezogen werden und die Tarifbeschlüsse der Kommissionen für alle kirchlichen und caritativen Einrichtungen verbindlich werden, ist ein Streik laut Gerichtsurteil ausgeschlossen.



KNA: Was meinen Sie mit Verbindlichkeit?

Thüsing: Alle kirchlichen Träger müssen sich an diese Tarifabschlüsse halten. Es darf keine abweichenden Vereinbarungen in Arbeitsverträgen zum Nachteil des Arbeitnehmers geben. Die katholischen Bischöfe haben ihre Rechtsträger bereits aufgefordert, bis Ende 2013 zu erklären, ob sie unter den Dritten Weg fallen wollen. Andernfalls verlieren sie ihre kirchliche Anerkennung. Abgesehen von der Rechtsprechung ist das auch eine Frage der Glaubwürdigkeit: Die Kirchen können nicht hehre Grundsätze von einer Dienstgemeinschaft vor sich hertragen und sich in der Praxis ganz anders verhalten.





Das Interview führte Christoph Arens (KNA)