Initiator des KI-Gottesdienstes auf Kirchentag zieht Fazit

"Ich würde eine Vier vergeben"

Auf dem Kirchentag in Nürnberg gab es zum ersten Mal überhaupt einen Gottesdienst, der von einer KI vorbereitet wurde. Initiator Jonas Simmerlein zieht ein gemischtes Fazit und erklärt, wie diese Art von Gottesdiensten Zukunft hat.

KI-Gottesdienst auf dem Evangelischen Kirchentag / © Beate Laurenti (KNA)
KI-Gottesdienst auf dem Evangelischen Kirchentag / © Beate Laurenti ( KNA )

DOMRADIO.DE: Was hat die KI genau gemacht und was hatten Sie dann noch zu tun?

Jonas Simmerlein hat den von der KI vorbereiteten Gottesdienst erfunden / ©  Friedrich Stark (epd)
Jonas Simmerlein hat den von der KI vorbereiteten Gottesdienst erfunden / © Friedrich Stark ( epd )

Jonas Simmerlein (Evangelischer Theologe und KI-Forscher): Die KI hat eigentlich alle kreativen Leistungen vollbracht, könnte man etwas vereinfacht sagen. Sie hat die Predigt geschrieben, sie hat die Gebete geschrieben, sie hat sich den Segen ausgedacht. Sie hat die Psalmen ausgewählt, die gelesen wurden.

Ich würde sagen, ich habe ein bisschen die Stützräder zur Verfügung gestellt. Man muss dieser KI schon sagen, wo sie sich befindet. Man sagt ihr zum Beispiel: "Es ist Kirchentag in Nürnberg. Du bist die erste KI, die dort predigen darf. Stell dich vor und begrüße die Gemeinde."

Ab dann macht sie eigentlich relativ viel von selbst. Das kann man immer wieder aufgreifen und sagen: "Such passend zu diesem Thema" – das Motto war ja "Jetzt ist die Zeit" – "einen Psalm raus". Als nächstes sagt man: "Schreib ein Gebet und nimm Bezug auf das, was du davor gesagt hast."

Und so peu a peu kann man sich dann im Prinzip den gesamten Text eines Gottesdienstes generieren lassen. 89 Prozent, würde ich sagen, kommen aus der KI. Ich habe nur Anschlussfehler korrigiert und den Rahmen ein bisschen gesteckt, dem Ganzen Stützräder gegeben.

DOMRADIO.DE: Wie haben die Gottesdienstbesucher reagiert? Waren die eher beeindruckt oder haben die eher gefremdelt?

Simmerlein: Es war extrem unterschiedlich. Es gab ganz viele Leute, die gesagt haben, es sei zu langweilig gewesen. Sie waren manchmal auch erleichtert, dass sie gesagt haben: "Na ja, wir müssen uns schon mal keine Sorgen machen, dass diese KI uns in nächster Zeit den Job abnimmt." Das ist auf jeden Fall eine Reaktion. Viele haben innerhalb des Gottesdienstes gelacht.

Es gab aber auch Stimmen, die gesagt haben: "Also ich könnte mir das, wenn das noch ein bisschen technisch versierter ist, in den nächsten Jahren durchaus bei mir in der Gemeinde vorstellen. Wir haben keine Pfarrer oder Pfarrerinnen zurzeit, da würde ich mir so was schon anhören."

Es kam eine ältere Frau zu mir, die sagte, sie verfolge das schon seit Jahrzehnten, und sie habe sich so gefreut, dass endlich mal eine KI einen Gottesdienst macht. Die Gottesdienstbesucher hatten also das gesamte Spektrum abgebildet. Das fand ich auch sehr interessant.

DOMRADIO.DE: Einige haben gelacht. Warum? Konnten Sie das ausmachen?

Simmerlein: Es waren teilweise Aussagen dabei, die so ähnlich zum Beispiel auch beim Eröffnungsgottesdienst von Heinrich Bedford-Strohm geäußert wurden und da Applaus geerntet haben. Ich glaube, die Leute waren manchmal über technische Unsauberkeiten amüsiert. Die KI beziehungsweise die Avatare betonen manchmal Sachen lustig, die Mimik passt auch manchmal nicht ganz zu dem, was gesagt wird.

Da merkt man auch, dass die KI nicht versteht, was sie da sagt. Aber es wurde auch an solchen Stellen gelacht, wo die Aussagen gar nicht so verwerflich waren. Vielleicht war da auch eine gewisse Nervosität zu hören, dass doch schon so viel inhaltlich durchaus nicht von der Hand zu Weisendes aus der Maschine kommt.

Jonas Simmerlein

"Da merkt man auch, dass die KI nicht versteht, was sie da sagt."

DOMRADIO.DE: War das denn ein erlebter Gottesdienst oder hatten Sie das Gefühl, die Besucher und Besucherinnen sahen das eher als so eine Art Belustigung wie ein Theaterstück, wo man eben zuschaut, aber nicht unbedingt mit Herz und Seele dabei ist?

Simmerlein: Das hat man sehr gut im Nachgang an den Reaktionen sehen können. Auf dem Podium nach dem Gottesdienst gab es eine Teilnehmerin, die gesagt hat, für sie sei es kein Gottesdienst gewesen, sie habe da auch nicht mitgebetet. Ich glaube, es lag ganz stark daran, mit welcher Einstellung man da herangegangen ist.

Es gab manche, die sagten, für sie sei es ein Kunstprojekt. Andere sahen es eher als eine Art Demonstration, wie weit die Technik ist. Und es gab eben welche, die haben passioniert mitgebetet und es als Gottesdienst verstanden.

Ich glaube, es hängt ganz stark davon ab, wie man in diesen Gottesdienst reingeht, welche Erfahrung man macht. Ich habe das den Leuten natürlich offen gelassen. Ich habe sie eingeladen, das auch als Gottesdienst zu verstehen, weil man dann wahrscheinlich andere Erfahrungen macht. Aber es gab eben auch Leute, die sich das Ganze vermutlich zur Belustigung oder zumindest mit distanziertem Interesse angeschaut haben.

Gut besucht war der KI-Gottesdienst in Fürth in jedem Fall / © Friedrich Stark (epd)
Gut besucht war der KI-Gottesdienst in Fürth in jedem Fall / © Friedrich Stark ( epd )

DOMRADIO.DE: Wie gefiel es Ihnen denn persönlich? Ist es so gelaufen, wie Sie gedacht haben?

Simmerlein: Ich hatte erst mal Angst, dass das Ganze technisch aus dem Ruder läuft. Aber das hat alles sehr gut funktioniert und das hat mich natürlich als der, der verantwortlich war, beruhigt.

Ich kann ganz ehrlich sagen, es hat mich nicht vom Hocker gehauen. Ich glaube, da muss man auch auf die Bremse drücken und den Leuten sagen: Was da passiert, wird niemanden hinter dem Ofen hervorholen, weil die Technik erstens noch nicht so weit ist. Und zweitens wurden diese Predigten von einer KI geschrieben, die ganz viele Predigttexte rezipiert hat und eine Art Best-of-Predigt schreibt.

Daraus kommt dann am Ende natürlich auch ein eher mittelmäßiges Produkt heraus. Ich unterrichte selbst Homiletik, also Predigtlehre an der Universität Wien. Ich habe auch gesagt, ich würde dieser Predigt eine Vier geben. Das ist schon irgendwie eine Predigt, man erkennt das, aber das hat mich nicht von den Socken gehauen. Ich würde auf jeden Fall ein bisschen dazu raten, bedacht zu bleiben.

Aber ich habe schon Momente gehabt, gerade wenn man zusammen betet, bei denen ich gemerkt habe: Ich spreche mit anderen, hier ist eine Resonanz im Raum, die mehr ist als nur gemeinsames Anschauen. Das hat schon was mit mir gemacht. Ich habe mich irgendwie auch mit dem, was da vorne passiert ist, auf eine gewisse Weise verbunden gefühlt. Das würde ich schon positiv mit rausnehmen.

Jonas Simmerlein

"Was da passiert, wird niemanden hinter dem Ofen hervorholen."

DOMRADIO.DE: Einmal ausprobiert und nie wieder? Oder ist so ein Avatar-Gottesdienst eine reale Zukunftsoption?

Simmerlein: Ich werde jetzt ganz viel angefragt, ob ich das woanders machen kann. Es ist erstens ganz viel Arbeit und diese Programme sind auch nicht ganz kostengünstig. Ich werde das jetzt nicht regelmäßig machen. Ich würde mir aber schon wünschen, dass andere Menschen diesen Faden aufgreifen. Vielleicht auch Leute, die noch deutlich kreativer sind.

Das war am Ende ja ein Ein-Mann-Projekt in dem Fall. Ich glaube, wenn sich da Leute mit viel Liebe und Energie dransetzen, könnte man wirklich interessante, neue Formate entwickeln. Gar nicht so sehr als ein Ersatz für Menschen, sondern eher in der Kollaboration: Was kann denn KI, was kommt da raus, was kann die, was Menschen nicht gut können?

Ich stelle mir da auch Sachen wie neue Bilder, Bildmaterial schaffen, Animationen vor. Also was könnte in Zukunft relativ problemlos von KI gemacht werden, um damit auch den Gottesdienst ästhetisch aufzuwerten?

Ich glaube, wenn wir in diese Richtung weitermachen und sich fähige Leute da dransetzen, kann ich mir gut vorstellen, dass da auch Gottesdienste rauskommen, die Leute interessieren und ansprechen. Denn das war eine einheitliche Reaktion: Alle fanden es total interessant und spannend.

Die Kirche war voll. Ich glaube, Leute wollen sich mit so was schon auseinandersetzen, weil das unsere Gesellschaft immer mehr prägen wird. Und ich glaube, wenn man sich da mit mit einer gesunden Neugier ran macht, kann das durchaus vielversprechend sein.

Aber man sollte sich keine Illusionen machen. Ich würde es auch nicht gutheißen, wenn Leute denken, wir fangen jetzt an, hier Pfarrerinnen und Pfarrer oder Priester zu ersetzen.

Das Interview führte Dagmar Peters.​

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Symbolbild Künstliche Intelligenz / © maxuser (shutterstock)
Symbolbild Künstliche Intelligenz / © maxuser ( shutterstock )
Quelle:
DR