Jesuit von Gemmingen liefert Impulse für das Heilige Jahr

Anstöße zum Beten und Nachdenken

Eberhard von Gemmingen hat 27 Jahre in Rom gelebt. In einem spirituellen Reiseführer lädt er dazu ein, sich von besonderen Orten und Viten anrühren zu lassen. Vom Heiligen Jahr erhofft er sich geistige und geistliche Anregungen.

Pilgerkreuz auf dem Petersplatz im Vatikan während des Heiligen Jahres 2025 / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Pilgerkreuz auf dem Petersplatz im Vatikan während des Heiligen Jahres 2025 / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Was erwartet man von geistigen Spaziergängen?

Pater Eberhard Freiherr von Gemmingen-Hornberg SJ (KNA)
Pater Eberhard Freiherr von Gemmingen-Hornberg SJ / ( KNA )

Pater Eberhard von Gemmingen SJ (Von 1982 bis 2009 Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan): Ich glaube, bei touristischen Spaziergängen will man möglichst viel sehen, viel wissen und staunen, möglichst viel aufsaugen. Bei geistigen Spaziergängen dagegen sollte man eher langsam vorgehen, sich hinsetzen, gut hinschauen und sich persönlich ansprechen lassen. Man will eben nicht unendlich vieles sehen und anschauen, sondern eher in die Tiefe gehen. 

Man sollte sich berühren lassen von dem, was man sieht, sodass man innerlich angerührt wird und vielleicht ein klein bisschen verändert und vertieft, getröstet und gestärkt wird. 

DOMRADIO.DE: Sie verknüpfen in Ihrem Buch "Mystiker, Exzentriker, Märtyrer. Geistliche Spaziergänge in Rom" die spirituellen Orte jeweils mit Persönlichkeiten der Kirchengeschichte, zum Beispiel mit Ihrem Ordensgründer, dem Heiligen Ignatius von Loyola. Was hatte Ignatius mit Rom zu tun? Und welcher konkrete Ort in Rom lädt zur Erinnerung daran ein? 

von Gemmingen: Der Heilige Ignatius wollte ursprünglich ins Heilige Land, um dort Muslime zu bekehren und Pilger zu betreuen. Das wurde ihm verboten. Daraufhin hat er sich gemeinsam mit seinen ersten Gefährten gefragt: "Wer weiß am besten, wo es brennt in der Kirche? Der Papst weiß das am besten." Deswegen sind sie nach Rom gegangen, um sich vom Papst dorthin schicken zu lassen, wo es am meisten brennt. 

Darstellung des Heiligen Ignatius von Loyola im Petersdom / © Vasilii L (shutterstock)
Darstellung des Heiligen Ignatius von Loyola im Petersdom / © Vasilii L ( shutterstock )

Am Ende hat Ignatius aber 30 Jahre lang in Rom gelebt und von dort aus den Jesuitenorden geleitet. Bei seinem Tod hatte der Orden bereits 1.000 Mitglieder. Und in Rom kann man heute die Räume anschauen, in denen Ignatius damals gewohnt hat sowie nebenan die Kirche Il Gesù. 

Dort steht links in einer kleinen Seitenkapelle eine wunderschöne Muttergottes-Darstellung, die der Heilige Ignatius sehr verehrt hat. Und in der Kirche selbst steht eine tolle silberne Ignatius-Statue. 

DOMRADIO.DE: Sie bringen die Persönlichkeiten in Ihrem Buch immer wieder in fiktive Dialoge untereinander, also lassen zum Beispiel den Heiligen Ignatius mit Martin Luther plaudern. Warum machen Sie das? 

von Gemmingen: Ich glaube, weil die Geschichte dadurch lebendig wird. Diese beiden haben ja etwa zur gleichen Zeit gelebt, sind sich allerdings in der Wirklichkeit in Rom nicht begegnet. Aber sie haben sich wahrscheinlich beide wahnsinnig geärgert über die Schlamperei in Rom in der Seelsorge und darüber, dass zahlreiche Kardinäle in Palästen wohnten. 

Ihnen dürfte auch beiden nicht gefallen haben, wenn Päpste nicht ihren Aufgaben nachkamen, sondern stattdessen ein Luxusleben führten. Sie haben sich beide wahrscheinlich furchtbar über die Kirche geärgert. Aber Ignatius hat eben angepackt und gesagt: "Versuchen wir, es besser zu machen."

Luther hat eher bemängelt, da stimme in der Theologie einiges nicht. Durch einen fiktiven Dialog zwischen den beiden wird in meinen Augen einiges klarer und lebendiger, man geht leichter mit. 

DOMRADIO.DE: Unter Ihren Mystikern, Exzentrikern und Märtyrern sind auch eine ganze Reihe Frauen, zum Beispiel Hermine Speier. Wer war diese Hermine Speier, wofür steht sie und wo finden sich ihre Spuren in Rom? 

von Gemmingen: Hermine Speier war eine Jüdin, die im Vatikan im Archiv und in der Bibliothek gearbeitet hat. Als die Nazis Rom eroberten, wurde sie im Vatikan versteckt und ist dann konvertiert. Bis heute erinnert ein Grabstein auf dem deutschen Friedhof an diese äußerst gebildete Frau. 

Grabsteine auf dem deutschen Friedhof Campo Santo Teutonico innerhalb der Vatikan-Mauern / © Jan Woitas (dpa)
Grabsteine auf dem deutschen Friedhof Campo Santo Teutonico innerhalb der Vatikan-Mauern / © Jan Woitas ( dpa )

In meinem Buch kommen etliche große und bedeutende Frauen vor, zum Beispiel Edith Stein und die Heilige Katharina von Siena. Sie und noch einige weitere waren nicht einfach nur fromme Seelen, sondern auch gescheite, zum Teil revolutionäre Persönlichkeiten. 

DOMRADIO.DE: 44 Persönlichkeiten, 44 Orte, dazu jeweils Gebete und Impulse: Wozu möchten Sie Ihr Publikum anregen? 

von Gemmingen: Ich möchte mein Publikum dazu anregen, nicht nur die guten Restaurants und Cafés aufzusuchen, sondern ein bisschen tiefer in die Geschichte und Kultur Roms zu schauen. Ich möchte sie ermutigen, nicht an der Oberfläche stehenzubleiben, wo der Tourismus hin marschiert. 

Eberhard von Gemmingen

"In Rom können wir sehen, dass aller Dummheit und Korruption zum Trotz wirklich der Heilige Geist weht."

Rom hat ja nördlich der Alpen ein zwielichtiges Bild. Da ist die Rede von viel Korruption, von falscher Theologie und dummen Theologen. Auch ist die Vorstellung weit verbreitet, in Rom werde alles ausgebremst. Das Image von Rom ist also oft schlecht. Aber wenn wir genauer hinschauen, haben selbst eine ganze Reihe korrupter Päpste es nicht geschafft, die Kirche kaputt zu machen. 

Deshalb lässt sich in Rom Hoffnung schöpfen, vor allem auch mit Blick auf die ungezählten Märtyrer. In den ersten 300 Jahren haben ja so viele Christen ihr Leben für Jesus Christus gegeben. Das kann uns Mut machen, dass die Kirche noch lange nicht untergeht. In Rom können wir sehen, dass aller Dummheit und Korruption zum Trotz wirklich der Heilige Geist weht. Und dass es viel mehr Heilige als korrupte Päpste gegeben hat. 

DOMRADIO.DE: Sie sprechen Ihre Einladung auch speziell für Menschen aus, die selbst nicht nach Rom reisen können, weil sie vielleicht zu alt oder aus anderen Gründen verhindert sind. Wie könnte denn so eine spirituelle Gedankenreise aussehen? 

von Gemmingen: Tatsächlich können die meisten Menschen ja wohl nicht in diesem Jahr nach Rom fahren, viele haben auch Angst vor dem Trubel. Sie können dann mein Buch oder ähnliche Bücher in die Hand nehmen und sie sich in aller Ruhe zu Gemüte führen.

Ich glaube, eine aufmerksame Lektüre zu Hause kann manchmal mehr bringen als ein touristisches Event von fünf Tagen mit Essen, Trinken und Hetzen, mit Müdigkeit und Krach. 

DOMRADIO.DE: Sie haben während Ihrer langen Zeit in Rom das letzte Heilige Jahr miterlebt, also das Jahr 2000. Was hat dieses Heilige Jahr damals gebracht? 

von Gemmingen: Zurückdenkend bewegt mich besonders, dass Johannes Paul II. so sehr diese 2000 Jahre der Kirchengeschichte hervorgehoben hat: Dass seit der vermuteten Geburt von Jesus Christi 2000 Jahre verstrichen sind, dass die Kirche seit über 2000 Jahre lebt, dass sie Kultur und Geschichte geprägt hat. 

Johannes Paul II. (Archiv) / © Alessia Pierdomenico (shutterstock)
Johannes Paul II. (Archiv) / © Alessia Pierdomenico ( shutterstock )

Johannes Paul II. hat damals ja auch in einer ganzen Reihe Länder Märtyrologien über die Märtyrer der Neuzeit schreiben lassen, über die unter den Nazis und unter den Kommunisten. Besonders bewegt hat mich auch ein Bild von Johannes Paul II., wie er vom Alter gebeugt an der Heilige Pforte steht. 

Allerdings muss ich sagen, dass mich die Ereignisse im Jahr 2005 noch mehr bewegt haben als das Heilige Jahr selbst; als nämlich zur Beerdigung von Johannes Paul II. um die zehn Millionen Menschen nach Rom kamen und so viele Staatsoberhäupter rund um den Altar saßen. Und als schließlich Joseph Ratzinger zum Papst gewählt wurde, fand ich das persönlich ergreifender als das Jahr 2000. 

Eberhard von Gemmingen

"Ich sehe die Demokratie in Gefahr."

DOMRADIO.DE: Was erhoffen Sie sich von diesem Heiligen Jahr? 

von Gemmingen: Intelligenz. Ich hoffe, dass die wichtigen Politiker von Moskau bis Washington Einsicht haben und vor allem auch die Wähler. Sie werden so stark von den sogenannten sozialen Medien beeinflusst, die in meinen Augen in Wirklichkeit asozial sind, weil sie vor allem Dummheit verbreiten. Ich sehe die Demokratie in Gefahr. 

Ich habe Angst, dass die meisten Menschen sich manipulieren lassen, weil sie leider selbst zu wenig denken. Sie dürfen die Schuld nicht nur auf Leute wie Elon Musk und Co. lenken, sondern müssen sich selbst fragen: "Tue ich genug, um mein Wahlrecht wirklich verantwortungsbewusst wahrzunehmen?"

Denn viele Menschen können zwar lesen und schreiben, aber ob sie wirklich selbstständig denken können, daran hege ich leider Zweifel. 

Eberhard von Gemmingen

"Aber ein Anstoß kann das Heilige Jahr schon sein, ein Anstoß zu denken und zu beten."

DOMRADIO.DE: Glauben Sie denn, dass das Heilige Jahr da Abhilfe schaffen könnte? 

von Gemmingen: Nur wenn jemand die ganze Sache wirklich ernst nimmt. Das Heilige Jahr als Institution oder Reise alleine kann sicher nicht viel bewirken. Aber ein Anstoß kann das Heilige Jahr schon sein, ein Anstoß zu denken und zu beten. 

Es ist sicher gut, den Blick einmal nicht auf Olympische Spiele oder Fußballmeisterschaften zu richten, sondern auf das Heilige Jahr in Rom. Also ein bisschen weg vom Vergnügen und ein bisschen hin zur Qualität.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Heiliges Jahr

Das Heilige Jahr ist ein Jubiläumsjahr in der katholischen Kirche. Es wird regulär alle 25 Jahre begangen. Das Heilige Jahr 2025 steht unter dem Motto "Pilger der Hoffnung". Einen Ablass von Sündenstrafen können Pilger dabei nicht nur bei Wallfahrten an eine der heiligen Stätten des Jubiläums oder eine der vier großen päpstlichen Basiliken in Rom erhalten, sondern auch beim Besuch der Verkündigungskirche in Nazareth, der Geburtskirche in Bethlehem oder der Grabeskirche in Jerusalem.

Pilger gehen durch die Heilige Pforte (2015) / © Cristian Gennari (KNA)
Pilger gehen durch die Heilige Pforte (2015) / © Cristian Gennari ( KNA )
Quelle:
DR

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