Instagram-Pilotstudie spürt christlichen Influencern nach

Sympathieträger müssen nicht aktuell sein

Paulus, der Völkerapostel, hätte Facebook, Twitter und Instagram genutzt, um die Botschaft von Jesus Christus unter die Leute zu bringen. So heißt es in gefühlt jedem dritten Beitrag über Kirche und Social Media. Aber stimmt das denn?

Autor/in:
Roland Juchem
Es war nicht immer einfach - Heilige auf Instagram / © Tobias Gutmann (privat)
Es war nicht immer einfach - Heilige auf Instagram / © Tobias Gutmann ( privat )

"Influencer" werden Personen bezeichnet, die durch eigene Blogs oder die Nutzung von Videoplattformen und sozialen Netzwerken eine relevante Reichweite haben und mit ihren Followern - eine Art Jüngerschaft in der digitalen Welt - kommunizieren. Sie gelten als Meinungsführer, weil ihnen Glaubwürdigkeit und Authentizität zugesprochen wird.

Drei zentrale Aspekte sind für derartige digitale Gemeinschaften (digital communities) bedeutsam: Reichweite, Kommunikation und Authentizität. Das gilt auch für religiöse Kommunikation, bei der solche ton- und meinungsangebenden Produzenten auch "Sinnfluencer" genannt werden oder "Christfluencer" - wahlweise mit und ohne Gendersternchen. Anzutreffen sind diese bisher vor allem in der evangelisch-freikirchlichen Welt. Weswegen die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) mit einer Pilotstudie genauer hinschauen wollte.

Sie fragten nach Bedürfnissen, Motivation und Nutzungsverhalten

Exemplarisch wurden die Nutzer von 13 ausgewählten Instagram-Profilen befragt: nach Bedürfnislage, Motivation und Nutzungsverhalten.

Unterstützt wurde die Pilotstudie von der Stabsstelle Digitalisierung im EKD-Kirchenamt und dem yeet-Netzwerk, einem im Februar 2020 gestarteten evangelischen Content-Netzwerk. Man entschied sich für Instagram, weil es zu dessen religiösen Aspekten bisher kaum wissenschaftliche Expertise gibt - anders als zu Online-Foren, Facebook, Twitter oder YouTube.

Instagram wird vom US-amerikanischen Unternehmen Meta Platforms betrieben, zu dem unter anderem Facebook und WhatsApp gehören.

1,5 Milliarden Nutzer

Aktuell hat das Medium knapp 1,5 Milliarden Nutzer weltweit. In Deutschland nutzen 36 Prozent der Menschen Instagram; es gehört zu den am schnellsten wachsenden Netzwerken und ist fester Bestandteil der Lebenswelt junger Generationen. So sind die Generationen Y und Z (Jahrgänge 1981-2010) mit 75 Prozent Nutzer laut einer Statista-Auswertung 2022 die Hauptnutzer dieser Plattform.

Für die EKD-Pilotstudie wurden folgende Profile ausgewählt: ja.und.amen, pynk_pastor, pastor.engel, Wynschkind, Pfarrerausplastik, Faithpwr, Wasistdermensch, Riegeros, Einschpunk, koerper.poesie, Sara3klang, pastor_vanniekaap und theresaliebt. Die Zahl ihrer Follower (zum Zeitpunkt der Erhebung) reicht von 1.901 (koerper.poesie) bis 23.400 (ja.und.amen).

Follower-Zahl oder Engagement-Rate?

Hat ein Account auf Instagram zwischen 1.000 und 100.000 Followern, spricht die Werbebranche von so genannten Nano- und Micro-Influencern. Wichtiger als die Größe einer Community jedoch ist der Kontakt, der zwischen deren Mitgliedern besteht. Aussagekräftiger sei die sogenannte Engagement-Rate: Wenn Follower sich zu weiteren Aktionen animieren lassen, als nur über Inhalte zu scrollen? Das Engagement zeigt, wie treu und gefestigt und damit wie "einflussreich" Kanäle sind.

Gefragt wurde in der Pilotstudie zum einen nach Alter und Geschlecht. Außerdem: "Wie bist du auf das Profil gekommen?", "Warum folgst du dem Profil?", "Was nimmst du von diesem Profil für dich am ehesten mit in deinen Alltag?". Auch nach subjektiver Religiosität und eigener Kirchlichkeit wurden gefragt.

Das Rückgrat der Kirche ist weiblich

Das vielleicht erstaunlichste Ergebnis: Die erhobenen Daten unterscheiden sich mitunter wenig von sonstigen kirchlichen Statistiken. 85,5 Prozent der Teilnehmenden an der Umfrage waren weiblich, 12 Prozent männlich und ein Prozent divers. Dass der Frauenanteil "bei 85,5 Prozent liegt, überrascht", heißt es in der Studie. "Der hohe Frauenanteil auch in den digitalen Communities christlicher Influencer*innen unterstreicht einmal mehr, dass das Rückgrat der Kirche - auch der digital liquiden Kirche - weiblich ist." Die Frage nach dem von Männern bevorzugten digitalen Format bleibt laut Pilotstudie offen.

Vom Alter her gruppierten sich die Umfrageteilnehmer wie folgt: 30 bis 39 Jahre: 30,4 Prozent; 20 bis 29 Jahre: 28 Prozent. Immerhin waren 38 Prozent zwischen 40 und über 70 Jahre alt; verschwindend gering indes der Anteil der Unter-20-Jährigen (3,6 Prozent).

Sie leisten einen wichtigen Beitrag

Die ersten beiden Altersgruppen - junge Erwachsene und Menschen im jungen mittleren Alter - sind Menschen, zu denen die Kirche "sonst nur punktuell oder kaum bis gar nicht Kontakt hat". Allerdings sind 85,5 Prozent der Befragten bereits Mitglieder der Kirche, nur 11,9 Prozent verneinen dies. Mehr als zwei Drittel haben Kontakt zu einer Kirchengemeinde (69 Prozent), ein knappes Drittel hat keinen Kontakt. Fazit: "Die Mehrheit der Influencer*innen dieser Studie leisten offenbar einen wichtigen Beitrag zur digitalen Mitgliederbindung."

Sich selbst schätzen die Follower als «etwas spirituell/religiös» (39,1 Prozent) oder «sehr spirituell/religiös» (51,7 Prozent) ein. Zusammengefasst betrachtet, lässt sich festhalten, dass 90,8 Prozent als spirituell/religiös qualifiziert werden können. Für Zwei Drittel der Befragten (69,8 Prozent) ist der Content für ihre eigene Spiritualität «etwas wichtig», «wichtig» oder «sehr wichtig». Für etwas mehr als ein Viertel (26,8 Prozent) trifft dies nicht zu.

Sympathie ist fast alles

Wichtiger Grund, einem oder auch mehreren der 13 untersuchten Instagram-Accounts zu folgen, ist das Interesse an den Personen, die den Kanal betreiben. So ist für drei Viertel der Befragten der Aspekt, dass "die Person authentisch im Glauben" ist (75,6 Prozent) wichtig, fast ebenso wichtig der Aspekt, dass die Person sympathisch rüberkommt. Nicht ganz so viele Befragte gaben inhaltsbezogene Aspekte an: "interessant" (56,6 Prozent), "aktuell" (39,2 Prozent) und "innovativ" (31,6 Prozent).

An diesem Punkt verweisen die Autoren auf Studien zum evangelischen Pfarrhaus. Diese betonten, dass die Pfarrperson zunehmend wichtiger als das Pfarramt und das Pfarrhaus sei. "Die alte pastoraltheologische "Formel 'Im Pfarrhaus brennt noch Licht'", so die Studie, "wird durch Instagram neu aktuell: 'Im Pfarrhaus brennt wieder ein Licht'." Die Pfarrperson, die im Dorf zwei Häuser entfernt war, ist nun durch einen Klick zu erreichen. Anders als in Dorf und Stadtteil kann die Pfarrperson oder die religiöse "Anlaufstelle" digital frei gewählt werden.

Ist die digitale Community die neue Kirchengemeinde?

Aus diesen Ergebnisse zieht die Studie erste vorsichtige ekklesiologische und pastoraltheologisch Erkenntnisse: "Vor dem Hintergrund, dass für zwei Drittel der Content für die eigene Spiritualität relevant ist und diese Relevanz mit zunehmender Spiritualität/Religiosität steigt, lässt vermuten, dass die untersuchten digitalen Communities als Ausdruck einer 'gelebten Religion' angesehen werden können."

Legt man das theologische Kriterium des "Priestertums aller Gläubigen" an, so zeichneten sich die Followerinnen und Follower offenbar durch "eine Mündigkeit in ihrem Christsein" aus. Die 13 Influencerinnen und Influencer wiederum könnten als "Glaubensbotschafter" betrachtet werden.

Sie warnen vor "zu viel missionarischer Euphorie"

Auch wenn eine solche "Liquid Church" als kirchlicher Raum noch "ekklesiologisch aus dem Dornröschenschlaf geweckt" werden müsse, seien digital communities einer von deren wesentlichen Mosaiksteinen. Aber in digitalen Gemeinden gibt es auch eine "stille Followerschaft", zu deren Bedürfnis- und Interessenlage die Studie nur bedingt Auskunft gibt. "Es scheint", so die Studie, "sich im Digitalen das zu spiegeln, was im Analogen so auch feststellbar ist: unterschiedliche Grade der Zugehörigkeit. Im Analogen spricht man diesbezüglich gerne von Kerngemeinde, distanzierter Gemeinde und Randgemeinde."

Schließlich warnt die Studie vor zu viel missionarischer Euphorie im Blick auf mehr und aktivere Kirchenglieder. Digital communities leisteten einen Beitrag »zum Aufbau von schwach gebundenen, eher unverbindlichen Netzwerken, die zu wenig bis nichts verpflichten«. Zudem gebe es in digitalen Gemeinschaften wie in physischen Gemeinden sogenannte Echokammern.

Gleichberechtigungs-Content schlägt ein

Die katholische Insta-Welt ist deutlich kleiner, aber ebenfalls hauptsächlich von Frauen geprägt. Die erfolgreichste Instagrammerin, Jacqueline Straub, hat derzeit 9.343 Follower. Die Theologin und Journalistin ist vor allem bekannt, weil sie sich für das Frauenpriestertum einsetzt. Ihre Insta-Beiträge widmen sich aber generell der Gleichberechtigung von Frauen in der katholischen Kirche sowie LGBTQ-Themen. Ihren meist katholischen, aber auch evangelischen und freikirchlichen Followern bietet Straub zudem "Glaubensimpulse".

Die Tübinger Theologiestudentin kira__beer (5.130 Follower) veröffentlicht einiges zu Gender- und Frauenthemen. Sr.m.sophia (3.900 Follower) berichtet als Ordensfrau von ihrem Alltag als Franziskanerin. Auch das Profil unterwegsimauftragdesherrn (1.278 Follower) wird von einer Frau betrieben, die als gläubige Mutter Eindrücke aus  ihrem Alltag postet.

Social Media/Soziale Medien

Der Begriff Social Media beschreibt Webseiten und Apps, über die Nutzer Inhalte kreieren sowie teilen und sich vernetzen können. Zentrales Merkmal von Social Media ist die Interaktivität. Soziale Interaktion zwischen Nutzern sowie kollaboratives Schreiben prägen den Online-Dialog, die sogenannte Many-to-many-Kommunikation. Nutzer erstellen Inhalte (User Generated Content), über die ein permanenter, zeitlich unbegrenzter Austausch mit anderen stattfindet.

Symbolbild: Jugendlicher mit Handy / © Angelika Warmuth (dpa)
Symbolbild: Jugendlicher mit Handy / © Angelika Warmuth ( dpa )
Quelle:
KNA