Islamisten erklären der Staatsmacht in Nigeria den Krieg

Angriff der Fanatiker

Es war der Höhepunkt einer blutigen Woche im Kampf der nigerianische Armee gegen islamistische Extremisten im Norden des Landes: Am Donnerstag stürmten Soldaten eine Moschee in Maiduguri, der Hauptstadt des Bundesstaates Borno und töteten dabei Mohammed Yusuf, den Anführer der Rebellentruppe Boko Haram. Ein Hintergrundbericht von Christoph Schmidt.

Autor/in:
Christoph Schmidt
 (DR)

Die Gewalt begann schlagartig. Offenbar hatten die Kämpfer der Gruppe Boko Haram («Westliche Erziehung ist Sünde») ihre Angriffe auf Polizeistationen im nordnigerianischen Bundesstaat Bauchi am vergangenen Sonntag exakt geplant. Dafür spricht auch der Ausbruch der Gefechte zwischen den Islamisten und eilig verstärkten Armeeverbänden an verschiedenen Orten gleichzeitig. Hunderte Tote und Tausende Flüchtlinge sind die vorläufige Bilanz einer Eskalation, deren weitere Entwicklung derzeit schwer abzuschätzen sind. Während Nigerias Präsident Umaru Yar´Adua beschwichtigt, sehen Beobachter das bevölkerungsreichste Land Afrikas mit seinem etwa gleich großen Anteil von Muslimen und Christen vor einer neuen Zerreißprobe.

Das Kampfziel der 2004 gegründeten Boko Haram reicht den Berichten zufolge von einem Gottesstaat im muslimischen Norden Nigerias - wo die Scharia bereits in zwölf Bundesstaaten gilt - bis hin zur Ausdehnung des islamischen Rechts auch auf den christlichen Süden. Die schätzungsweise 1.000 Radikalen um den offenbar in seiner Hochburg Maiduguri getöteten Imam Mohammed Yusuf haben allem den Kampf angesagt, was unter ihr Verständnis von «Verwestlichung» fällt, insbesondere Bildungseinrichtungen. Die meisten davon haben nach Angaben des deutschen katholischen Hilfswerks Misereor christliche Träger. Überhaupt gilt das Christentum islamistischen Eiferern längst als westlicher Import aus der Kolonialzeit.

Doch anders als bei früheren Ausschreitungen richteten sich die Angriffe der Islamisten nun auch gegen staatliche Sicherheitskräfte und gemäßigte Muslime. Gerade das zeigt nach Meinung von Prälat Obiora Ike ein neues Ausmaß der Gefahr. Der Leiter des katholischen Entwicklungsinstituts in Enugu sieht die Boko Haram als Spitze einer starken antichristlichen Bewegung und befürchtet eine «Talibanisierung» Nigerias, zumal die Perspektivlosigkeit der Bevölkerung - rund 35 Prozent leben unter der Armutsgrenze - ein Reservoir potenzieller Kämpfer schaffe.

In der Tat bezeichnen sich die Männer der Boko Haram selbst gerne als «Taliban». Doch Peter Körner vom Hamburger Institut für Afrika-Studien hält den Anteil der Islamisten in Nigeria für eine geringe Minderheit. In Nordnigeria dominiere zwar ein streng sunnitisch-orthodoxer Islam. Die Einführung der Scharia 1999 sei angesichts der zuvor herrschenden Unsicherheit sehr populär. Eine Bereitschaft zum offenen Religionskrieg sieht er aber nicht. Ebenso wenig glaubt er an eine Steuerung des Aufstands aus dem Ausland, sei es durch Taliban, El Kaida oder saudische Kreise, die in der Region religiös stark engagiert sind.

Das eigentliche Problem ist laut Körner die ungleiche Verteilung des Reichtums aus dem Erdöl, der sich im Süden konzentriert, wenn auch nur wenige davon profitieren - neben den Großkonzernen in erster Linie die Kader der Regierungspartei PDP, deren Selbstbedienungsmentalität sprichwörtlich ist. Demgegenüber hat die Regierung die Landwirtschaft besonders im trockenen Norden stark vernachlässigt. In Zukunft könnten sich deshalb die traditionellen ethnischen Gegensätze in dem Vielvölkerstaat religiös weiter aufheizen. Schließlich ist die Rivalität zwischen den großen Volksgruppen wie den muslimischen Hausa-Fulani und Kanuri im Norden und den mehrheitlich christlichen Yoruba und Ibo im Süden beträchtlich.

Trotzdem bewerten auch die katholischen Bischöfe die Lage als Werk einer extremistischen Splittergruppe. Der Erzbischof von Jos, Ignatius Kaigama, zeigte sich nach einem Gespräch mit muslimischen Führern beeindruckt von deren strikter Ablehnung der Boko Haram. Der Vorsitzende der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz, Bambergs Erzbischof Ludwig Schick, betonte unterdessen, Nigerias Armee müsse entschieden zum Schutz der Christen beitragen. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, lobte die friedfertige Haltung von «Repräsentanten der großen Mehrheit der Muslime». Im August will er das Land besuchen, wo 21 Millionen Katholiken leben.