Italiens Bischöfe sorgen sich um den Zustand der Gesellschaft

"Erziehungsnotstand"

Es war das Bild einer verunsicherten, ja krisenhaften Gesellschaft, das der Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz am Montagabend zu Beginn der 59. Vollversammlung des Episkopats zeichnete. Anlass zur Sorge sind für den Genueser Kardinal Angelo Bagnasco nicht nur die Wirtschafts- und Finanzkrise in seinem Land, der Umgang mit der wachsenden Zahl an Flüchtlingen, die über das Mittelmeer kommen, oder die Folgen des Bebens in den Abruzzen. Seismograph der gesellschaftlichen Krise ist für die Bischöfe der Zustand der Jugend.

Autor/in:
Christoph Scholz
 (DR)

Bis Freitag wollen sie sich in der Synodenaula des Vatikan vor allem den Fragen von Bildung und Erziehung widmen. Wie in ganz Europa muss sich die Kirche in Italien zugleich mit einem wachsenden Säkularismus auseinandersetzen, der sich auch hier programmatisch-politisch artikuliert. Jüngst war es Parlamentspräsident Gianfranco Fini, der die Religion in die Schranken des Privaten wies. Das Parlament solle sich bei der Gesetzgebung nicht an religiösen Geboten orientieren, meinte der langjährige Chef der rechten Alleanza Nazionale bei einer Diskussion zur Bioethik. Fini versucht sich derzeit als liberaler Modernisierer für die Berlusconi-Nachfolge zu empfehlen. Gerade deshalb lässt seine Kirchenkritik aufhorchen.

Entsprechend deutlich wandte sich Bagnasco gegen eine Tendenz, die Kirche auf Spiritualität und Sozialagentur zu reduzieren, und ihre Aussagen über Mensch und Gesellschaft aus Politik und Öffentlichkeit zu verdrängen. Diese betreffen für die Bischöfe derzeit vor allem die Bioethik. Der Fall der Koma-Patientin Eluana Englaro entwickelte sich zu Jahresbeginn in Italien fast zu einem Kulturkampf. Der nächste Konfliktpunkt dürfte das geplante Gesetz zur künstlichen Befruchtung sein. Bagnasco wandte sich in diesem Zusammenhang dezidiert gegen eine Selektion von Embryonen.

Konfliktlinien auch in der Gesellschaftspolitik
Aber auch in der Gesellschaftspolitik zeigen sich Konfliktlinien. Im Vordergrund stehen dabei die Verschärfung des Ausländerrechts sowie der Schutz der Arbeitsplätze angesichts der Finanzkrise. Die Bischöfe stellen inzwischen über kirchliche Banken Kleinkredite für bedürftige Familien zur Verfügung. Finanziert wird dies auch über eine Sonderkollekte.

Ein Thema, das derzeit die Gemüter Italiens ganz besonders erhitzt, klammern die Bischöfe allerdings aus: Das Verhältnis von Premier Silvio Berlusconi zur 18-jährigen Neomi Letizia. Bislang hat nur die katholische Wochenzeitschrift "Familia Cristiana" in den Chor derer eingestimmt, die Aufklärung verlangen, da auch ein Regierungschef keine "moralische Immunität" besitze. Bischöfe und andere katholische Medien meiden hingegen vordergründiges Moralisieren und politische Instrumentalisierungen. Der Generalsekretär der Bischofskonferenz, Bischof Mariano Crociata, mahnte allerdings am Rand der Vollversammlung, dass jeder eine Verantwortung auch für die öffentliche Wirkung seines Verhaltens trage.

"Politik der Effekthascherei"
Der Jesuit Bartolomeo Sorge von "Civilta Cattolica" wie der "Osservatore Romano" kritisieren grundsätzlich eine Politik der Effekthascherei und den wachsenden Kult um "Show-Girls" in Italien. Diese gehören inzwischen zum festen Inventar sämtlicher italienischer TV-Kanäle und mancher Parteitagsbühnen. Der Jesuit wie die Bischöfe sehen darin nicht zuletzt den Ausdruck für verzerrte Lebensmodelle, die der Jugend über die Medien als Vorbilder präsentiert werden.

Die Bischöfe sprechen seit längerem von einem "Erziehungsnotstand" in Italien. Nicht nur sie konstatieren unter der Jugend eine innere Leere und Langeweile. Allerdings ergehen sie sich nicht in einer pauschalen Generationen-Schelte. Im Gegenteil, ihre Kritik gilt zuallererst den Erziehern. Es gehe nicht an, dass die Erwachsenen angesichts von Übergriffen und Exzessen entrüstet aufschrien, dann aber sofort wieder zum Alltag übergingen - ohne die Lebensmodelle zu korrigieren, die sie den Jugendlichen tagtäglich anböten, kritisierte Bagnasco.

Für die Kirche in Italien ergibt sich aus dieser Analyse nach Ansicht des Erzbischofs vor allem die Herausforderung an Priester und Gemeinden, der Sorge um Bildung und Erziehung wieder Priorität einzuräumen. Was das konkret heißt, darüber wollen sich die Bischöfe bis Freitag auseinandersetzen.