Israels Botschafter fordert klare Worte der Kirche zum Krieg

"Jetzt ist nicht die Zeit für Deeskalation"

Wegen Äußerungen nach dem Angriff der Hamas gibt es wieder Spannungen in der Beziehung von Israel und dem Heiligen Stuhl. Der israelische Botschafter am Heiligen Stuhl, Raphael Schutz, spricht über Erwartungen und Enttäuschungen.

Raphael Schutz, Botschafter von Israel beim Heiligen Stuhl / © Paolo Galosi/Romano Siciliani (KNA)
Raphael Schutz, Botschafter von Israel beim Heiligen Stuhl / © Paolo Galosi/Romano Siciliani ( KNA )

KNA: Herr Botschafter, Papst Franziskus hat am Mittwoch gesagt, wer angegriffen werde, habe das Recht, sich zu verteidigen. Sind Sie mit dieser Äußerung des Papstes zufrieden?

Papst Franziskus während der Generalaudienz / © Alessandra Tarantino (dpa)
Papst Franziskus während der Generalaudienz / © Alessandra Tarantino ( dpa )

Raphael Schutz (Israelischen Botschafter am Heiligen Stuhl): Vielleicht gehen wir erst einmal einen Schritt zurück. Der Papst hat sich am Mittwoch so geäußert; aber am Sonntag davor, beim Angelus-Gebet, hat er das nicht gesagt. Für mich ist der Bestandteil über das Selbstverteidigungsrecht natürlich entscheidend. In diesem Sinne bin ich zufrieden mit dem nun gemachten Zusatz.

KNA: Am Mittwoch hat der Papst auch gesagt, dass er sehr besorgt über die totale Blockade des Gazastreifens sei und dass es auch unschuldige Opfer unter den Palästinensern gebe.

Raphael Schutz

"Wir handeln zu 100 Prozent innerhalb dessen, was das internationale Recht erlaubt."

Schutz: Es ist wahr, dass es unschuldige Leute unter den Palästinensern gibt – so wie es auch unschuldige Deutsche im Zweiten Weltkrieg gab. Ich kann seine Sorge verstehen. Aber die Sache ist komplex. In den modernen asymmetrischen Kriegen sind die Betroffenen häufig nicht Soldaten, sondern Zivilisten. Die Frage ist: Wie führt man sein Recht auf Selbstverteidigung aus, wenn die andere Seite absichtlich von innerhalb der eigenen Bevölkerung aus operiert?

Unsere Armee versucht, so gut es geht die zivile Bevölkerung nicht zu treffen. Das ist eine sehr schwierige Aufgabe, weil die andere Seite Zivilisten als Schutzschild benutzt. Werden sie doch getroffen, dann werden sie zum Werkzeug in der internationalen politischen Kampagne gegen Israel. Zahlen zeigen, dass die israelische Armee vorsichtiger ist und mehr Maßnahmen ergreift, um zivile Opfer zu minimieren, als es seinerzeit die Nato-Truppen auf dem Balkan und die westliche Koalition in Afghanistan taten. Wir handeln zu 100 Prozent innerhalb dessen, was das internationale Recht erlaubt.

KNA: Ihre Botschaft hat sich über ein Statement christlicher Kirchenführer in Jerusalem enttäuscht geäußert, das am Samstag kurz nach den Angriffen veröffentlicht wurde.

Schutz: Wir haben uns sogar geärgert.

KNA: Was war das Problem?

Raphael Schutz

"Die Tendenz, sich angeblich ausgewogen zu verhalten, ist ein Problem."

Schutz: Wenn man den Text liest, kann man nicht verstehen, was passiert ist. Man kann nicht verstehen, wer was gemacht hat; wer der Aggressor ist und wer angegriffen wurde. Das war alles sehr allgemein gehalten. Die Tendenz, sich angeblich ausgewogen zu verhalten, ist ein Problem. Ich sage, man kann nicht ausgewogen sein, wenn es eine gute Seite und eine böse Seite gibt. Dann muss man etwas Substantielles sagen – und das haben sie nicht getan.

KNA: Der Jerusalemer Patriarch Pierbattista Pizzaballa hat im Nachhinein erklärt, das Statement sei voreilig formuliert gewesen, und die Kirchenführer könnten die Gefühle der Israelis angesichts des "Horrors" verstehen. Wie bewerten Sie diese Erklärung?

Schutz: Kardinal Pizzaballa hat auch gesagt, dass jetzt nicht die Zeit ist, in eine Meinungsverschiedenheit einzutreten. Stattdessen müssen wir uns auf das Hauptthema konzentrieren. Ich stimme da vollkommen zu.

KNA: Sie sagten eben, Kirchenverantwortliche hätten den Aggressor Hamas nicht eindeutig benannt. Was ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür?

Schutz: Es mag an der christlichen Gemeinde liegen, die im Gazastreifen lebt. Aber ich weiß es nicht. Ich finde, wenn so etwas passiert, muss man klar sein in dem, was man sagt.

KNA: Wie hätte Papst Franziskus am Sonntag beim Angelus reagieren sollen?

Schutz: Ich werde keinen Text vorschlagen. Er ist der Papst, und er hat sich am Mittwoch noch einmal geäußert. Aber am Sonntag hat er zum Beispiel gesagt, dass jeder Krieg eine Niederlage sei. Natürlich ist es eine Niederlage, wenn wir es nicht schaffen, einen Krieg zu verhindern. Ich würde aber hinzufügen, dass es Kriege gibt, die nicht nur gerechtfertigt sind, sondern die das Böse bekämpfen. 

Raphael Schutz

"Wenn man wie jetzt mit dem absolut Bösen konfrontiert ist, muss man einen Krieg führen, bevor man Frieden haben kann."

Jetzt hört man Begriffe wie "Deeskalation". Und ich sage: Nein, jetzt ist nicht die Zeit, um zu deeskalieren. Niemand hat an Deeskalation gedacht, bevor Europa 1945 befreit wurde oder als es um den IS oder um den 11. September ging. Wenn man wie jetzt mit dem absolut Bösen konfrontiert ist, muss man einen Krieg führen, bevor man Frieden haben kann. Die Leute sagen, sie beten für den Frieden. Ich sage, lasst uns zuerst dafür beten, dass wir diesen Krieg gewinnen. Das wird uns den Frieden bringen.

KNA: Wie viel Einfluss können die Worte des Papstes in Konfliktsituationen überhaupt haben?

Schutz: Das ist schwer einzuschätzen. Ich denke, er ist eine wichtige Stimme. Es gibt 1,4 Milliarden Katholikinnen und Katholiken auf der Welt. Indem Papst Franziskus wichtige Themen deutlich anspricht – soziale Themen, den Klimawandel und so weiter – erreicht er eine Öffentlichkeit, die über diese 1,4 Milliarden Katholiken sogar hinausreicht. Die Menschen hören auf ihn, und das ist wichtig.

Kardinal Pierbattista Pizzaballa, Lateinischer Patriarch von Jerusalem, bei der Messe in der Basilika Santa Maria Maggiore in Rom / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Kardinal Pierbattista Pizzaballa, Lateinischer Patriarch von Jerusalem, bei der Messe in der Basilika Santa Maria Maggiore in Rom / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

KNA: Er hat auch den Ukraine-Krieg deutlich angesprochen und sich sogar persönlich als Vermittler in möglichen Friedensvermittlungen angeboten. Sind Sie enttäuscht, dass er sich anscheinend nicht so stark einbringen will, wenn es um die Lage in Israel und Palästina geht?

Schutz: Nein. Ich weiß, dass es ihn kümmert. Er kümmert sich ganz allgemein um Menschen, und er kümmert sich um das Heilige Land, das eines der wichtigsten Zentren für die katholische Kirche ist. Das hat man auch daran gesehen, dass er Patriarch Pizzaballa zum Kardinal ernannt hat. Die Lage zwischen der Ukraine und Russland ist schwierig; aber es gibt dort keinen Akteur wie die Hamas, die nichts anderes will, als Menschen zu töten – vor allem jüdische Menschen.

KNA: Gibt es vom vatikanischen Staatssekretariat Signale, dass sich der Heilige Stuhl in irgendeiner Weise diplomatisch engagieren will?

Schutz: Es gibt einen Austausch darüber, was passiert. Aber ich kann nicht sagen, dass es irgendeinen Versuch gegeben hätte, eine gewisse Rolle zu spielen. Das wäre auch verfrüht. Leider ist jetzt nicht die Zeit zu verhandeln. Wir müssen zuerst und vor allem diesen Krieg führen und gewinnen.

KNA: Diese Woche fand in Rom ein großer Kongress statt. Es ging um das Eingreifen oder Nicht-Eingreifen von Papst Pius XII. während der Judenverfolgung im Dritten Reich. Beeinflusst die Geschichte auch heute noch die Beziehungen zwischen Israel und dem Heiligen Stuhl?

Schutz: Die Diskussionen über Pius XII. sollten unter Historikern und Theologen weitergehen. Ich sehe das nicht als ein Thema, das in den aktuellen politischen Beziehungen zwischen Israel und dem Vatikan eine Rolle spielt.

Das Interview führte Anita Hirschbeck (KNA). 

Quelle:
KNA