Israels Botschafter schlägt Alarm

Wachsender Antisemitismus

Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel haben die antisemitischen Straftaten in Deutschland drastisch zugenommen. Israels Botschafter spricht von "Angst" unter den Juden in Deutschland und fordert: "Wir müssen aufwachen."

Autor/in:
Michael Fischer
Menschen nehmen nach dem Großangriff der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas auf Israel an einem Gedenk- und Solidaritätsgebet für Israel in der Berliner Synagoge in der Münsterschen Straße teil. / © Monika Skolimowska (dpa)
Menschen nehmen nach dem Großangriff der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas auf Israel an einem Gedenk- und Solidaritätsgebet für Israel in der Berliner Synagoge in der Münsterschen Straße teil. / © Monika Skolimowska ( dpa )

Israels Botschafter Ron Prosor fordert eine entschlossenere Reaktion auf den wachsenden Antisemitismus inDeutschland. "Die Tatsache, dass Juden Angst haben, mit einer Kippa auf die Straße zu gehen oder auf Hebräisch in ihre Handys zusprechen, das kann einfach nicht sein. Wir müssen aufwachen", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Leute, die Angst haben, ihre Kinder in die Schule zu bringen, wenn die Schule nicht geschützt wird: Das sind Verhältnisse, die nicht normal sind", mahnte Prosor, der seit 2022 Botschafter in Berlin ist. "Die Angst ist wirklich da."

Ron Prosor, Botschafter Israels in Deutschland, nach der Feierstunde vor der Synagoge in Dessau / © Jan Woitas (dpa)
Ron Prosor, Botschafter Israels in Deutschland, nach der Feierstunde vor der Synagoge in Dessau / © Jan Woitas ( dpa )

Mehr als 1100 antisemitische Straftaten 

Seit dem Terrorangriff der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober sind die antisemitischen Straftaten in Deutschland deutlich gestiegen. Das Bundeskriminalamt (BKA) verzeichnete alleine im Zusammenhang mit der Eskalation des Nahost-Konflikts bis zum 21.Dezember mehr als 1100 Delikte im kriminalpolizeilichen Meldedienst für Fälle politisch motivierter Kriminalität, wie ein BKA-Sprecherder dpa auf Anfrage mitteilte. Es handele sich vor allem um Sachbeschädigungen und Volksverhetzungen.

Das ist deutlich mehr als in jedem der ersten drei Quartale dieses Jahres, zu denen das Bundesinnenministerium zuletzt im November Zahlen veröffentlicht hat. Danach wurden im ersten Quartal 558 antisemitische Straftaten registriert, im zweiten Quartal waren es 609 und im dritten 540. Diese Zahlen beinhalten alle Delikte – die links- und rechtsextremistisch motivierten ebenso wie die aus den Kategorien "religiöse Ideologie" und "ausländische Ideologie".

Die mehr als 1100 Straftaten seit Anfang Oktober sind dagegen nur die im Zusammenhang mit der Eskalation des Nahost-Konflikts erfassten. Die Gesamtzahl dürfte also noch deutlich höher liegen. Im gesamten vergangenen Jahr wurden – Stand November 2023 – insgesamt 2874 antisemitische Straftaten registriert, darunter 88 Gewalttaten.

Bildungslücken zu Israel schließen

Prosor betonte, dass der zunehmende Antisemitismus kein rein deutsches Problem sei. "In Deutschland ist es aber noch wichtiger alsanderswo, das zu ändern", sagte er. "Wenn Molotowcocktails geworfen werden, um Synagogen in Brand zu stecken, dann kann man nicht nur mit Worten darauf reagieren, man muss praktisch etwas tun."

Prosor forderte, in den Schulen anzusetzen und Bildungslücken zu schließen, was Israel angeht. "Wir haben ein echtes Problem beiJugendlichen. Je jünger die Leute sind, desto mehr fremdeln sie gegenüber Israel", sagte er der dpa. "Wir haben da eine Aufgabe, wirmüssen für bessere Bildung über Israel sorgen, etwa an den Schulen."

Antisemitismus als Gefahr für die gesamte Gesellschaft

Man müsse sich fragen, in welcher Wirklichkeit, in welcher Gesellschaft und in welchem Land man eigentlich leben wolle, sagte Prosor. "In einem Land, in dem Polizisten Kindergärten beschützen müssen? In einem Land, in dem jüdische Schulen Tag und Nacht geschützt werden müssen? In einem Land, in dem Davidsterne auf Häuser gesprüht werden, in denen Juden leben?", fragte er. "Das kann mannicht als normal ansehen."

Antisemitismus sei gefährlich, egal ob er aus der rechtsradikalen, linksradikalen oder muslimischen Ecke komme, betonte der Botschafter. "Er ist immer eine Gefahr – nicht nur für Juden, sondern für die Gesellschaft insgesamt."

Prosor würdigt das Vorgehen der Sicherheitsbehörden

Der Diplomat würdigte das Vorgehen der deutschen Sicherheitsbehörden gegen Antisemitismus und gegen die wachsende Terrorgefahr. Mitte Dezember waren vier mutmaßliche Mitglieder der islamistischen Hamas in Berlin und im niederländischen Rotterdam festgenommen worden. Den drei Verdächtigen aus Berlin – ein Ägypter und zwei geborene Libanesen – wirft die Bundesanwaltschaft vor, nach Waffen gesucht zu haben, die für mögliche Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Europa bereitgehalten werden sollten.

"Ich glaube, dass die deutschen Behörden die Gefahr kennen. Wir müssen wachsam bleiben, weil der internationale Terrorismus ständig aufrüstet", sagte Prosor. "Der Rechtsstaat muss den Terroristen immer einen Schritt voraus sein."

Juden in Deutschland

Jüdisches Leben auf dem Gebiet der Bundesrepublik gibt es seit mehr als 1.700 Jahren. Der älteste schriftliche Nachweis stammt aus dem Jahr 321 aus Köln. Vor der nationalsozialistischen Machtergreifung lebten 1933 auf dem Gebiet des Deutschen Reiches rund 570.000 Juden. In der Folge des Holocaust wurden etwa 180.000 von ihnen ermordet, sehr viele flohen. 1950 gab es nur noch etwa 15.000 Juden in Deutschland. Eine Zukunft jüdischen Lebens im Land der Täter schien unwahrscheinlich und war innerjüdisch umstritten.

Ein jüdischer Mann mit einer Kippa / © Nelson Antoine (shutterstock)
Ein jüdischer Mann mit einer Kippa / © Nelson Antoine ( shutterstock )
Quelle:
dpa