Jesuit von Galli war Auge des Konzils und Stimme der Reform

Als Prediger und Redner eine Naturgewalt

Er predigte gegen das Dritte Reich und kommentierte das Zweite Vatikanum. Der Jesuit und Journalist Mario von Galli war ein Mann von Glauben, Witz und bisweilen heiligem Zorn. Rückblick auf eine Stimme katholischer Reformpublizistik.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Mario von Galli, katholischer Priester, theologischer Redakteur und Publizist, spricht zu Teilnehmern des Hungermarsch 70 für Entwicklungshilfe und soziale Gerechtigkeit in der Dritten Welt am 23. Mai 1970 in Frankfurt am Main (KNA)
Mario von Galli, katholischer Priester, theologischer Redakteur und Publizist, spricht zu Teilnehmern des Hungermarsch 70 für Entwicklungshilfe und soziale Gerechtigkeit in der Dritten Welt am 23. Mai 1970 in Frankfurt am Main / ( KNA )

Wenn ein scharfer Verstand, Glaubensstärke und Humor zusammenkommen, hat die Kirche gute Chancen auf eine prophetische Existenz. 

Der Konzilspapst Johannes XXIII. war so einer, der Befreiungstheologe und Erzbischof Helder Camara aus Brasilien – oder Mario von Galli. 

Mario von Galli bot den Nationalsozialisten die Stirn

Der Jesuit und Journalist (1904-1987) erreichte mit seinen treffenden Analysen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) ein Millionenpublikum. Spannend wäre, einen wie ihn auch zum synodalen Reformprozess von heute zu hören.

Kardinal Julius Döpfner, Erzbischof von München und Freising, und Mario von Galli, Redakteur und Publizist während des Weltkongresses der Katholischen Internationalen Union der Presse  am 2. Juli 1968 in Berlin (KNA)
Kardinal Julius Döpfner, Erzbischof von München und Freising, und Mario von Galli, Redakteur und Publizist während des Weltkongresses der Katholischen Internationalen Union der Presse am 2. Juli 1968 in Berlin / ( KNA )

Mario von Galli war alles andere als ein Mann von Furcht. Geboren wurde er am 20. Oktober 1904 in Wien; doch war der gesamte deutsche Sprachraum seine Heimat. 

Den Nationalsozialisten bot er schon bald nach seiner Priesterweihe 1933 mit Herz und Witz die Stirn. 

Hoch gebildet durch sein Studium in Rom, in Österreich, Deutschland und den Niederlanden, war er ein wacher Beobachter der Zeitläufte.

Chefredakteur einer renommierten theologischen Reformzeitschrift 

In seiner Stuttgarter Zeit predigte er dergestalt gegen das NS-System, dass er 1935 Redeverbot erhielt und als Ausländer des Landes verwiesen wurde. 

Als er erfuhr, dass er bei seiner Ausreise an der Schweizer Grenze windelweich geprügelt werden sollte, verlegte Galli die Reise kurzerhand vor, überraschte den Grenzbeamten und überredete ihn, in die Akte "Alles ordnungsgemäß erledigt" einzutragen und ihn seiner Wege ziehen zu lassen.

Die Jahre der braunen Diktatur verbrachte er in Zürich als Prediger, Redner und theologischer Schriftsteller. In den unmittelbaren Nachkriegsjahren folgte ein Intermezzo in Karlsruhe. 

Blick auf das historische Zentrum Zürichs / © Eva Bocek (shutterstock)
Blick auf das historische Zentrum Zürichs / © Eva Bocek ( shutterstock )

Doch schon 1949 kehrte Galli nach Zürich zurück, um dort von 1954 bis 1972 als Chefredakteur die renommierte theologische Reformzeitschrift "Orientierung" zu verantworten.

Als Prediger und Redner eine Naturgewalt 

Sein wichtigstes Talent allerdings war die Rede. Galli als Prediger und Redner war eine Naturgewalt – nicht durch Pathos und große Geste, sondern durch die Kraft seiner Persönlichkeit; die Art, wie er den Einzelnen packen konnte: bei seiner Ehre, bei seiner Frömmigkeit oder seinem gesunden Menschenverstand. Pomp und sinnlose Strukturen erzeugten bei ihm heiligen Zorn. 

Als er einmal polterte, der päpstliche Hof müsse weg und dem Papst sei immer auch ein Hofnarr beizugeben, bemerkte ein Kommentator, Galli sei doch eigentlich selbst der beste Kandidat.

Pater Ludwig Kaufmann, langjährigen Chefredaktor der Zeitschrift Orientierung (KNA)
Pater Ludwig Kaufmann, langjährigen Chefredaktor der Zeitschrift Orientierung / ( KNA )

In der Tat brachte er dafür hervorragende Eigenschaften mit, wie sich sein Ordensbruder und Weggefährte Ludwig Kaufmann (1918-1992) Ende 1987 an seinem Grab erinnerte. 

Noch mit über 80 Jahren trug Galli am liebsten Jeans – und konnte sich dennoch so nobel wie unbefangen auch unter den ganz Großen bewegen. 

Brüllend, leise und hoffnungsfroh

Er beherrschte die Klaviatur der Ansprache: so brüllend und engagiert, "dass mancher Pfarrer Angst bekommen mochte, ob da nicht etwas abbröckelte ... von allem möglichen Firlefanz an der Kirche". 

So leise und hoffnungsfroh, dass auch der letzte Zuhörer sich etwas mit- und vornehmen konnte. So humorvoll und doppelbödig, dass man verstand: Jaja, so läuft das Spiel.

Galli war Hauptprediger bei mehreren Katholikentagen. Seine größte Stunde aber schlug mit dem Konzil. 

Berichterstatter deutschsprachiger Rundfunksender in Rom

Der Jesuit mit der kraftvollen Stimme, den wachen Augen und dem "neuen Klang" wurde Berichterstatter deutscher und österreichischer Rundfunksender in Rom.

 Mit seinen Kommentaren wurde die Zeitschrift "Orientierung" im deutschen Sprachraum zu einem Organ des reformorientierten Katholizismus – wie später auch Sprachrohr lateinamerikanischer Befreiungstheologen mit weltweiter Beachtung. 

Auszug der Bischöfe aus der Konzilsaula in der Peterskirche (1964) / © Ernst Herb (KNA)
Auszug der Bischöfe aus der Konzilsaula in der Peterskirche (1964) / © Ernst Herb ( KNA )

Zudem war Galli häufig Sprecher des "Wort zum Sonntag" und Autor und Mitherausgeber der Freiburger Wochenzeitschrift "Christ in der Gegenwart". 

An das Konzil erinnerte er sich 20 Jahre später als "eine aufregende und herrliche Zeit, geprägt von Zuversicht und Hoffnung".

Ein Prophet ohne Spuren?

Pater Mario von Galli, katholischer Priester, theologischer Redakteur und Publizist am 7. Juni 1982.jpg (KNA)
Pater Mario von Galli, katholischer Priester, theologischer Redakteur und Publizist am 7. Juni 1982.jpg / ( KNA )

In seinen letzten Monaten begleitete Galli, den kritischen Beobachter, die Sorge, so erinnerte sich Ludwig Kaufmann, dass er am Ende ein Prophet sein würde, der keine Spuren hinterlässt, dessen Wort und Urteil im Wind verwehen. 

Auch wenn er nicht über die Anhängerschaft und den Kultstatus eines Ratzinger oder Küng verfügte: Mario von Galli ist eine feste Größe in der deutschsprachigen Theologie und Kirche des 20. Jahrhunderts. 

Als Konzilsberichterstatter ermunterte er zum Glauben und Hoffen, "und er konnte das, weil er selber munter war".

Eine Chronologie des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965)

28. Oktober 1958

Wahl des Patriarchen von Venedig, Angelo Giuseppe Roncalli, zum Papst. Er gibt sich den Namen Johannes XXIII.

25. Januar 1959

Der neue Papst kündigt vor 17 Kardinälen im Kapitelsaal der Basilika Sankt Paul vor den Mauern überraschend ein Konzil für die Weltkirche an. Ziele seien eine "Erneuerung", "größere Klarheit im Denken" und eine "Stärkung des Bandes der Einheit".

17. Mai 1959

Zweites Vatikanisches Konzil (KNA)
Zweites Vatikanisches Konzil / ( KNA )
Quelle:
KNA