Palästinenser dürfen sich im Westjordanland anmelden

"Jede noch so kleine Bewegung ist gut"

Israel erlaubt 4.000 Palästinensern, die schon lange im Westjordanland leben, sich endlich registrieren zu können. Es ist eine kleine Bewegung zwischen Isrealis und Palästinensern, aber eine gute, sagt ein Kenner des Nahost-Konflikts.

Eine ältere Frau in Hebron, Westjordanland / © Richard Juilliart (shutterstock)
Eine ältere Frau in Hebron, Westjordanland / © Richard Juilliart ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Das Westjordanland ist seit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 von Israel besetzt. Ein Teil steht allerdings seit 1994 unter palästinensischer Verwaltung. Das Gebiet gibt immer wieder Anlass zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und Israelis - Attentate, jüdische Siedlungen und eine israelische Grenzmauer.

Ist es wirklich ein Meilenstein in die richtige Richtung, dass Israel nach mehr als einem Jahrzehnt jetzt wieder Anmeldegenehmigungen für Palästinenser im besetzten Westjordanland erteilt?

Stephan Wahl (Priester aus dem Bistum Trier, lebt und arbeitet seit 2018 in Jerusalem): Jede kleine Bewegung, die wir zwischen Palästinensern und Israelis feststellen können, auch wie diese jetzt, ist immer wieder gut und auf jeden Fall hilfreich. Aber man sollte auf jeden Fall auch wissen, dass es keine besondere Entscheidung des Verteidigungsministers gewesen ist, die jetzt ganz besonders gewürdigt werden müsste, denn sie ist eigentlich nur die Konsequenz aus dem Oslo-Abkommen.

In diesem Abkommen aus den 90er-Jahren hatte sich Israel ja verpflichtet, auch die Palästinenser zusammenzuführen und ihnen Aufenthaltsrecht im Westjordanland zu genehmigen. Das ist seit 2009, seit Benjamin Netanjahu an die Spitze des Staates gekommen war, ausgesetzt. Eigentlich setzt Verteidigungsminister Gantz jetzt das noch einmal in Kraft, was eigentlich seit den Osloer Friedensverträgen normal sein müsste. Deshalb darf man das Ganze nicht überbewerten, aber es ist auf jeden Fall Bewegung und jede Bewegung ist gut.

DOMRADIO.DE: Es scheint, als habe der Regierungswechsel im Juni vom konservativen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zum rechtsnationalen Naftali Bennett und seiner Regierungskoalition etwas bewirkt. Aus ihrer Sicht eine Verbesserung - vor allem der Lebensbedingungen der Palästinenserinnen und Palästinenser im Westjordanland?

Wahl: Ich bin vorsichtig mit politischen Äußerungen. Da muss man am besten jemanden in der Botschaft fragen. Aber ich würde als politischer Laie sagen: Alles, was nicht Netanjahu ist, ist für Israel und für Palästina gut. Von daher ist der Regierungswechsel, der auch an sich sehr schwierig ist, weil eine Koalition von rechts bis links zugrunde liegt, die zu unser aller Überraschung bisher sehr gut hält, aber auch das Palästinenser-Problem sehr unterschiedlich bewertet.

Wenn es auf den Ministerpräsidenten Naftali Bennett als solchen ankäme, würde sich wahrscheinlich in Richtung Palästina wenig verändern. Aber das ist bei Verteidigungsministern Gantz oder bei dem Außenminister Lapid ganz anders. Dass diese Regelung jetzt wieder in Kraft gesetzt wird, ist ein Beispiel dafür, und ist wahrscheinlich auch die Folge von Gesprächen zwischen dem Verteidigungsminister Gantz und dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas im August. Die beiden haben sich getroffen und miteinander geredet, während Ministerpräsident Bennett ein Treffen mit dem palästinensischen Präsidenten Abbas generell als völlig unnötig ablehnt.

Es gibt durchaus Schwierigkeiten und Unterschiede innerhalb der neuen Regierung. Das große Problem - Palästina, Friedensvertrag oder Frieden entwickeln - ist im Grunde eigentlich ausgeklammert. Deswegen muss man solche Schritte, zwar als kleine, aber auch als gute Schritte bewerten.

DOMRADIO.DE: Damit man sich das mal zahlenmäßig ein bisschen vorstellen kann: Es geht um 4.000 Menschen. Teilweise sind die betroffenen Einwohnerinnen und Einwohner gar nicht registriert, das sind rund 1.200 von diesen 4.000. Oder sie sind vor 2007 ins Westjordanland gezogen und somit noch im Gazastreifen registriert. Das sind die anderen 2.800.

Benny Gantz, der israelische Verteidigungsminister, räumt den Menschen, die ja schon seit Jahren dort leben, das Recht ein, Ausweisdokumente der Palästinensischen Autonomiebehörde zu beantragen und ihre Wohnadresse zu ändern - aus humanitären Gründen, sagt er. Die Lage im Westjordanland ist verfahren und schon seit Jahren von gewaltsamen Konflikten geprägt. Wie realistisch ist es, dass diese humanitäre Notlage behoben wird?

Wahl: Da bin ich eher pessimistisch. Das ist ja auch eine sehr schwierige Formulierung "aus humanitären Gründen". Denn eigentlich ist Israel aus rechtlichen Gründe dazu verpflichtet, das heißt, er kann eigentlich gar nichts anderes machen, wenn er das Oslo-Abkommen ernst nimmt. Humanitäre Gründe heißt, als wäre das als ein besonderer Gnadenakt. Das ist es ja nicht. Die Gesamtsituation ist immer noch, das haben wir ja an dem Gaza-Konflikt vor einigen Wochen gemerkt, sehr schwierig.

Es stehen ja auch in nächster Zeit wieder Probleme an: In der nächsten Woche entscheidet der Oberste Gerichtshof darüber, ob Hunderte von Palästinensern im ostjerusalemer Stadtteil Silwan ihre Wohnungen zurückgeben müssen, weil es ein Gesetz von 1970 gibt, das es möglich macht, Zwangsräumungen zu veranlassen, wenn verlorenes jüdisches Eigentum von 1948 zurückgefordert wird. Das ist möglich.

Umgekehrt darf palästinensisches Eigentum, das 1948 an jüdische Bürger gegangen ist, nicht zurückgefordert werden. Da ist schon mal wieder Sprengstoff für die nächste Woche. Außerdem sollen in der nächsten Woche 3.000 neue Siedlerbauten in der Westbank genehmigt werden. Da sind die nächsten beiden Problempunkte am Horizont schon sichtbar.

Das Interview führte Katharina Geiger.


Msgr. Stephan Wahl (privat)
Msgr. Stephan Wahl / ( privat )
Quelle:
DR