Versöhnung durch soziale Arbeit für Menschen mit Behinderung

"Initiative Pskow" seit 30 Jahren in Russland aktiv

Aus einem Versöhnungsgesuch wurde eine soziale Initiative: Vor 30 Jahren gründeten Vertreter der evangelischen Kirche im Rheinland die «Initiative Pskow», die im Westen von Russland mit Menschen mit Behinderung arbeitet.

Rollstuhlfahrer an einem Bahnsteig  (dpa)
Rollstuhlfahrer an einem Bahnsteig / ( dpa )

Alles begann im Juni 1991, am 50. Jahrestag des Überfalls der Deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion, mit der Bitte um Vergebung für die Verbrechen des Russlandkrieges. Bei Worten wollten es die Vertreterinnen und Vertreter der Evangelischen Kirche im Rheinland vor 30 Jahren aber nicht belassen. "Versöhnung muss tatkräftig gestaltet werden", sagt der erste Geschäftsführer der "Initiative Pskow", der  Theologe Dieter Bach. Aus diesem Ansinnen entstand eine Initiative zur Förderung von Menschen mit Behinderung, deren Arbeit inzwischen Vorbildcharakter auch für andere Regionen in Russland hat.

Ein Zuhause für 700 Menschen mit Behinderung 

Die evangelische Kirchengemeinde Wassenberg bei Aachen spielt bei den Aktivitäten bis heute eine besondere Rolle. Dort war der heutige Vorsitzende der Initiative, Klaus Eberl, in den 1990er-Jahren Pfarrer. Die Gemeinde baute mit Spenden ein Heilpädagogisches Zentrum mit einer Förderschule für Kinder mit schweren geistigen und mehrfachen Behinderungen in Pskow. Dazu wurden kleine inklusive Wohngemeinschaften gegründet.

Als weitere Fördereinrichtungen notwendig wurden, bildete sich Ende der 90er-Jahre die "Initiative Pskow in der Evangelischen Kirche im Rheinland" als "Dach" dieses Engagements. Dadurch entstand in der südlich von St. Petersburg gelegenen Stadt die erste Werkstatt für behinderte Menschen in ganz Russland.

Ein Höhepunkt des Engagements war für Eberl eine Radtour vom Rheinland nach Pskow im Jahr 2004. "Eine Werkstatt war damals abgebrannt und wir brauchten 100.000 Euro, um sie wieder aufzubauen", erzählt der ehemalige Oberkirchenrat dem epd. Er sei mit einer Gruppe über Berlin nach Pskow geradelt. So seien genügend Spenden für die Werkstatt eingeworben worden. Inzwischen werden etwa 700 Menschen mit geistiger oder körperlicher Behinderung unterrichtet, betreut und gefördert. Der russische Staat finanziert die Arbeit mittlerweile weitgehend selbst.

Initiative Pskow setzt ein Zeichen der Versöhnung

Die rheinische Landeskirche nahm in den 1990er-Jahren Kontakt mit Pskow als einer der Städte auf, die unter der deutschen Besatzung zwischen 1941 und 1944 besonders gelitten hatten. Die Stadt wurde einer der vielen Schauplätze des Vernichtungskrieges. Angesichts dessen wollte die Initiative ein Zeichen der Versöhnung setzen.

"Wir sind dankbar, dass unser Wunsch nach Aussöhnung angenommen wurde", sagt Eberl. Dabei hätten sie als Deutsche auch erfahren, wie unterschiedlich die Geschichte in beiden Ländern bis heute betrachtet wird. "Der 22. Juni als Jahrestag des Überfalls ist in Deutschland fast vergessen, in Russland dagegen nach wie vor ein wichtiger Gedenktag." In Russland habe das zu dem Reflex geführt, das Land trotz seiner Größe als gefährdet zu betrachten. Das müsse die westliche Ostpolitik berücksichtigen, findet der Theologe.

Er halte es für einen Fehler, Russland weitgehend am Verhalten von Präsident Wladimir Putin zu messen. "Das Land ist vielschichtiger und gerade auf sozialem Gebiet viel moderner, als der Westen sehen will", sagt er. Dazu hat nach seiner Einschätzung die "Initiative Pskow" einen Beitrag geleistet. "Menschen werden dabei unabhängig von ihrer Einschränkung wertgeschätzt." Das gelte inzwischen in vielen Einrichtungen in Russland, mit denen die Initiative Pskow in Verbindung stehe, sagt Eberl.

Auszeichnung langjähriger Leiter im März 2021

Diese Bedeutung werde auch in Deutschland gesehen: Die beiden langjährigen Leiter des Heilpädagogischen Zentrums Pskow, Swetlana Andrejewa und Andrej Zarjow, wurden im März 2021 für ihre Verdienste um die deutsch-russische Versöhnung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Mindestens 80 russische Städte arbeiten laut Eberl inzwischen nach dem Konzept der Initiative.

In Russland war es lange üblich, Menschen mit Behinderung schon als Kinder in Internaten zu erziehen und aus der Öffentlichkeit weitgehend zu verbannen. Im jüngsten Projekt der Einrichtungen in Pskow werden Menschen mit Beeinträchtigungen dabei unterstützt, diese abgeschlossene Welt zu verlassen und  selbständig zu leben. Ermutigt von solchen Erfolgen wolle die Initiative weiter arbeiten, kündigt Eberl an.

Von Irene Dänzer-Vanotti


Quelle:
epd
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