Israels Ex-Botschafter Primor sieht keine islamistische Bedrohung aus Ägypten

Im Zweifel für die Wirtschaft

Zu einem Schulterschluss von Ägypten mit Iran wird es nach Meinung von Avi Primor nicht kommen. Im domradio.de-Interview zeigt sich Israels Ex-Botschafter davon überzeugt, dass Ägyptens neuer Präsident den Frieden mit Israel nicht aufkündigen wird.

 (DR)

domradio.de: Den Wahlsieg Mursis in Ägypten werten viele als weitere Etappe auf dem Weg des Landes in einen islamistischen Winter. Teilen Sie diese pessimistische Prognose?

Avi Primor: Nicht unbedingt. Es wäre mir natürlich auch viel lieber, hätten die Demokraten oder zumindest Liberalen oder Weltoffenen, die die Revolution entfesselt haben, die Macht anhand von demokratischen Wahlen gewinnen können. Das war aber von Anfang an nicht realistisch, so wie es 1979 in Teheran nicht realistisch war, da haben ja auch die Weltoffenen, die Liberalen die Revolution gegen den Schar begonnen und dann fiel es in die Hände der Islamisten, weil die Bevölkerung noch nicht so weit ist. Demokratie kann man nicht erzwingen. Das muss gedeihen. Das geht Schritt für Schritt.



Nun, haben die Israelis vor Islamisten Angst? Natürlich, weil die Islamisten tatsächlich sehr hart gegenüber Israel sind, aber man muss sich ja vorstellen, warum haben die Ägypter zu Zeiten von Sadat und danach mit Mubarak, den Frieden mit Israel geschlossen und ihn aufrechterhalten? Nicht weil sie in Israel plötzlich verliebt waren, sondern weil sie begriffen haben, dass das ein echtes unentbehrliches ägyptisches Interesse ist, genauso war es mit Jordanien, beinahe war es genau auch mit Syrien. Jetzt, jede Regierung, die an die Macht kommen wird, wird genau die gleichen Interessen haben. Sie wird für Ägypten sorgen müssen und das bedeutet keinen Krieg mit Israel, den Friedensvertrag aufrechtzuerhalten, damit man auch mit Amerika weiter zusammenarbeiten kann und - das sagen selbst die Islamisten - sie werden mit den wirtschaftlichen und sozialen Problemen Ägyptens, die erheblich sind, total beschäftigt sein.



domradio.de: Glauben Sie denn, dass Mursi sich tatsächlich an den Friedensvertrag mit Israel halten wird?

Primor: Vollkommen, so genau glaube ich es, weil erstens kann er sich einen Krieg mit Israel nicht leisten, angesichts der äußerst maroden Wirtschaftssituation Ägyptens, die Armee wird auch nicht mitmachen und, sollten sie das machen, würden sie auch die amerikanische Hilfe verlieren bzw. die saudi-arabischen. Also das ist ein ägyptisches Interesse. Nun muss man noch etwas hinzufügen, nach der Schließung des Friedens mit Ägypten, zwischen Israel und Ägypten 1979, gab es eine Welle von Begeisterung in Ägypten über diesen Frieden. Heute gibt es diese nicht mehr, weil die Ägypter sich doch solidarisch mit den Palästinensern fühlen. Nicht aus ägyptischem Interesse, sondern aus emotionalem Interesse haben sie große Ressentiments gegenüber den Israelis, aber das ist eine Sache, die wir lösen können, wenn wir mit den Palästinensern ehrlich verhandeln sollten. Das hat auf jeden Fall nichts mit den bilateralen israel-ägyptischen Beziehungen zu tun.



domradio.de: Das heißt resümierend, wird sich die Außenpolitik Ägyptens unter Mohammed Mursi  wesentlich von der unter Hosni Mubarak unterscheiden?

Primor: Glaube ich nicht, weil nochmals, wir müssen uns die Frage stellen, was wird Staatsräson für Ägypten? Nicht für eine islamistische Bewegung, sondern für eine Regierung eines Landes. Die brauchen die amerikanische Hilfe, 1,3 Milliarden Dollar jährlich unentbehrlich! Sie brauchen die Mitarbeit mit den Streitkräften, sie können sich keine Trennung von den Streitkräften leisten, weil die Streitkräfte viel zu mächtig sind und auch einen Großteil der Wirtschaft in ihren Händen haben und sie brauchen auch die Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien, das heißt nicht eine erneuerte Allianz mit Iran wie man es schon so vorgeschlagen hat. Also insgesamt wird das dieselbe Politik sein mit vielleicht irgendwelchen anderen Nuancen in den offiziellen Reden.



domradio.de: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen, die jetzt auf den designierten Präsidenten Mursi zukommmen?

Primor: Die Wirtschaft, die Wirtschaft, die Wirtschaft und die Wirtschaft. Ägypten, die Tochter des Nils, ein Land das Jahrtausende von dem Nil gelebt hat, kann nicht mehr von dem Nil leben. Der Nil hat nicht mehr genug Wasser. Ägypten ist von zwei Millionen Anfang des 20. Jahrhunderts auf 87 Millionen Menschen gewachsen. Die müssen eine neue Wirtschaft erfinden! Sie brauchen Investitionen und das können Sie nur im Rahmen des Friedens und in einer Zusammenarbeit mit den Besten erzielen, deshalb wird es keine echte Wende geben.



Das Interview führte Stephan Baur (domradio.de)





Hintergrund

Ein angebliches Interview des neuen ägyptischen Präsidenten Mursi mit einer iranischen Nachrichtenagentur hatte Anfang der Woche für Verwirrung gesorgt. Der frischgewählte Mohammed Mursi soll gesagt haben, dass Ägypten eine Annäherung an den Iran suche und den Friedensvertrag mit Israel "revidieren" wolle. Fast zwölf Stunden später ließ Mursi seine angeblichen Aussagen dementieren. Der Präsident habe der Agentur kein Interview gegeben, hieß es.



Die Wahlkommission in Ägypten hatte am Sonntag den Sieg Mursis bekanntgegeben. Er kam demnach auf einen Stimmenanteil von 51,7 Prozent. Insgesamt lag die Wahlbeteiligung bei 51 Prozent. Laut Medienberichten feierten auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo Zehntausende Anhänger den neuen Präsidenten. Mursi, den die konservative Muslimbruderschaft aufgestellt hat, setzte sich in der Stichwahl am vergangenen Wochenende gegen den früheren Regierungschef Schafik durch. Er tritt die Nachfolge des gestürzten Präsidenten Mubarak an.



Nach seinem Wahlsieg kündigte Mursi seinen Austritt aus der Partei der Muslimbrüder an. Er wolle ein Präsident aller Ägypter sein. Den Frauen und den Christen in Ägypten sagte er eine gleichberechtigte Rolle zu in der ägyptischen Gesellschaft. Am Mittwoch traf Mursi mit Vertretern der katholischen Kirche in Kairo zusammen. Wie der Pressedienst "Asianews" unter Berufung auf den Sprecher der katholischen Bischöfe, Antoine Rafic Greiche, berichtet, sicherte Mursi dabei gemeinsames Bemühen um eine Lösung der Probleme der Christen im Land zu. Greiche bezeichnete das Treffen, das auf Wunsch Mursis stattfand, als vorerst "gutes Zeichen für die Zukunft der Christen in Ägypten". Den Worten müssten nun aber Taten folgen.