Irakischer Erzbischof: Unter Christen herrscht "totale Panik"

"Die Situation ist ganz schrecklich"

Unter den Christen im nordirakischen Mossul herrscht nach Worten des chaldäischen Erzbischofs von Kirkuk, Louis Sako, "totale Panik". "Innerhalb einer Woche wurden zwölf Leute ermordet - ganz wahllos", sagte er der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung". Drei Häuser seien in Brand gesteckt worden. Derzeit seien mehr als 1.500 christliche Familien aus Mossul in umliegende Dörfer geflohen. "Die Situation ist ganz schrecklich", so Sako.

 (DR)

Die irakische Regierung habe jetzt 1.000 Soldaten zum Schutz der Christen nach Mossul geschickt, berichtete der Erzbischof. Sie patrouillierten in der Stadt und bewachten die Kirchen. Auch sei eine Kommission eingesetzt worden, um die Täter zu identifizieren. Er glaube jedoch nicht, dass die Maßnahmen ausreichten. Die geflohenen Christen wollten nicht zurückkommen. «Sie haben Angst», so Sako. Nach seinen Schätzungen haben seit 2003 mehr als 200.000 Christen und damit etwa ein Drittel der Gesamtzahl den Irak verlassen.

Die internationale Gemeinschaft müsse auf die Regierung in Bagdad und auf die amerikanischen Truppen «Druck ausüben, damit sie uns Christen besser verteidigen», forderte der Erzbischof. «Hinter diesen Anschlägen steckt eine Strategie. Die Täter wollen die Christen systematisch aus der Stadt vertreiben.» Doch die christliche Minderheit sei Teil der irakischen Gesellschaft. «Wir haben eine Zukunft hier, wir wollen hier leben und hier bleiben.» Jedoch hätten die Christen im gesamten Nahen Osten das Gefühl, «von der internationalen Gemeinschaft vergessen und abgeschrieben zu sein», so Sako.

Die christliche Gemeinde in Mossul ist eine der ältesten im Irak und bislang auch eine der größten. Ende Februar war der 65-jährige chaldäische Erzbischof Paul Faraj Rahho von Mossul entführt und Anfang März tot aufgefunden worden. Sein Tod ist nach wie vor nicht aufgeklärt, der chaldäische Bischofsstuhl seither vakant.

Menschenrechtsausschuss: Sofort Irak-Flüchtlinge aufnehmen
Fraktionsübergreifend hat der Bundestags-Menschenrechtsausschuss die sofortige Aufnahme verfolgter irakischer Flüchtlinge gefordert. Zugleich gab es am Mittwochabend scharfe Kritik an der Haltung der Bundesregierung. Die deutsche Seite solle unabhängig von einer EU-weiten Entscheidung handeln. Die Lage der Flüchtlinge in Jordanien und Syrien wurde von Vertretern aller Parteien als so bedrohlich bewertet, dass dringender Handlungsbedarf bestehe, wie die Bundestags-Pressestelle am Donnerstag mitteilte.

Der Ausschuss beschloss einstimmig, mit einer Resolution Bund und Länder aufzufordern, christliche und nicht-muslimische Flüchtlinge aus dem Irak zeitnah aufzunehmen. Der Text solle noch in dieser Woche vorliegen.

Laut Pressestelle unterrichtete ein Vertreter des Bundesinnenministeriums über den Stand der Aufnahme besonders schutzbedürftiger irakischer Flüchtlinge aus Syrien und Jordanien. Vom 1. bis 7. November solle eine «Tatsachenfindungsmission», der auch drei deutsche Experten angehören sollten, unter Leitung der EU-Kommission in Amman und Damaskus mit Flüchtlingen und Vertretern von Regierungen und Nichtregierungsorganisationen sprechen. Daraus werde ein Bericht mit Empfehlungen für das weitere Vorgehen der EU erwachsen.

Die Mission kommt nach Ansicht der Parlamentarier viel zu spät. «Wir können es uns aus humanitären Gründen nicht erlauben, weitere Verzögerungen im Rahmen der EU abzuwarten», hieß es von Seiten der SPD-Fraktion. Die Bundesregierung solle die Möglichkeit prüfen, schon vor einer EU-Entscheidung eine nationale Lösung zu finden.

Auch die Unionsfraktion forderte die Regierung auf, möglichst schnell zu handeln. Die Lage habe sich merklich verschärft, die Lebensbedingungen der Flüchtlinge seien katastrophal. Deutschland solle aus humanitären Gründen «notfalls im Alleingang» und noch im Oktober Kontingentflüchtlinge aufnehmen. Ähnlich äußerten sich Vertreter der Opposition.

Die Bundesregierung verwies darauf, dass eine nationale Lösung nur unter Mitwirkung der Bundesländer möglich sei. Diese hätten sich jedoch bei der letzten Innenministerkonferenz gegen einen «nationalen Alleingang» gewandt. Sie würden sich nur an einer Lösung auf EU-Ebene beteiligen.