Islam-Debatte in Deutschland geht weiter

"Integration der Muslime ist ein Erfolgsmodell"

Die von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich entfesselte Diskussion über den Islam schwelt weiter. Bundestagspräsident Norbert Lammert und der Präsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, widersprachen Friedrichs These, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Politikwissenschaftler be

 (DR)

"So wichtig die Geschichte ist, derzeit gilt es, nach vorne zu schauen", sagte der Vorsitzende des Muslim-Zentralrats, Aiman Mazyek, der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Samstagsausgabe). Der Zentralrat habe in einem Brief an Friedrich deutlich gemacht, dass ihm der Dialog wichtig sei. "Dass wir in der Frage des Einflusses des Islams auf die europäische Geistesgeschichte unterschiedlicher Meinung sind, sollte uns nicht daran hindern", heißt es in dem Schreiben an den CSU-Politiker.



Könne jemand seine Ansicht gut begründen, sei es auch "kein Problem", falls er in der historischen Betrachtung zu anderen Schlüssen komme, solange er sich nicht der Gegenwart verschließe. "Da sind die Muslime hierzulande eine nicht mehr wegzudenkende gesellschaftliche Gruppe", betonte Mazyek. Die politische Entwicklung in Nordafrika habe das Islambild in Deutschland drastisch verbessert. "Durch die Revolutionen scheint die Angst vor dem bösen Muslim Risse bekommen zu haben". Islamfeindliche "Hohepriester" hätten es nun schwerer, Gehör zu finden.



Der muslimische Autor Navid Kermani zeigte sich indes besorgt über Friedrichs Äußerung. "Wie sollen wir unseren Kindern erklären, dass Deutschland ihre Zukunft ist, wenn der Innenminister das Gegenteil erklärt?", sagte er bei der Entgegennahme der "Buber-Rosenzweig-Medaille" am Sonntag in Minden.



Bundestagspräsident Lammert warnte vor einer "unnötigen Zuspitzung" in der Debatte über den Islam. Er verstehe die Kontroverse nicht, sagte Lammert am Samstag im Deutschlandradio Kultur. Bei vernünftiger Betrachtung könne man nicht bestreiten, dass in Deutschland viele Menschen muslimischer Glaubensüberzeugung lebten und dass "insofern der Islam in Deutschland angekommen ist".



Ähnlich argumentierte der Präsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann. Der Islam sei heute "ganz sicher ein wichtiger Teil von Deutschland", sagte er der "Bild am Sonntag". Kulturhistorische Debatten führten nicht weiter, und "possessive Obsessionen auch nicht". Es könne aber andererseits nur schwer bestritten werden, dass der Islam in der Vergangenheit Deutschland nicht so stark geprägt habe wie Christentum oder Judentum.



Unterdessen hob Bayerns Umweltminister Markus Söder (CSU) die führende Rolle der CSU in der Islamdebatte hervor. Es sei gut dass der Bundesinnenminister "bereits einen klaren Beitrag zum Islam" gesetzt habe, sagte Söder dem Nachrichtenmagazin "Focus". Vor allem in der Integrationsdebatte brauche es die klare Handschrift der CSU.



Friedrich hatte Anfang März kurz nach seiner Ernennung erklärt, dass der Islam zu Deutschland gehöre, lasse sich "auch aus der Historie nirgends belegen". Zugleich hatte er unterstrichen, Muslime in Deutschland gehörten als Bürger selbstverständlich zu diesem Land.



"Integration der Muslime ist ein Erfolgsmodell"

Die Integration der Muslime in Deutschland kann derweil nach Auffassung von Politikwissenschaftlern als "Erfolgsmodell" bezeichnet werden. "Wenngleich noch enorme Anstrengungen unternommen werden müssen, so hat ein Großteil der Muslime bereits eine nach-integrative Perspektive eingenommen und sieht sich als integriert an", sagen Prof. Dr. Klaus Schubert und Hendrik Meyer vom Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Uni Münster. Sie haben soeben ein Buch "Politik und Islam" herausgegeben, in dem 16 Autoren eine wissenschaftliche Darstellung des aktuellen Verhältnisses von Politik, Gesellschaft und Islam vornehmen.

Die Debatte um den Islam werde bislang zu emotional geführt, so die Herausgeber. Der Sammelband könne dem politischen Prozess eine sachliche Grundlage geben. Zu den Autoren gehören der UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit, Prof. Dr. Heiner Bielefeldt, die Göttinger Migrationsforscherin Prof. Dr. Claudia Diehl, der wissenschaftliche Direktor des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZfTI), Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan, der Göttinger Soziologe Prof. Dr. Matthias Koenig sowie Jurist Reinhard Busch und Islamwissenschaftler Gabriel Goltz vom Bundesinnenministerium und Dr. Levent Tezcan, Assistenzprofessor der Universität und Mitglied der ersten Phase der Deutschen Islam Konferenz. Sie beschäftigen sich in den Texten mit Akteuren der Integrationspolitik. Zudem beleuchten sie die Inhalte der Integrationsdebatte wie Kritik am Islam oder Geschlechterfragen.

Dabei bewerten die Herausgeber die von der Bundesregierung eingeführte Deutsche Islam Konferenz (DIK)  als positiv. Sie habe viel Bewegung in das Verhältnis von Islam und Politik gebracht. "Die DIK stellt eine wichtige symbolische Geste gegenüber den Muslimen dar und bietet die Chance, mit Vertretern verschiedener Islam-Strömungen praktische Lösungen zu finden." Dies sei auf Ebene der Städte und Gemeinden fortzuführen, unterstreichen Schubert und Meyer.

"Eine Übungsstrecke für weitere Politikfelder"

Der Islam ist so vielfältig wie die deutsche Mehrheitsgesellschaft. "Den" Islam im Singular gibt es nicht", unterstreichen Schubert und Meyer. "Es gibt verschiedene Arten Muslim zu sein. Aufgabe der Politik in Deutschland ist es, die entsprechenden Bedingungen zu schaffen." Die Vielfalt müsse anerkannt werden und lasse sich positiv nutzen. So kann die Debatte um den Islam den Forschern zufolge zur "Übungsstrecke" für den generellen Umgang mit sozialer, ethnischer und religiöser Vielfalt werden. "Moderne Gesellschaften müssen sich stärker damit befassen, wie zukünftig mit Vielfalt und Verschiedenheit umzugehen ist, so auch in der Frage des demografischen Wandels."

Wichtig ist nach Einschätzung der Wissenschaftler auch, dass die Lebensrealität der Muslime nicht in erster Linie durch Religion bestimmt wird, sondern durch das sozioökonomische Umfeld. "Deshalb müssen Integrationsanstrengungen vor allem im Bereich der Sozial-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik ansetzen", so die Herausgeber.  "Ob die notwendigen Integrationsanstrengungen allerdings durch eine schematische Verkürzung des Problems - wie in der europäischen Debatte zu Minaretten oder Burkaverbot - erleichtert werden, muss erheblich bezweifelt werden."