Jugendliche testen Elternrolle mit Dummys - Diakonie-Projekt will Verantwortung aufzeigen

Puppen statt Babys

Die Schülerinnen einer zehnten Klasse der Georg-Ackermann-Schule im hessischen Breuberg sind vier Tage lang Mutter auf Probe. "Allerdings mit pädagogisch korrekten Mitteln", sagt Projektleiterin Anja Scheibel vom Diakonischen Werk Odenwald mit Blick auf die umstrittene RTL-Doku-Serie "Erwachsen auf Probe", die in dieser Woche starten soll.

Autor/in:
Kathrin Hedtke
 (DR)

Im Gegensatz zum Fernsehformat üben die Teenager beim Projekt "Bedenkzeit" nicht mit echten Babys, sondern mit Simulationspuppen.

Babypuppen halten Teenager auf Trab
Ihre Ohrringe baumeln Johanna ins Gesicht, als sie sich mit konzentriertem Blick über das Baby beugt. Mit der linken Hand hebt sie die Füße des Säuglings in die Luft, mit der rechten Hand schiebt sie eine weiße Stoffwindel unter den Po. Sie zieht das hellblaue Shirt über den Bauch - und fertig. "Ganz einfach", die 16-Jährige mit dem Piercing in der Lippe lächelt. Sie wiegt das Baby im Arm und hält ihm eine Flasche vor die Lippen. Reinstecken geht nicht, die Säuglingspuppe kann den Mund nicht öffnen.

Ernst schüttelt Jana den Kopf. Sie würde ihr Kind nicht weggeben, damit Jugendliche damit üben können. Niemals. "Auch wenn ich richtig arm wäre, das Geld wäre mir scheißegal", betont die Jugendliche. Die ehrenamtliche Mitarbeiterin Beate Müller sagt, das Training mit den Puppen sei für die Mädchen eine realistischere Erfahrung als in der TV-Serie. "Sie müssen sich rund um die Uhr um das Baby kümmern", fügt Müller hinzu. Niemand nehme ihnen den Säugling zwischendrin ab.

"Oh, wie süß"
Als die Projektleiterin die Puppen zum ersten Mal aus dem Pappkarton zieht, ist die Begeisterung bei den zehn Teilnehmerinnen groß. "Oh, wie süß", rufen sie. Der knapp drei Kilogramm schwere Dummy samt orange-farbener Decke macht einmal die Runde. Dabei achten die Teenager sorgsam darauf, dass der Kopf nicht nach hinten knickt. Per Los wird entschieden, wer ein Babymädchen und wer einen Babyjungen bekommt. "Können wir tauschen", fragt eine Schülerin. Nein, sagt Scheibel, das gehe nach der Geburt im Krankenhaus schließlich auch nicht.

Wenn die Babypuppe schreit, heißt es für die Teenager: Wickeln, Füttern, Beruhigen oder Bäuerchen machen lassen. In der Brust des Dummys ist ein Sensor versteckt, der aufzeichnet, ob alle Bedürfnisse zeitnah befriedigt werden. Sonst gibt es Minuspunkte. Auch "grobe Behandlungen" wie Schütteln oder Stürze werden registriert. Damit die Schülerinnen das Baby während der Zeit nicht einfach abgeben können, bekommen sie einen Chip am Armgelenk befestigt. Zum Schluss des Praktikums erhalten die Teilnehmer eine Bewertung - und sprechen über ihre Erfahrungen und Gefühle.

Pädagogin Scheibel vermittelt in dem Kurs vor allem Grundlagen. "Es fehlt die Praxis", sagt sie. Es gebe kaum noch Großfamilien. Die Jugendlichen erlebten Babys nicht mehr rund um die Uhr im Alltag. Die Teilnahme ist freiwillig. Im Schnitt macht die Hälfte der Klasse mit. Jungen lassen sich selten blicken. Sie gehen lieber in den Unterricht. Jacqueline war vor einem Jahr dabei. Die Jungen hätten "echt ätzend" reagiert. Sie hätten dem Baby immer wehtun wollen, damit es schreit. "Voll nervig", findet das Mädchen.

Nachfrage nach den Kursen steigt
Bei Schulen und Jugendlichen steigt die Nachfrage nach den Kursen. Fünf regionale Diakonische Werke in Hessen und Nassau teilen sich zehn Dummys. "Die Babys sind viel unterwegs", sagt Scheibel. Deshalb sammelt sie gerade Spenden für weitere Anschaffungen. Kostenpunkt für eine Puppe mit Akku: 930 Euro.

Seit drei Jahren bietet die Diakonie das Projekt an. Ursprünglich stammt die Idee aus den USA. Dort allerdings mit dem Ziel der Abschreckung, sagt Scheibel. "Das ist hier anders." Die Jugendlichen sollten während des Praktikums merken, wie anstrengend ein Kind sei und was für eine große Verantwortung es bedeute. Sie sollten wissen, worauf sie sich einlassen - und bewusst ihre Entscheidung treffen. "Wenn ich nur eine ungewollte Schwangerschaft verhindern kann, ist das schon gut", betont die Pädagogin.

"Jetzt erst recht nicht mehr"
Bei den Teilnehmerinnen scheint das Konzept aufzugehen. Jacqueline hat den Kurs schon hinter sich. Sie habe vorher kein Baby gewollt - "jetzt erst recht nicht mehr". Für sie sei die Erfahrung eine kleine Abschreckung gewesen, sagt das Mädchen. Immer wenn sie gerade eingeschlafen sei, habe die Puppe zu weinen begonnen. Bis zu dreimal habe sie pro Nacht aufstehen müssen: "voll anstrengend".

Auch Lisa sagt, sie habe sich vorher so auf die Zeit mit dem Baby gefreut. Nach vier Tagen sei sie jedoch heilfroh gewesen, es wieder abzugeben. Ähnlich ging es Frauke. Es sei eine "tolle Erfahrung" gewesen. Sie wolle auch gerne irgendwann Kinder haben. "Aber so früh noch nicht", sagt die Jugendliche und spielt mit ihrer Sonnenbrille. Das sei erst was für Leute, die fest im Leben stünden. Vorher wolle sie noch ins Ausland reisen und Karriere machen.