Juden feiern das Purim-Fest

"Purim ist leider hochaktuell"

An diesem Samstagabend beginnt für die Juden Purim. Es ist eigentlich ein fröhliches Fest. Durch den Krieg in Nahost ist die Stimmung nun aber getrübt. Doch die Botschaft von Purim ist aktueller denn je, findet Rabbi Yechiel Brukner.

Juden feiern verkleidet das Purim-Fest / © Andrea Krogmann (KNA)
Juden feiern verkleidet das Purim-Fest / © Andrea Krogmann ( KNA )

DOMRADIO.DE: Oftmals wird Purim der "jüdische Karneval" genannt. Warum stimmt das nur vordergründig? 

Yechiel Brukner / © Julia Steinbrecht (KNA)
Yechiel Brukner / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Yechiel Brukner (Gemeinderabbiner der Synagogen-Gemeinde Köln): Ich bin schon einverstanden mit dem Vergleich, weil es gewisse Analogien gibt. Die Menschen verkleiden sich, ich übrigens auch. Und es ist ein Freudenfest, bei dem auch Alkohol getrunken wird.

Aber der Ursprung ist ein ganz anderer als Karneval. Die Geschichte ereignete sich vor 2500 Jahren, als sich das jüdische Volk nach der Zerstörung des ersten Tempels durch die Babylonier im Exil befand. Die Juden lebten damals im persischen Großreich unter König Achaschwerosch (griechisch: Xerxes I., Anm. d. Red.), wo sie sich in zweifacher Hinsicht in Gefahr befanden: Zum einen, weil offenbar überall, wo es Juden gibt, auch Feindschaft gegen sie entsteht. Schon damals wurden die Juden verfolgt. Und zum anderen bestand die Gefahr der Assimilation, des sich Aufgebens in der nicht-jüdischen Umgebung.

Ich glaube, das ist auch der Ursprung für die Verkleidung an Purim heutzutage. Die Juden mussten damals, um zu überleben, ihre jüdische Identität tarnen. Das rufen wir uns mit den Kostümen immer wieder in Erinnerung. 

DOMRADIO.DE: Wie ging die Geschichte der Juden unter Achaschwerosch weiter? 

Brukner: Haman war ein hoher Regierungsbeamter unter Achaschwerosch, der das jüdische Volk vernichten wollte, so steht es in der Schriftrolle "Megillat Ester". Er hatte schon alles geplant, selbst das Datum stand fest: Der 13. des jüdischen Monat Adar sollte es werden, das war vollkommen willkürlich, er hatte ein Los bestimmen lassen.

"Purim" bedeutet auf Hebräisch sinngemäß "auslosen" oder "würfeln". Warum benennen wir das Fest danach? Vielleicht, weil es so absurd erscheint, dass ein Los über ein historisches Datum und die Vernichtung eines Volkes entscheiden soll. Das würde besagen, dass Geschichte eine Kette von Zufällen ist. Aber wir Juden sehen es genau andersherum. Für uns ist Geschichte von Gott geführt und gelenkt. 

Leider war die Verfolgung eine Situation, die das jüdische Volk immer wieder in seiner langen und leidvollen Geschichte erleben musste, auch nach der Zerstörung des zweiten jüdischen Tempels (70 n. Chr. durch die Römer, Anm. d. Red.) in Jerusalem – und wenn wir ehrlich sind bis heute noch erlebt. 

DOMRADIO.DE: Aber Haman konnte seine Pläne nicht umsetzen, die Juden wurden gerettet. Wie gelang ihnen das und wer war Ester, nach der die Schriftrolle benannt wurde?  

Brukner: Ester war der Überlieferung zufolge eine Nichte des Juden Mordechai, ein Anführer der Juden im persischen Exil, der zwei der Zwölf Stämme Israels angehörte und sich weigerte, Haman zu huldigen. Darum hasste Haman ihn. Der Perserkönig Achaschwerosch wählte Ester damals zur zweiten Frau und Mordechai hatte sie zuvor angewiesen, ihre jüdische Identität nicht preiszugeben. 

Der Wendepunkt war, als der König eines Nachts schlaflos in seinem Bett lag und darüber nachgrübelte, ob er Mordechai schon belohnt hatte, weil dieser ihm einmal das Leben gerettet hatte. Er ließ Haman als seinen höchsten Berater zu sich kommen und fragte ihn, wie man eine Person ehren könne, die sich um das Reich verdient gemacht habe. Haman dachte, es gehe um ihn und schlug vor, diese Person prunkvoll auf dem Pferd des Königs in die Stadt einziehen zu lassen. "Gute Idee!", findet der König und befiehlt Haman, Mordechai so zu ehren. Haman wurde furchtbar wütend, als er merkte, dass es nicht um ihn ging. Aber dieser Moment leitet seinen Untergang und Mordechais Aufstieg zu einem der Vertrauten des Königs ein. 

Währenddessen erfuhr Mordechai von Hamans Vernichtungsplänen und erzählte sie Ester. Diese ging zu ihrem Mann, dem Perserkönig, und offenbarte ihm, dass sie Jüdin sei und nach den Plänen Hamans auch getötet würde. Da wurde Achaschwerosch zornig und ließ Haman am Galgen hinrichten. Den Juden erlaubte er, sich gegen ihre Feinde zu wehren und sie zu töten. Am 13. Adar gab es also eine große Schlacht, die die Juden gewonnen haben. Und am 14. feierten sie den Sieg und ihre Rettung. 

DOMRADIO.DE: Normalerweise missbilligt das Judentum den übermäßigen Genuss von Alkohol, aber an Purim dürften Sie trinken. So mancher Karnevalist beneidet Sie vermutlich darum, dass Sie das quasi mit dem Segen von ganz oben machen. Ist es ein Gebot oder eine Pflicht? Sollten Sie sich betrinken oder müssen Sie? 

Verkleidete Teilnehmer einer Feier am Purimfest / © Chloe Sharrock (KNA)
Verkleidete Teilnehmer einer Feier am Purimfest / © Chloe Sharrock ( KNA )

Brukner: Wir trinken an dem Tag, weil es ein Freudenfest ist. Der Talmud sagt, dass der Mensch an Purim trinken soll, bis er nicht mehr zwischen "Verflucht sei Haman" und "Gelobt sei Mordechai" unterscheiden kann. Bis man also nicht mehr zwischen Gut und Böse unterscheiden kann. Da muss man schon ziemlich viel trinken.

Um den Familienfrieden zu wahren, haben wir von weisen Männern einen guten Tipp bekommen: Wenn du am Tisch kurz einnickst, dann hast du deine Pflicht erfüllt. Denn wenn du schläfst, kannst du ja nicht mehr unterscheiden. 

DOMRADIO.DE: Wie werden Sie persönlich Purim feiern? 

Brukner: An Purim steht die Gemeinschaft im Vordergrund. Wir lesen zwei Mal aus der Geschichte Esters, am Vorabend und an Purim selbst. Wir essen und trinken und es gibt noch zwei weitere Gebote: die "Matanot La'ewjonim", das bedeutet, Bedürftigen Geschenke zu machen. Und "Mischloach Manot", Freunde mit Essen zu beschenken. Es geht also auch darum, an andere zu denken und dafür zu sorgen, dass alle an diesem Tag Freude haben. Darum wird Purim immer in Gemeinschaft gefeiert. 

Wir in Köln werden als Gemeinde zusammen feiern, es werden viele Weinflaschen auf dem Tisch stehen und es gibt ein Programm mit Kostümwettbewerb für die Kinder. Dann sitzen wir zusammen, essen, singen, trinken und tanzen. 

DOMRADIO.DE: Als was werden Sie sich verkleiden? 

Brukner: Das darf ich nicht verraten, denn das ist eine Überraschung. Aber in den vergangenen Jahren bin ich einmal als FC-Fan gegangen. Und einmal als Pilot, weil ich so oft nach Israel fliege.

DOMRADIO.DE: Sind alle Verkleidungen erlaubt? 

Brukner: Grundsätzlich ist alles erlaubt, aber man muss nicht alles machen. Ich würde mich zum Beispiel nicht als Hamas-Führer verkleiden, das fände ich etwas geschmacklos. Und ich würde auch immer darauf achten, dass das Kostüm nicht aus zu wenig Stoff besteht, denn das könnte auch Anstoß erregen. 

Purimfest in Israel / © Ilia Yefimovich (dpa)
Purimfest in Israel / © Ilia Yefimovich ( dpa )

DOMRADIO.DE: Gibt es ein spezielles Essen an Purim? 

Brukner: Es gibt zum Beispiel die "Hamantaschen". Das ist ein dreieckiges Gebäck mit süßer Füllung. Auf Hebräisch heißen sie "Oznei Haman", also "Hamans Ohren", eine Anspielung auf den Bösewicht in der Geschichte Esters.

DOMRADIO.DE: Am 7. Oktober 2023 haben Hamas-Terroristen Israel überfallen, sie töteten über 1.000 Menschen und nahmen hunderte Geiseln. Seitdem herrscht Krieg im Nahen Osten. Werden Sie Purim dieses Jahr anders feiern? 

Brukner: Für uns ist Purim eine religiöse Pflicht, die wir nicht nur zu erfüllen haben, sondern auch mit dem nötigen Enthusiasmus begehen sollen. Aber in unserem Gemeindesaal, wo wir feiern werden, hängen die Fotos von allen Geiseln, sowohl von den Befreiten als auch von denen, die noch gefangen gehalten werden oder leider nicht mehr leben. Natürlich werden diese Ereignisse unsere Feiern überschatten. 

Aber es führt uns auch vor Augen, wie aktuell die Botschaft von Purim heute noch ist. Die Idee, das jüdische Volk auszurotten, gab es vor 2500 Jahren, vor 80 Jahren und die gibt es heute wieder. Denn wer heute skandiert: "From the River to the Sea, Palestine will be free” ("Vom Fluss Jordan bis zum Meer wird Palästina frei sein", Anm. d. Red.) meint nichts anderes als: "Juden raus aus Israel!" 

Die Parallelen zwischen damals und heute liegen auf der Hand, nur mit dem Unterschied, dass es im Perserreich bei der Bedrohung geblieben ist, weil die Juden die Erlaubnis bekamen, sich gegen ihre Feinde zu wehren. In der aktuellen Situation wurden wir angegriffen, wehrlose Zivilisten wurden getötet und Israel versucht, sich gegen die zu wehren, die uns vernichten wollen. Aber heute ist die Welt nicht so großzügig wie König Achaschwerosch damals, der den Juden erlaubte, sich selbst zu verteidigen. 

Deswegen ist Purim dieses Jahr wirklich ganz anders. Weil wir an unsere Brüder und Schwestern denken und weil wir daran denken werden, dass wir uns schon einmal verteidigen und unsere Widersacher bekämpfen mussten. Purim ist leider hochaktuell.

Das Interview führte Ina Rottscheidt.

Juden in Deutschland

Jüdisches Leben auf dem Gebiet der Bundesrepublik gibt es seit mehr als 1.700 Jahren. Der älteste schriftliche Nachweis stammt aus dem Jahr 321 aus Köln. Vor der nationalsozialistischen Machtergreifung lebten 1933 auf dem Gebiet des Deutschen Reiches rund 570.000 Juden. In der Folge des Holocaust wurden etwa 180.000 von ihnen ermordet, sehr viele flohen. 1950 gab es nur noch etwa 15.000 Juden in Deutschland. Eine Zukunft jüdischen Lebens im Land der Täter schien unwahrscheinlich und war innerjüdisch umstritten.

Ein jüdischer Mann mit einer Kippa / © Nelson Antoine (shutterstock)
Ein jüdischer Mann mit einer Kippa / © Nelson Antoine ( shutterstock )
Quelle:
DR