"Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels" hatte sich einfach nur als vierter Teil einer Filmformel entpuppt, deren Reiz sich bereits vor 19 Jahren mit dem dritten Teil erschöpft hatte.
Wie ein Staatsgeheimnis waren die Details der Filmhandlung gehütet worden. Man wusste nur soviel: es geht um einen Kristallschädel und Indiana Jones wird einen Sohn haben, gespielt vom aufstrebendem amerikanischen Schauspieltalent Shia LaBeouf ("Transformers") - woraus zu schließen war, dass die Handlung nun etwa 20 Jahre später einsetzt, also Ende der 50er Jahre spielen würde.
Fast könnte man sagen: Damit ist das Wesentliche dieses Film auch schon erzählt. Darüber enttäuscht zu sein, hieße, das Projekt nicht zu verstehen. Regisseur Steven Spielberg, Produzent George Lucas und Hauptdarsteller Harrison Ford nämlich waren genau dafür angetreten, alles zu machen wie gehabt. Schließlich sei man das Original, beteuerten sie gut gelaunt auf der Pressekonferenz in Cannes, da habe man es nicht nötig, die Nachahmer übertreffen zu wollen.
Zu digital und zu wenig Witz
Vielleicht waren die Macher zu entspannt. "Indiana Jones 4" leidet unter dem gleichen Syndrom, das alle Abenteuerfilme heute plagt: zu viele digitale visuellen Zaubereien und zu wenig Witz im Drehbuch. Ansonsten gibt es Versatzstücke aus den alten Filmen: rasante Verfolgungsjagden, auswegslose Situationen, aus denen "Indy" sich mit dem Schwung seiner Peitsche herausprügelt, und vergrabene Tempel, die sich beim Betreten in zusammenstürzende, tödliche Fallen verwandeln.
Das Alter hat bei Harrison Ford nicht allzu sichtbare Spuren hinterlassen, und altmodisch war "Indy" gewissermaßen schon immer. Die revolutionärste Neuerung besteht darin, dass der Bösewicht nun eine Frau ist: Cate Blanchett, die auf der Pressekonferenz bekannte, sie habe immer davon geträumt, selbst Indiana Jones zu sein - spielt jene Sorte eiserner Lady, die die westliche Kalte-Kriegs-Mythologie so gern auf sowjetischer Seite fantasiert hat: Ein bisschen Maschinenmensch, ein bisschen Blaustrumpf und jede Menge auf sibirische Temperaturen heruntergekühlten Sex Appeal.
Trotzdem hat man den ganzen Film hindurch das Gefühl: Das war alles schon mal da, und zwar besser. Bleibt nur zu hoffen, dass dieser lahme, einfallslose vierte Teil einem nicht im Nachhinein den Spaß an den ersten Folgen verdirbt.
Gomorra - unverdient im Schatten
Vollkommen im Schatten des "Indiana-Jones"-Events stand die Uraufführung eines Wettbewerbsfilms, der weit mehr Aufmerksamkeit verdient hätte: Mit "Gomorra" hat der italienische Regisseur Matteo Garrone das gleichnamige Reportagebuch von Roberto Saviano verfilmt, der in Italien zum Überraschungsbestseller wurde. Es ist ein nüchterner, unpathetischer, und doch bedrückender Film geworden.
Analog zu Savianos mutigem Buch beschreibt der Film die Herrschaft der Camorra nicht von der Spitze her, nicht als "Paten"-Geschichte, sondern von unten, aus der Perspektive der Angehörigen, Geldkuriere, Schwarzarbeiter und Jugendlichen, die dem Kreislauf von illegalen Drogen-, Waffen- und Müllhandel nicht entfliehen können, weil das System einen ganzen Landstrich erfasst hat.
Für sie gibt es kein Entkommen: nicht für die Jugendlichen, die zuerst aus Jux und Tollerei und dann zwangsweise mitspielen, nicht für den Geldkurier, der zwischen die Fronten verfeindeter Familien gerät, nicht für den Schneider, der in Schwarzarbeit so gute Arbeit leistet, dass seine Kleider von Stars auf den Roten Teppichen der Filmfestivals getragen werden. Kein peitschenschwingender Indiana Jones könnte ihnen helfen.
"Indiana Jones" uraufgeführt in Cannes
Keine Ovationen, keine Pfiffe
Auf keinen anderen Film war das Publikum so gespannt. Die Menschenansammlungen, die sich schon Stunden vor der Premiere bildeten, erweckten den Eindruck, hier werde Filmgeschichte geschrieben. Nach dem Film aber sah alles anders aus: Keine Ovationen, aber auch kaum Pfiffe.
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