DOMRADIO.DE: In Italien sieht man jetzt derzeit viele attraktive Priester wie Pater Giuseppe Fusari und Don Ambrogio Mazzai, die auf Instagram mit attraktiven Bildern für den Vatikan und die Kirche werben - mit Erfolg. Wie nehmen Sie diesen Trend wahr?
Benedict Dahm (Theologe und Kommunikationswissenschaftler): Grundsätzlich stehe ich diesem Trend ganz offen gegenüber. Die Kirche muss dort präsent sein, wo Menschen kommunizieren. Und das ist heute schwerpunktmäßig Social Media. Der Glaube ist ja kein Relikt der Vergangenheit, sondern wird von den Menschen im Hier und Jetzt gelebt. Und da dürfen meines Erachtens auch Fitnessstudio, Strand und stilvolle Kleidung dazugehören. Sie sollten natürlich das widerspiegeln, was derjenige auch wirklich lebt und liebt. Wenn es fake ist, dann ist es natürlich problematisch.
DOMRADIO.DE: Ein Priester ist ein richtiger Fitness-Junkie und ist tätowiert von oben bis unten. Überrascht es Sie, dass solche Bilder viral gehen, oder ist das jetzt einfach das Zeichen unserer Zeit?
Dahm: Überraschend finde ich das nicht. Bilder sind gewissermaßen die Währung unserer Zeit. Sie sprechen sofort Emotionen an und werden gerade im digitalen Raum viel schneller geteilt als Texte. Das kann man zwar beklagen, aber man kann es ja auch einfach nutzen, um Menschen zu erreichen und zu begeistern.
Ich glaube übrigens, dass dieser Trend gar nicht so neu ist. Mir fällt zum Beispiel dieser Calendario Romano ein, den es schon seit mehr als 20 Jahren gibt. Im Volksmund wird er auch der "Sexy-Priest"-Kalender genannt. Ursprünglich gab es den nur in Rom, mittlerweile hat er seinen Siegeszug über den ganzen Planeten angetreten - obwohl er wohl nur fake ist.
Denken wir noch weiter zurück: der Film "Die Dornenvögel" mit Richard Chamberlain. Die Verbindung zwischen Priester und attraktiver Inszenierung kam schon immer gut an. Solange es nicht ins Obszöne oder Lächerliche kippt, kann man das durchaus gutheißen. Zumal die aktuellen Postings im Gegensatz zu Kalenderbildern und Schauspielern ja authentisch sind und wahrhaftige Menschen und Priester darstellen.
DOMRADIO.DE: Glauben Sie, Social Media ist ein gutes Werkzeug für die Verbreitung des Evangeliums? Oder verblasst die Botschaft hinter diesen schönen Bildern?
Dahm: Wie sagt man so schön? Da steckt der Teufel im Detail. Wenn es nur um Klicks und Selbstvermarktung geht, ist das unangemessen – für einen Priester sowieso, und im Grunde auch für alle Katholiken. Aber wenn Form und Inhalt zusammenkommen, kann dieser Weg ein sehr wirkungsvolles Instrument der Evangelisierung sein. Ästhetik ist ja nicht nur legitim, sondern gehört in diesem Format dazu. In der Botschaft darf es aber keine Kompromisse geben. Da darf sich die Kirche nicht dem Zeitgeist anbiedern.
In den Formen der Kommunikation sieht das meiner Meinung nach aber anders aus. Christen müssen sogar up to date sein, das war schon immer so. Der Papst hat ja auch einen Instagram-Account. Da ist er zwar nicht am Strand zu sehen, aber auch da geht es darum, Bilder zu erzeugen, die die Menschen ansprechen.
Papst Franziskus: "Unheimliche Kraft" trotz großer Gebrechlichkeit
DOMRADIO.DE: Sehen Sie in diesem Trend eine Chance, dass junge Menschen der Kirche näher kommen, oder besteht dann eher die Gefahr eines Personenkults?
Dahm: Die Gefahr des Personenkultes steckt da irgendwo mit drin. Aber charismatische Persönlichkeiten hat es in der Kirchengeschichte eigentlich immer gegeben. Menschen werden nun mal nicht nur von Worten angezogen, sondern auch von Ausstrahlung. Dazu gehört auch eine gewisse Form von Präsenz. Die kann aber ganz unterschiedlich aussehen. Ein gegenteiliges Beispiel: der letzte öffentliche Auftritt von Papst Franziskus.
Der Papst war sehr schwächlich und trotzdem hat er eine unheimliche Kraft ausgestrahlt. Der letzte Auftritt beim Urbi et Orbi am Ostersonntag auf dem Balkon. Das sind große Bilder, die für sich sprechen. Und da war es gerade diese Gebrechlichkeit, die eine besondere Wirkung hatte. Auch diese Gebrechlichkeit hatte eine Form von körperlicher Präsenz – eine ganz andere als die, von der wir jetzt gesprochen haben, aber sie zeigt, dass diese Dimension nicht ausgeklammert werden kann.
DOMRADIO.DE: Was sagt es denn über unsere Zeit, dass ein Priester im Fitnessstudio deutlich mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht als eine gute und tiefgründige Predigt?
Dahm: Das ist sicherlich ein Merkmal unserer Zeit. Ich würde aber sagen, dass es mehr über unseren Medienkonsum und unsere Haltung zu Medien aussagt, als über die geistliche Tiefe. Wir sind daran gewöhnt, kurze Aufmerksamkeitsspannen zu haben und uns durch optische Impulse lenken zu lassen. Ich glaube, damit müssen wir einfach irgendwie arbeiten.
DOMRADIO.DE: In Deutschland gibt es beispielsweise die Diokirche Krefeld mit knapp 68.000 Follower bei Instagram. Sind es solche neuen Formate, denen wir uns als Kirche anschließen müssen?
Dahm: Man darf es eben nicht faken. Wenn es erzwungen ist, durchschaut das das Publikum sofort und dann erzielt es auch keine Wirkung. Solche Formate können ja immer variieren. Ich glaube, wir sollten uns davor zumindest nicht völlig verschließen.
DOMRADIO.DE: Papst Leo ist auch sehr aktiv, was Social Media angeht.
Dahm: Vor ein paar Tagen ist mir erst ein Video untergekommen, das ich sehr charmant fand. Im Rahmen des Jugendtreffs des Heiligen Jahres trug er darin ein Kreuz vorneweg, eine lange und steile Treppe hinauf. Und er hat einen ordentlichen Zahn draufgehabt. Die Caption unter dem Video lautete "Life Goals: Mit 69 Jahren noch Treppen steigen wie Papst Leo". Daran sieht man ja, dass das junge Menschen besonders anspricht und ein Priester, ein Bischof oder eben auch der Papst auch cool sein dürfen, solange sie dabei authentisch bleiben.
Diese tiefe Spiritualität schließt Ästhetik und Körperlichkeit nicht aus. Meiner Meinung nach tut diese Fitness Papst Leos geistlicher Ausstrahlung überhaupt keinen Abbruch. Er spielt Tennis, er reitet, das sind Dinge, die durchaus Charme haben. In der Liturgie werden auch die Sinne angesprochen, es darf opulent sein. Insofern hat diese Ästhetik auch etwas sehr Katholisches. Schönheit und Wahrheit gehören doch irgendwie zusammen.
DOMRADIO.DE: Angenommen, ein Diakon oder Priester hat richtig Lust darauf, sich auf Instagram zu präsentieren, in Szene zu setzen und die frohe Botschaft zu verkünden. Kann der einfach loslegen oder muss der sich erst noch das Go von seinem Vorgesetzten holen?
Dahm: Es schadet sicherlich nicht, sich abzustimmen. Aber wenn man da jetzt nicht irgendwelche gewagten Experimente startet, kann man das auch einfach mal machen. Und wenn es dann Anfragen von der Bistumsleitung gibt, sollte man natürlich auch offen für den Dialog sein. Wenn jemand Lust hat, kreativ den Glauben und das Leben zu zeigen, sollte er das dürfen. Natürlich immer verantwortungsvoll und im Einklang und Bewusstsein dessen, was er vermitteln möchte.
Das Interview führte Oliver Kelch.