Initiative Sauerteig fordert Stellungnahme von Benedikt XVI.

"Schmerzhaft und unerträglich"

Die Initiative Sauerteig fordert den emeritierten Papst Benedikt XVI. auf, sich vor Gericht zu Missbrauchsvorwürfen in der Kirche zu äußern. Laut Sprecherin Rosi Mittermeier geht es vor allem auch darum, Vertrauen zurückzugewinnen.

Initiative fordert vom emeritierten Papst Benedikt XVI. gerichtliche Stellungnahme / © Romano Siciliani/Agenzia Romano Siciliani (KNA)
Initiative fordert vom emeritierten Papst Benedikt XVI. gerichtliche Stellungnahme / © Romano Siciliani/Agenzia Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie unterstützen die Klage eines 38-jährigen Mannes aus ihrem Pfarrverband Garching/Alz-Engelsberg, der nach eigenen Angaben von einem verurteilten Wiederholungstäter, dem Priester H., missbraucht worden ist. 1980 hatte das Bistum Essen den pädophilen Priester eigentlich zu Therapiezwecken ins Erzbistum München und Freising geschickt. Er war dann 20 Jahre lang in Garching tätig und ist dort erneut übergriffig geworden.

Rosi Mittermeier, Sprecherin der Initiative Sauerteig

"Wie kann es sein, dass ein Täter über Jahrzehnte hinweg Kinder missbrauchen kann und ihm dazu auch die Möglichkeit geboten wird?"

Rosi Mittermeier (Sprecherin der Initiative Sauerteig): Man kann davon ausgehen, dass der Mann über Jahrzehnte hinweg regelmäßig Kinder missbraucht hat. Wir wissen mittlerweile von 30 Kindern, die von ihm missbraucht wurden. Die Dunkelziffer wird nach wie vor sehr hoch sein.

DOMRADIO.DE: Was werfen Sie dem emeritierten Papst vor? Weshalb haben Sie diesen Brief geschrieben?

Hintergrund: Appell an Papst Benedikt: "Stellen Sie sich dem weltlichen Gericht"

Die nach dem katholischen Missbrauchsskandal gegründete Initiative "Sauerteig" fordert den emeritierten Papst Benedikt XVI. zur Mitarbeit an der gerichtlichen Aufarbeitung auf. "Sehr geehrter Papst em. Benedikt, bitte stellen Sie sich dem weltlichen Gericht", steht in einem Brief, den die Initiative mit Sitz im oberbayerischen Garching an der Alz am Samstag an den früheren Kardinal Joseph Ratzinger nach Rom geschickt hat. "Ihre vorbehaltlose Mitwirkung bei einer gerichtlichen Klärung wäre ein bedeutender Schritt, der für alle Kirchenverantwortlichen als Vorbild gelten würde."

Joseph Ratzinger, der emeritierte Papst Benedikt XVI., 2017 / © Lena Klimkeit (dpa)
Joseph Ratzinger, der emeritierte Papst Benedikt XVI., 2017 / © Lena Klimkeit ( dpa )

Mittermeier: Wir haben den Brief nicht als Vorwurf geschrieben. Wir fragen uns: Wie kann es sein, dass ein Täter über Jahrzehnte hinweg Kinder missbrauchen kann und ihm dazu auch die Möglichkeit geboten wird, weil er in eine Position kommt, die mit großem Vertrauen verbunden ist. Die Eltern schicken die Kinder in die Ministrantenrunde, sie schicken die Kinder zum Beichten. Das Kind sitzt dann im Beichtstuhl mit diesem Täter. Wenn man so ein System bereitstellt und aufrechterhält, in dem der Täter so frei schalten und walten kann und einen hohen Vertrauensvorschuss von den Gläubigen in der Pfarrei bekommt, halten wir es für notwendig, dass die Institution sich Gedanken darüber macht, inwiefern sie Verantwortung hat und die Verantwortungsträger in dieser Institution sich überlegen, inwiefern sie dazu beigetragen haben, dass dieser Täter über Jahrzehnte hinweg diese Taten begehen konnte.

In den Fällen geht es nicht um irgendwelche unsittlichen Berührungen, sondern es geht darum, die Kinder zu sexuellen Handlungen aufzufordern. Das sind schwere sexuelle Übergriffe. Und unsere Hoffnung ist, dass endlich aufgeklärt wird, wie eine Institution so etwas ermöglicht - also, durch welche Vorgaben oder Strukturen und Regelungen so etwas möglich ist.

DOMRADIO.DE: Wo ist jetzt der Zusammenhang mit dem emeritierten Papst Benedikt XVI., den Sie auffordern: Bitte stellen Sie sich dem weltlichen Gericht.

Mittermeier: Als emeritierter Papst war er ja Kirchenoberhaupt. In dieser Position steht es sowieso in Verantwortung für das, was in der Kirche passiert. Und wenn so schwerwiegende Sachen passieren, sollte sich schon das Oberhaupt darum kümmern. Das wäre das eine. Das andere ist, dass er mit diesem Fall in verschiedenen Funktionen zu tun hatte - auch schon, bevor er Papst wurde. Er war Erzbischof von München und Freising, als dieser Priester von Essen nach München versetzt wurde und dort wieder in der Seelsorge eingesetzt wurde. Da war er der direkte Vorgesetzte und damit in der Verantwortung für diesen Einsatz.

Später wurde er dann in Rom Präfekt der Glaubenskongregation, wo die Regelung eingeführt wurde, dass jeder Fall von sexuellem Missbrauch durch einen Kleriker nach Rom gemeldet werden musste und nicht anders abgehandelt werden durfte. In dieser Funktion sind ja wieder alle Missbrauchstaten bei ihm auf dem Schreibtisch gelandet. Wenn man möchte, dass sich das System oder eine Institution ändert, dann sind unserer Ansicht nach die Leiter dieses Systems dafür zuständig.

Rosi Mittermeier, Sprecherin der Initiative Sauerteig

"Wenn man möchte, dass sich das System oder eine Institution ändert, dann sind unserer Ansicht nach die Leiter dieses Systems dafür zuständig."

DOMRADIO.DE: Ob sich jetzt der emeritierte Papst Benedikt zu diesem Fall äußert oder nicht, hat strafrechtlich keine Bedeutung mehr. Warum ist es Ihnen so wichtig, dass der Papst sich dazu äußert?

Mittermeier: Seine Äußerungen sind wichtig, um Licht in diese Zusammenhänge zu bringen. Und wir als Gläubige hoffen auch, dass wir irgendwann wieder Vertrauen zurückgewinnen können in unsere - ich sage mal - geliebte Kirche. Es ist eine schwere Enttäuschung, dass man es duldet, dass Kinder von Gläubigen durch Kleriker missbraucht wurden. Das erschüttert doch jeden Gläubigen zuinnerst. Es gibt ja keine andere Möglichkeit. Entweder das Vertrauen zurückgewinnen oder man löst sich auf. Das ist so grundlegend!

DOMRADIO.DE: Das zuständige Gericht hatte den emeritierten Papst um eine Stellungnahme gebeten, die Frist dafür läuft in den kommenden Tagen ab. Haben Sie schon Antwort auf ihren Brief aus Rom bekommen?

Mittermeier: Nein.

Rosi Mittermeier, Sprecherin der Initiative Sauerteig

"Es erschüttert einen in Mark und Bein, wenn man vermuten kann und muss, dass ein Kind, das man selber kennt, Opfer dieses sexuellen Missbrauchs wurde."

DOMRADIO.DE: Dieses ganze Verfahren und der Brief, welches Echo hat das bei Ihnen in der Gemeinde ausgelöst? Wie emotional wird genau dieser Fall bei Ihnen gerade diskutiert?

Mittermeier: Ich würde mal sagen, dieser Fall ist so hochemotional, dass die naheliegendste Reaktion die Verdrängung ist. Es geht wirklich so tief. Es erschüttert einen in Mark und Bein, wenn man vermuten kann und muss, dass ein Kind, das man selber kennt, Opfer dieses sexuellen Missbrauchs wurde. Das ist unerträglich. Es ist so schmerzhaft. Da gibt es dann die Möglichkeit: Flucht oder sich tot stellen. Wir wollen stattdessen in die Aktion kommen, um Veränderungen herbeizuführen, damit in Zukunft Kinder sicher sein können. In unserem Glauben geht es ja ganz zentral um die Botschaft Jesu. Die sollte wieder in den Vordergrund kommen. Aber wenn das Vertrauen so grundlegend erschüttert ist, dann ist das nicht möglich. Man muss hier wieder vertrauenswürdig werden.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Quelle:
DR