Jüdische Gemeinde Frankfurt setzt Kultur gegen das Grauen

"Lassen Sie uns nicht alleine"

Die Jüdischen Kulturwochen in Frankfurt stehen unter dem Eindruck des Hamas-Angriffs auf Israel – gerade jetzt will die Jüdische Gemeinde stark sein. Sie bietet auch Israelis in der Stadt Hilfe und Beistand.

Autor/in:
Leticia Witte
Ankündigungsplakat mit der Aufschrift "Die jüdischen Kulturwochen 2023" am 23. Oktober 2023 in Frankfurt / © Leticia Witte (KNA)
Ankündigungsplakat mit der Aufschrift "Die jüdischen Kulturwochen 2023" am 23. Oktober 2023 in Frankfurt / © Leticia Witte ( KNA )

Jetzt erst recht – in diesem Geist lädt die Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main zu den laufenden diesjährigen Jüdischen Kulturwochen ein. Konzerte, Kulinarik, Comedy: Trotz des Terrors der Hamas gegen Israel vor zweieinhalb Wochen findet das Programm noch bis zum 7. November statt.

Gleichwohl unter dem Eindruck des Schmerzes und unter großen Sicherheitsvorkehrungen, denn in Deutschland wurde der Schutz für Jüdinnen und Juden erhöht.

Auch sonst versucht die Gemeinde, die mit knapp 7.000 Mitgliedern zu den vier größten jüdischen Gemeinden bundesweit gehört, mit den verstörenden Ereignissen umzugehen. Man hat Kinder und Jugendliche im Blick und bietet Hilfe für Israelis in der Stadt und ihrer Umgebung an. Immer wieder wird Frankfurt als "jüdischste Stadt Deutschlands" bezeichnet.

Gute Infrastruktur mit mehreren Synagogen und Angeboten

Es gibt eine gute Infrastruktur mit mehreren Synagogen und Angeboten für verschiedene religiöse Strömungen, Kindergärten und einer Schule sowie koscheren Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten.

Die Gemeinde bemüht sich in diesen Tagen einerseits um ihre eigenen Mitglieder, von denen viele Familie und Freunde in Israel haben – und teils schwere Verluste erleiden mussten, wie es heißt. Andererseits will sie Israelis vor Ort unterstützen. Angeboten werden konkrete Unterstützung und Gemeinschaft.

Auf der Gemeinde-Internetseite wird auf psychologische Beratungsmöglichkeiten, die Seelsorge von Rabbinern und konsularische Betreuung hingewiesen.

"Das Herz ist schwer in diesen Tagen", sagte Marc Grünbaum vom Gemeindevorstand jüngst beim Eröffnungskonzert der Kulturwochen. Noch nie habe die Gemeinde darüber nachdenken müssen, ob die Veranstaltung überhaupt stattfinden könne.

Verunsicherung und Angst deutscher Jüdinnen und Juden 

Denn aktuell mische sich das Grauen angesichts des Hamas-Angriffs mit Verunsicherung und Angst von Jüdinnen und Juden auch hier in Deutschland. Aber: "Unser Leben geht weiter – wenn auch anders", betonte Grünbaum.

Kurzerhand wurde das Eröffnungskonzert mit dem Jewish Chamber Orchestra Munich zu einem Benefizkonzert. Die Eintrittsgelder waren für Organisationen gedacht, die Spenden für Menschen in Israel sammeln. Während der Kulturwochen besteht weiterhin die Möglichkeit, Geld zu geben, wie es hieß.

Das Konzert mit zeitgenössischem und experimentellem Klezmer, begleitet von einer Filminstallation, begann mit der israelischen Nationalhymne "HaTikwa".

Gekommen war auch Gabriela Schlick-Bamberger. Es sei gut, dass die Musik etwas zur Gemeinschaft in diesen Tagen beigetragen habe, sagte die Leiterin der Jeschurun Religionsschule nach dem Konzert im Foyer des Ignatz-Bubis-Gemeindezentrums.

Alltag soll Aufrecht erhalten werden

"Unsere Kultur hat nichts mit Hass zu tun, wir gehen respektvoll mit dem Leben um." Gerade jetzt sei es wichtig, ein Stück Alltag aufrechtzuerhalten. Das spiele auch im Umgang mit den Schülern eine große Rolle.

Nach seinem Auftritt wartete Rolf Schamberger am Hauptbahnhof bei einem kleinen Imbiss auf seinen Zug nach Nürnberg. Neben ihm die Tasche mit dem Kontrabass, den er im Jewish Chamber Orchestra Munich spielt. "Ich habe das Gefühl, die Welt ist am Zerbersten", sagte er.

Man dürfe nicht vergessen: "Musik hat nie etwas Dämonisches."

Genau dies mussten die Menschen in Israel am 7. Oktober mit massivem Raketenbeschuss und Massakern an Orten an der Grenze zum Gazastreifen erleben. Etwa 1.400 Menschen wurden getötet, rund 220 Menschen – darunter auch Kinder - sind laut israelischen Angaben in Geiselhaft.

Nach dem Terrorangriff waren in Deutschland Sicherheitsvorkehrungen an Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen erhöht worden. In Berlin-Neukölln feierten Menschen auf der Straße die Attacke.

Ebenfalls in der Hauptstadt warfen Vermummte Brandsätze in Richtung einer Synagoge, Davidsterne wurden an Häuser gesprüht.

"Für Hass und Hetze darf es in unserer Gesellschaft keinen Raum geben", forderte Grünbaum vom Frankfurter Gemeindevorstand. Die Gemeinde habe durchaus Solidarität von Muslimen erfahren - diese Stimmen seien jedoch leise und erforderten mitunter Mut. Er vermisse klare Worte von muslimischen Verbänden. Grünbaum rief alle Menschen zu Solidarität auf: "Lassen Sie uns nicht alleine."

Meldestelle: "Antisemitismus ist kontinuierliches Problem"

Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) hat in Berlin für 2021 insgesamt 1.052 antisemitische Vorfälle dokumentiert. Davon waren 22 Angriffe, 43 gezielte Sachbeschädigungen, 28 Bedrohungen, 895 Fälle verletzenden Verhaltens sowie 62 Massenzuschriften, wie aus einem am Dienstag in Berlin veröffentlichten Bericht hervorgeht. Erstmals seit Beginn der Dokumentation im Jahr 2015 seien auch zwei Angriffe dabei gewesen, die mit "extremer, potentiell tödlicher Gewalt" einhergingen.

Hakenkreuz-Schmierereien an einer Schule / © Jochen Lübke (dpa)
Hakenkreuz-Schmierereien an einer Schule / © Jochen Lübke ( dpa )
Quelle:
KNA