Jesuiten kämpfen gegen Bedingungen bei Abschiebehaft

Unnötige Kriminalisierung

Hunderte Menschen werden Jahr für Jahr inhaftiert, ohne dass sie ein Gericht verurteilt hätte. Ein Münchner Jesuit hat versucht, die Praxis der Abschiebehaft in Bayern aufzubrechen - mit erstem Erfolg. Ein Interview mit Dieter Müller vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst.

Abschiebehaft (dpa)
Abschiebehaft / ( dpa )

domradio.de: Wie kann es überhaupt sein, dass Abschiebungsgefangene in Gefängnissen untergebracht werden?

Dieter Müller: Das ist ein Thema, das uns schon sehr lange beschäftigt. Haftvollzug ist Ländersache in Deutschland. Und jedes Bundesland kann den Haftvollzug auf eigene Weise gestalten. Abschiebungshäftlinge werden in den verschiedenen Bundesländern auf verschiedene Weise untergebracht. Das war noch nicht so sehr strittig, bis 2008 eine EU-Richtlinie mit einer Umsetzungszeit von zwei Jahren veröffentlicht wurde, sie ist also ab 2010 rechtsgültig. Und in dieser Richtlinie heißt es: Abschiebungshäftlinge sind grundsätzlich in besonderen, in speziellen Einrichtungen unterzubringen.

domradio.de: Die Frage ist natürlich, wie soll das finanziert werden?

Dieter Müller: Spezielle Einrichtungen gibt es bisher Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz. Weiterer Bundesländer, wie z.B. das Saarland oder zum Teil auch Schleswig-Holstein, lassen ihre Abschiebungshäftlinge in Amtshilfe von Rheinland-Pfalz oder Brandenburg inhaftieren. Man kann also sagen: Vielleicht ein Drittel der Bundesländer verhält sich schon entsprechend der EU-Richtlinie, alle anderen haben noch einen Haftvollzug, der zum Teil in normalen Justizvollzugsanstalten stattfindet. Oder aber sie haben schon eine kleine Einrichtung, in der ein Teil der Abschiebungshäftlinge untergebracht wird.

domradio.de: Was bedeutet es denn für die Menschen, mit Straffälligen zusammen untergebracht zu sein?

Müller: Sie fühlen sich natürlich kriminalisiert. Sie sind den Sicherheitsanforderungen eines Gefängnisses, eines richtigen massiven Gefängnisses unterworfen. Sie haben Kontakt mit Strafgefangenen, auch mit U-Häftlingen. Auch wenn sie auf einer getrennten Etage innerhalb der Häuser untergebracht sind, gibt es genügend Berührungspunkte mit Strafgefangenen. Aber natürlich gibt es auch die ganz praktischen Konsequenzen: Sie sind den Regeln des Hauses und den Regeln des Strafvollzugs unterworfen. Und diese Regeln sind halt naturgemäß weitaus strikter als in speziellen Einrichtungen, in denen nur Abschiebungshäftlinge, also nur ausreisepflichtige Flüchtlinge sitzen. In den speziellen Abschiebehafteinrichtungen gelten hingegen zum Teil eigene Vollzugsgesetze, die weit lockerer sind, weil ein Abschiebungshäftling nichts verbrochen hat, da gibt es keinen Grund, warum der innerhalb einer geschlossenen Einrichtung nicht telefonieren sollte und sich nicht frei bewegen dürfte.  

domradio.de: Was genau haben Sie nun erreicht?

Müller: Wir haben seit etwa sechs bis acht Wochen Beschwerdeverfahren hier in Bayern laufen. Ich habe mit vier Anwälten vereinbart, dass wir möglichst viele Haftbeschwerden einlegen. Ausschlaggebend war im Sommer ein Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofes an den Europäischen Gerichtshof, in dem der BGH den EuGH fragte: Ist es richtig, dass in Deutschland Abschiebungshäftlinge in normalen Gefängnissen untergebracht werden? Müssten die nicht eigentlich in eigenen Einrichtungen sitzen? Und aufgrund dieses Vorlagebeschlusses haben wir uns entschlossen, die unteren Instanzen, also die Landgerichte, auch mit dieser Frage zu konfrontieren. Und in den letzten sechs bis acht Wochen haben wir ungefähr knapp 70 Haftbeschwerdeverfahren angestrengt und mittlerweile sind auch die maßgeblichen Landgerichte hier in Bayern auf unserer Seite, insofern dass sie sagen: Wir müssen die Haft vorerst aussetzen, wir können die Abschiebehäftlinge nicht weiterhin in Haft belassen, wenn ein Beschluss des EuGH ansteht – und der könnte ja positiv im Sinne der Häftlinge ausfallen.

domradio.de: Wir sprechen da von Bayern ‑ wie ist die Situation denn in anderen Bundesländern? Glauben Sie das hat Signalwirkung?

Müller: Auf jeden Fall! Wir können davon ausgehen, dass auch andere Bundesländer, die bisher in normalen Gefängnissen vollziehen, sich jetzt Gedanken machen müssen. Auch dort sind schon einzelne Beschwerdeverfahren gelaufen; z.B. hat das Landgericht Görlitz in Sachsen gleichlautend entschieden wie die bayrischen Gerichte: Die Haft ist auszusetzen. Und ich nehme an, dass auch Sachsen schon über die Eröffnung einer eigenen, speziellen Einrichtung für Abschiebungshäftlinge nachdenkt.

Das Interview führte Verena Tröster.


Quelle:
DR