Jesuiten-Flüchtlingsdienst zur EU-Asylpolitik

"Keine Angst vor Flüchtlingen"

Angesichts des Schicksals der vietnamesischen Boatpeople gründete der damalige Generalobere des Jesuiten, Pater Pedro Arrupe, 1980 den Jesuiten-Flüchtlingsdienst. Die Zahl der Flüchtlinge hat sich seitdem von 16 auf 45 Millionen Menschen fast verdreifacht. Am Internationalen Tag der Migranten ein Gespräch mit Pater Peter Balleis, Internationaler Direktor des JRS in Rom.

 (DR)

KNA: Pater Balleis, sind 30 Jahre Jesuiten-Flüchtlingsdienst ein Grund zum Feiern?

Balleis: Wenn Sie so fragen, nein. Der JRS ist aus dem Mitgefühl für die vietnamesischen Boatpeople entstanden und war als ein Engagement auf Zeit gedacht, aber irgendwo auf der Welt entstanden immer wieder Situationen, die neue Flüchtlinge hervorbrachten. Als wir im Jahr 1994 unsere Arbeit mit den vietnamesischen Flüchtlingen abgeschlossen hatten, kam der Völkermord und die Flüchtlingskrise in Ruanda und Afrika wurde unser Fokus.



KNA: Dann ist es ein Erfolg, wenn Sie ein Gebiet verlassen können?

Balleis: Ja, wie zum Beispiel Angola, wo wir die Arbeit 2007 - nach 12 Jahren - abgeschlossen haben. Ansonsten denken wir nicht in Kategorien wie Erfolg, denn wir arbeiten auf der Seite der Verlierer, wir teilen ihre Ohnmacht, ihre Frustration und ihren Schmerz. Wir versuchen, den Menschen Hoffnung zu geben, damit sie nicht den Fundamentalisten in die Hände fallen. Denn Frustration wird genutzt, um neue Kriege anzufangen.



KNA: Was können Sie als eher kleine Organisation in den mehr als 50 Einsatzländern bewirken?

Balleis: Wir können natürlich keine Nothilfe im großen Stil leisten oder medizinische Versorgung bereitstellen; der Platz von JRS ist im Bildungsbereich. Neben rund 80 Jesuiten und 1.000 Mitarbeitern helfen auch an die 3.000 Flüchtlinge hauptsächlich als Lehrer mit. Über 280.000 Kinder werden in den Schulen erreicht. Eine zweite wichtige Aufgabe des JRS betonte Papst Benedikt XVI. uns gegenüber im Jahr 2008: das ist die spirituelle und psychosoziale Betreuung, unser spezifisch katholischer Beitrag.



KNA: Der Flüchtlingsdienst arbeitet neben Konfliktgebieten wie Südamerika und Afrika auch in Deutschland...

Balleis: Ja, hier begleiten wir hauptsächlich Menschen in Abschiebehaft. In Deutschland und ganz Europa ist die Situation sehr ähnlich, die Politik gegenüber Migranten und Asylsuchenden ist weniger offen. Die Europäische Union schottet sich ab, oft will die Not der Menschen nicht gesehen werden und sie werden beschönigend Wirtschaftsmigranten genannt. Aber wenn Männer und Frauen Länder wie Somalia und den Kongo verlassen, wo es Mord und Vergewaltigung gibt, wenn sie die Überfahrt auf alten Booten auf sich nehmen, dann tun sie das nicht nur um sich ein besseres Hemd kaufen zu können. Diese Menschen haben einen echten Grund.



KNA: Der JRS definiert den Begriff Flüchtling demnach anders als die Genfer Konvention von 1951, in der von Verfolgung aus rassistischen, politischen und religiösen Gründen gesprochen wird?

Balleis: Wir sprechen - wie die kirchliche Soziallehre - von de facto Flüchtlingen, denen die politische, wirtschaftliche oder Umweltsituation in der Heimat keine Lebensmöglichkeit bietet. Durch die Arbeit in der Abschiebehaft kann man Dinge mit anderen Augen sehen und verliert die Angst vor den Fremden. Europa braucht keine Angst vor Flüchtlingen. Flüchtlinge sind sehr motivierte und anpassungsfähige Menschen. Und dass sie zu uns wollen ist ein Kompliment an die EU: Es bedeutet, dass es bei uns Menschen doch in hohem Maße gerecht und mit Würde behandelt werden.



KNA: Wird es den Jesuiten-Flüchtlingsdienst in 30 Jahren noch geben?

Balleis: Leider Gottes ja, da es immer wieder Kriege um die Ressourcen, um Macht und um ethnische, kulturelle und auch religiöse Identität geben wird. Die Flüchtlingsproblematik wird in Zukunft ein noch größeres Thema werden, wenn die Auswirkungen der Klimaveränderungen spürbar werden. Wir spüren es heute schon. Unsere Aufgabe ist es, an der Seite dieser Menschen zu sein, sie zu begleiten, ihnen mit guten Diensten zu helfen und auch für bessere Lösungen und eine gerechtere und friedlichere Welt einzutreten.



Das Gespräch führte Agathe Lukassek.