Initiative aus Kirche, Gesellschaft und Wirtschaft fordert Abschaffung des gegliederten Schulsystems

"Länger gemeinsam lernen"

"Wir wollen eine erfolgsorientierte Schule für alle Schülerinnen und Schüler, eine Schule ohne Sitzenbleiben, Abstufungen oder Abschulungen", sagte der evangelische Pfarrer Prof. Hans-Martin Lübking, Bildungsexperte der Evangelischen Kirche von Westfalen, am Donnerstag in Düsseldorf. Während die Oppositionsparteien SPD und Grüne den Vorstoß begrüßten, kam Kritik von der FDP. Es hätte sich gezeigt, dass auch gute Schüler von einer integrativen Schule profitieren, erläutert Prof. Lübking im domradio die Motivation für seine Initiative.

 (DR)

Lübking unterstrich bei der Vorstellung der Initiative "Länger gemeinsam lernen" gemeinsam mit dem nordrhein-westfälischen DGB-Chef Guntram Schneider die Forderung nach einer deutlich längeren gemeinsamen Lernzeit von Grundschülern. In keinem anderen Land würden Schüler so früh aussortiert wie in Deutschland, nämlich nach dem vierten Schuljahr, kritisierte Lübking. Es sei ungerecht und unverantwortlich, Kinder mit zehn Jahren "so zu sortieren, dass damit über ihren späteren Lebensweg entschieden wird".

"Reformen des Schulsystems unumgänglich"
Der Theologieprofessor und Leiter des Pädagogischen Instituts der westfälischen Kirche plädierte für eine integrative Ganztagsschule, die kein Kind ausgrenzt. "Das selektive Schulsystem entlässt die Schulen aus der Verantwortung, sich um schwächere oder schwierige Kinder zu kümmern", kritisierte der Experte. Daher fordert seine Initiative außerdem, das Sitzenbleiben und das sogenannte "Abschulen" abzuschaffen. Eine Schule müsse jeden Schüler, den sie aufnimmt, zu einem qualifizierten Abschluss führen, so  Prof. Lübking im domradio Interview.

NRW-DGB-Chef Schneider nannte Reformen des Schulsystems unumgänglich.
Nordrhein-Westfalen sei ein Land der Sitzenbleiber. Der Schulterschluss mit der Industrie und ausbildenden Unternehmen sei für eine umfassende Bildungsreform entscheidend. Das Niveau industrieller Produktion und Dienstleistungen könne nur gehalten werden, wenn das Bildungsniveau insgesamt steige. Es gehe dem Bündnis um Chancengleichheit und Leistungsorientierung, sagte der Gewerkschafter. "Ein gegliedertes Schulsystem entspricht vordemokratischen Denkweisen und ist wissenschaftlich nicht haltbar."

SPD-Schulexpertin Ute Schäfer erklärte, die schwarz-gelbe Landesregierung könne die notwendige Diskussion über eine integrative Schule nicht länger verweigern. Die frühere Schulministerin warf Ministerpräsident Jürgen Rüttgers und Schulministerin Barbara Sommer (beide CDU) eine "ideologische Blockadehaltung" vor. Ähnlich äußerte sich der Verband Bildung und Erziehung. Das gegenwärtige Bildungssystem sei krank, erklärte die Lehrergewerkschaft. Wer keine Bereitschaft zu neuen Schulstrukturkonzepten zeige, handele politisch verantwortungslos.

Kritik an Lehrerausbildung
Die bildungspolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion, Ingrid Pieper-von Heiden, kritisierte, bei einer Zusammenfassung aller Schulen würde eine indiviuelle Förderung unmöglich. Zudem sei die jetzige Lehrerausbildung "für diese individuelle Förderung der Schüler in der geforderten Schulform in keinerlei Form geeignet."

Auch Prof. Lübking kritisiert, dass die derzeitige Lehrerausbildung "sicher nicht gerüstet sei, mit der Heterogenität der Schüler umzugehen". Lübking kündigte ein bildungspolitisches Forum Anfang Juni an.

An der Initiative "Länger gemeinsam lernen" beteiligen sich Experten der westfälischen und rheinischen evangelischen Kirche sowie der Gewerkschaften DGB und GEW. Wissenschaftler aus Bochum, Essen, Dortmund, Köln und Wuppertal sowie der Laborschule Bielefeld gehören ebenfalls dazu, außerdem Persönlichkeiten aus Sport und Gesellschaft, darunter die CDU-Politikerin Rita Süssmuth. Unterstützung kommt auch vom Westdeutschen Handwerkskammertag und dem Unternehmen Gelsenwasser.