Islamwissenschaftler warnt vor Pauschalverurteilungen von Religionen

Keine Gewalt im Namen Gottes

Zu einer Versachlichung in der Diskussion über den Islam haben Christen und Muslime gemeinsam in einem Positionspapier aufgerufen. "Das ist ein großer Schritt", sagt dazu der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide gegenüber domradio.de.

Mouhanad Khorchide / © Caroline Seidel (dpa)
Mouhanad Khorchide / © Caroline Seidel ( dpa )

Auf der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken wurde kurz vor dem Beginn des 100. Deutschen Katholikentags in Leipzig eine Erklärung des Gesprächskreises Christen und Muslime veröffentlicht. Das Papier "Keine Gewalt im Namen Gottes!" hält fest: "Als Christen und Muslime verurteilen wir jedweden Fundamentalismus, Radikalismus, Fanatismus und Terrorismus, seien sie religiös oder anders begründet." Zugleich warnt die Erklärung davor, dass Islamfeindlichkeit alltäglich werde. "Sie ist ebenso unchristlich wie Judenfeindlichkeit." Dem müsse man Aufklärung und Begegnungen entgegensetzen.

domradio.de: Herr Khorchide, Sie haben das Papier gelesen. Wie finden Sie es?

Mouhanad Khorchide (Professor für islamische Religionspädagogik an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster): Ich finde das Papier als Positionspapier sehr wichtig, denn es signalisiert ganz klar und unmissverständlich, dass sich hier Christen und Muslime für den Frieden, für die Friedenspotentiale in ihren Religionen einsetzen. Sie erteilen jeglicher Form von Gewalt im Namen des Islams oder des Christentums eine deutliche Absage.

domradio.de: Für wen ist das Papier? Wen kann es ansprechen?

Khorchide: Das Papier ist für alle Multiplikatorinnen und Multiplikatoren gedacht, die selbst in kirchlichen Gemeinden oder in muslimischen Vereinigungen in Lehrbereichen tätig sind und eine Vermittlungsrolle haben. Ziel sollte es sein, die Inhalte und Positionen des Papiers an deren Adressaten, Schülerinnen und Schüler oder Gemeindemitglieder weiterzugeben.

domradio.de: Christen und Muslime haben das Papier gemeinsam erarbeitet. Islamverbände wie die DITIB haben es auch unterzeichnet. Überrascht Sie das?

Khorchide: Mich hat es positiv überrascht, dass die DITIB und auch der Zentralrat der Muslime das Papier mit den Positionen unterschrieben haben, die besagen, dass man heute den Koran in seinem  historischen Kontext lesen muss und nicht wortwörtlich interpretieren soll. Nur so können wir Gewaltpotentiale im Koran entschärfen und relativieren. Ich fand es schon erstaunlich, dass man diesen offenen, historisch kritischen Umgang mit dem Koran an dieser Stelle ganz klar bejaht hat.

domradio.de: Aber es gibt etliche Islamisten und Salafisten, die dieses Papier strikt ablehnen werden, oder?

Khorchide: Definitiv. Das Papier besagt, dass Muslime und Christen Brüder und Schwester im Glauben sind, für Frieden eintreten und den Koran im historischen Kontext lesen. All das wird von Extremisten, Salafisten und Fundamentalisten entschieden abgelehnt. Die meinen, mit Christen wolle man nichts zu tun haben, weil Christen eine Irrlehre verfolgen. Ihre Meinung ist, dass man den Koran wörtlich auslegen müsse. Wenn es in der zweiten Sure, 191 heißt, "tötet sie, wo immer ihr sie findet", dann müsse man alle Nicht-Muslime töten, wo immer man sie aufspürt. Da geht es nicht um den historischen Kontext und die Verortung im siebten Jahrhundert. Deshalb lehnen sie das Papier ab - auch weil dadurch ihre Legitimation für ihren Extremismus entzogen wird.

domradio.de: Das Papier haben liberale, tolerante Christen und liberale, tolerante Muslime verfasst. Kann man trotzdem die Randgruppen damit irgendwie erreichen?

Khorchide: Unmittelbar wird man die Randgruppen, die Extremisten schwer erreichen können. Aber es ist ja ein Prozess, ein Diskurs. Man erreicht welche, die in der Mitte sind, und welche, die ein bisschen rechts oder links von der Mitte stehen. Wenn die wiederum Multiplikatoren sind - und das sind die Hauptadressaten des Positionspapiers - dann kann es für sie leichter werden, die Menschen an den religiösen Rändern anzusprechen oder zumindest können Menschen, die potentielle Rekruten für die extremistischen Milieus sind, rechtzeitig erreicht werden. Deshalb lohnt es sich, dass wir dieses Papier haben.

domradio.de: Sie haben sogar gesagt, dieses Papier bringe uns einen großen Schritt weiter. Wie haben Sie das gemeint?

Khorchide: Das Papier bringt uns definitiv insofern einen großen Schritt weiter, weil bis jetzt noch nicht in dieser Form - ganz pointiert und unmissverständlich - gemeinsame Positionen gegen Terror, gegen Gewalt formuliert wurden. Christen und Muslime erteilen nicht nur Gewalt im Namen ihrer Religion eine klare Absage, sondern sie betonen auch die Friedenspotentiale im Islam und im Christentum. Wir sagen in diesem Papier nicht nur, wogegen wir sind, sondern wofür wir stehen.

domradio.de: Was können wir denn tun, um sowohl die Bibel als auch den Koran nicht so beliebig für diejenigen zu machen, die sich das rauspicken, was man aus beiden Büchern herauspicken kann. In beiden Texten gibt es Stellen, aus denen man sich Legitimationen herausfiltern kann, um Kriege zu führen.

Khorchide: Einerseits müssen wir uns vergewissern, dass es sich bei diesen Büchern um Texte handelt, die in ihrer Zeit verkündet wurden. Wenn ich als muslimischer Theologe vom Koran spreche, dann spreche ich von einem Buch, das im siebten Jahrhundert als Kommunikation, als mündliche Rede verkündet wurde. Kommunikation bedeutet, es gibt Adressaten. Ich muss den historischen Kontext dieser Adressaten im siebten Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel erst einmal verstehen, um den Koran verstehen und mich vor Beliebigkeit und einer Missinterpretation zu schützen. Zudem brauchen wir klare Kriterien, damit ich weiß, dass ich nicht etwas in den Koran hineinprojiziere, sondern ich kommuniziere mit dem Koran und der Koran kommuniziert mit mir. Ich plädiere hier für das Kriterium der Barmherzigkeit, wenn es um den Koran geht, weil das der Anspruch des Korans an sich selbst ist. Es ist der Anspruch an Mohammeds Verkündigung, weil der Koran zu ihm sagt, wir haben dich lediglich als Barmherzigkeit für alle Welten entsandt - nicht für Muslime, nicht für Gläubige, sondern für alle Welten. Jede Interpretation oder Auslegung des Korans, die dem Kriterium der Barmherzigkeit widerspricht, ist zu verwerfen, weil sie dem Geist des Korans entgegensteht.

domradio.de: Es ist viel darüber diskutiert worden, dass die Veranstalter des Katholikentags, das Zentralkomitee deutscher Katholiken, die AfD nicht eingeladen hat, auf einem Podium zu sitzen. Jetzt kann man sich vorstellen, wie die AfD darauf reagiert, dass sich die Veranstalter mit Muslimen an einen Tisch setzen und sogar ein eigenes Papier herausgeben, oder?

Khorchide: Wer Muslime oder Minderheiten ausschließt, darf sich nicht wundern, wenn er selbst auch ausgeschlossen wird. Man kann nicht mit zweierlei Maß messen und sagen, man schließe fünf Millionen Muslime aus, wolle von denen nichts wissen und möchte aber selbst nicht ausgegrenzt werden. Deshalb finde ich es wichtig, dass man hier seitens der Veranstalter klar signalisiert hat, dass man die AfD nicht aufwerten wolle. Es soll auch ein Signal an die AfD sein, dass man sich selbst reflektiert und schaut, was an der eigenen Ideologie geändert werden muss, um die Gesellschaft nicht zu polarisieren und Hass zu schüren. Die AfD kann natürlich kritische Positionen vertreten, aber man sollte sich überlegen, ob diese Ansichten die Gesellschaft spalten oder nicht vielleicht auch Friedenspotential haben. Das, was die AfD macht, erinnert mich sehr stark an das, was die muslimischen Extremisten wiederum vertreten. Diese Trennung in der Gesellschaft, die Spaltung im Namen einer Ideologie - das muss ja nicht unbedingt eine religiöse Ideologie sein. Exklusivismus kann religiös, kann aber auch nationalistisch oder rassistisch begründet sein. Das ist mein Problem mit der AfD.

Das Interview führte Johannes Schröeer.


Quelle:
DR