Jugendsozialarbeit warnt vor Verarmung junger Menschen

"Recht darauf, ihre Jugend zu leben"

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit hat eine Studie zur Jugendarmut in Auftrag gegeben. Die Altersgruppe Jugendlicher zwischen 18 und 25 ist demnach am stärksten von Armut betroffen, erklärt Stefan Ottersbach.

Symbolbild Jugendliche mit leerem Geldbeutel / © Chester-Alive (shutterstock)
Symbolbild Jugendliche mit leerem Geldbeutel / © Chester-Alive ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Gibt es nicht schon genug Studien zum Thema Jugendarmut?

Stefan Ottersbach (BDKJ)
Stefan Ottersbach / ( BDKJ )

Dr. Stefan Ottersbach (Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit): Das Problem ist, dass wir viele Daten haben, aber keinen Ort, an dem zentral die wichtigsten Fakten gebündelt werden. Das ist das, was wir als Bundesarbeitsgemeinschaft bieten.

Wir führen keine eigene Erhebung durch, sondern sammeln Daten im Hinblick auf dieses Thema, was ja leider ein bisschen unter dem Radar der Gesellschaft läuft.

DOMRADIO.DE: Was hat Sie motiviert, diese Studie zur Jugendarmut in Auftrag zu geben?

Ottersbach: Die Bundesarbeitsgemeinschaft versteht sich als Interessenvertretung für die Anliegen von Kindern und Jugendlichen. Wir setzen uns mit unseren Einrichtungen und Diensten für Chancengleichheit und Teilhabemöglichkeiten von jungen Menschen ein.

Das heißt, wir treten öffentlich dafür ein und machen darauf aufmerksam, wo Verbesserungsbedarf besteht.

DOMRADIO.DE: Was ist dabei rausgekommen?

Ottersbach: Der Jugendarmutsbericht von diesem Jahr macht erneut deutlich, dass junge Menschen unter 25 nach wie vor zu der Altersgruppe in unserem Land gehören, die am stärksten von Armut betroffen ist.

DOMRADIO.DE: Inwiefern?

Ottersbach: Wenn man den Gesamtschnitt unserer Gesellschaft betrachtet, sind 16,6 Prozent unserer Gesellschaft von Armut betroffen. Bei jungen Menschen sind es ein Viertel.

Dabei stechen besonders die jungen Menschen hervor, die aus Familien mit drei oder mehr Kindern oder auch aus Haushalten von Alleinerziehenden stammen. Da liegt die Zahl sogar bei 26,6 Prozent und das sollte uns alle sehr umtreiben.

Dr. Stefan Ottersbach (Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit)

"Ich bin der Überzeugung, dass junge Menschen ein Recht haben, ihre Jugend zu leben"

DOMRADIO.DE: Warum ist ein Euro, den Sie zum Beispiel in eine 14-Jährige investieren, deutlich besser angelegt ist als dieser eine Euro, den sie dann in die gleiche Frau investieren, wenn sie zum Beispiel 24 oder 34 ist?

Ottersbach: Ich bin der Überzeugung, dass junge Menschen ein Recht haben, ihre Jugend zu leben. Dieses Recht sollten wir als Gesellschaft und als Kirche unterstützen. Menschen, die am Anfang ihres Lebens aus welchen Gründen auch immer, keine Chancen auf gerechte Teilhabe haben, die verdienen unsere Unterstützung.

Es darf in unserem Land nicht weiter so sein, dass beispielsweise der Erfolg von Bildung davon abhängt, aus was für einem Haushalt ich komme und wie die finanziellen Rahmenbedingungen meiner Eltern sind.

DOMRADIO.DE: Wie kann und soll Kirche da positiven Einfluss nehmen in dieser Situation?

Ottersbach: Ich bin sehr froh, dass wir mit dem Feld der Jugendsozialarbeit einen wichtigen Player innerhalb der Jugendpastoral unserer Kirche haben.

Jugendsozialarbeit heißt, dass wir beispielsweise Jugendberufs-Hilfseinrichtungen haben oder dass wir Schulsozialarbeit machen. Wir haben auch Jugend-Migrations-Dienste und damit haben wir vielfältige Handlungsorte, wo wir unter jungen Menschen präsent sind.

Ein ganz zentraler Punkt ist, dass wir bei allen Veränderungen, die wir in der Kirche derzeit erleben, dieses wichtige jugendpastorale Handlungsfeld nicht aus dem Blick verlieren. Zugleich ist es wichtig, dass wir als Kirche und als kirchliche Träger auch in der Gesellschaft für diese Zielgruppe unsere Stimme erheben.

DOMRADIO.DE: Es gibt eine Aussage von Jugendlichen, die in Armut leben, die heißt: "Das ist so wie Monopoly spielen, nur mit einem Würfel, während die anderen zwei nutzen dürfen". Wäre da die Aufgabe der Kirche, den zweiten Würfel zur Verfügung zu stellen?

Ottersbach: Wir haben uns als jugendpastorale Akteure vor Kurzem neue Handlungsleitlinien durch die Bischöfe geben lassen. Die haben Leitlinien zur Jugendpastoral entwickelt und dort formulieren sie genau das als eine wichtige Kernaufgabe von Jugendpastoral der Kirche: jungen Menschen dazu zu dienen, dass sie in allen Belangen ihre Persönlichkeit entfalten können.

Das scheint mir etwas ganz Wichtiges zu sein. Was wir nicht vergessen dürfen: Jugendpastoral der Kirche hat alle Dimensionen des Menschseins in den Blick zu nehmen und nicht nur diejenigen, die vielleicht im engeren Sinne als besonders fromm gelten.

DOMRADIO.DE: Was braucht es, um möglichst viele von diesen Jugendlichen abzuholen und mitzunehmen?

Ottersbach: Es hängt in ganz vielen Fällen sicher vom Geld ab. In den Einrichtungen der katholischen Jugendsozialarbeit wird sehr oft unter schwierigen Bedingungen gearbeitet.

Wir haben sehr häufig befristete Arbeitsverträge, weil Maßnahmen nur projektorientiert ausgeschrieben werden. Wir brauchen hier wirklich eine langfristige Absicherung, damit auch vertrauende Beziehungen entstehen können zwischen Mitarbeiter:innen und den Jugendlichen selbst.

Es braucht zum einen so etwas wie ein personelles Angebot, was über einen längeren Zeitpunkt auch eine Form von Sicherheit und wachsende Beziehungen ermöglicht. Und zum anderen brauchen wir entsprechende Qualifizierungen. Wir haben die große Herausforderung der Digitalisierung. Hier braucht es sicherlich weitere Zurüstung auch für unsere Einrichtungen.

Das Interview führte Dagmar Peters. 

Quelle:
DR