Immer mehr Protestanten entdecken das Fasten

Auf den Zug aufgesprungen

In der evangelischen Kirche beteiligen sich jedes Jahr mehr als zwei Millionen Teilnehmer an der Fasteninitiative "Sieben Wochen ohne", um aus gewohnten Konsum- und Verhaltensweisen auszusteigen und neue Lebensziele zu finden. Dabei hattem Protestanten dem Fasten lange Zeit eher skeptisch gegenüber gestanden. Was unterscheidet evangelische von katholischen Christen bezüglich ihrer Fastengewohnheiten? Beobachtungen von Pfarrer Dr. Eberhard Kenntner, Superintendent des Kirchenkreises Bad Godesberg, im domradio-Interview.

Sich entscheiden: Foto der evangelischen Fastenaktion "Sieben Wochen ohne" (epd)
Sich entscheiden: Foto der evangelischen Fastenaktion "Sieben Wochen ohne" / ( epd )

domradio: Es gibt immer mehr fastende Protestanten, wie kommt das?
Kenntner: Ich war einer von denen, die als erste auf diesen Zug aufgesprungen sind. 1984 lief die erste Fastenaktion unter dem Namen „7 Wochen ohne", damals war ich junger Pastor in Rheinbach. Das Wesentliche in dieser Zeit war die Wiederentdeckung der Kirche im Protestantismus. Evangelische Christen waren es gewohnt, ganz viel alleine zu machen, der Individualismus wurde hoch gelobt. Bis es plötzlich einen neuen Schlager gab: „Ein Schiff was sich Gemeinde nennt".  Wir gehören zusammen, wir tun was zusammen, das war das Motto. Zu diesem Zusammentun gehörte auf einmal auch das Fasten. Natürlich nicht um Gott zu gefallen, sondern um sich selber über den eigenen Lebensstil klar zu werden. Es war die Zeit der Nachrüstungsdebatte, Menschen machten sich Gedanken und wollten zu sich selbst finden, um dem Leben einen Sinn zu geben.

domradio: Fasten kann man auf unterschiedliche Weise. Haben Sie das Gefühl, evangelische Christen fasten anders als katholische?  

Kenntner: Ich weiß nicht genau, wie katholische Christen fasten, vielleicht müsste man es sich gegenseitig deutlicher erzählen. Das geschieht in ganz vielen Fastengruppen, die es gibt. Das gehört mit zu dem Aufbruch des Gemeinschaftlichen. Die evangelischen Christen versuchen das Fasten mit dem Begriff der christlichen Freiheit zu vereinen. Das heißt, ich faste nicht, weil es gerade vorgeschrieben ist, sondern es ist eine Entscheidung um frei zu sein. Es ist eine Loslösung von Dingen, bei denen man das Gefühl hat, sie regieren mich, ich regiere nicht mehr sie. Das kann Autofasten sein, das kann Fasten mit Süßigkeiten sein, nicht mehr rauchen oder kein Alkohol mehr trinken.

In diesem Jahr finde ich das Thema ganz besonders spannend, es heißt  "Sich entscheiden - 7 Wochen ohne Zaudern". Das greift ein Problem unserer Tage auf, dass Menschen in der Wohlstansfülle gar nicht wissen was sie tun sollen, welchen Weg sie gehen sollen. Menschen soll Mut gemacht werden, einmal „Ja" und auch „Nein" zu sagen, das ist ein Fastenthema geworden.

domradio: Sie haben soeben einige Beispiele zum Thema „7 Wochen ohne Zaudern" genannt. Wie setzten Sie persönlich in diesem Jahr das Thema für sich um?

Kenntner: Meine Urgroßmutter ist eine Winzerin vom Rhein gewesen, und ich trinke unheimlich gerne Wein. Für mich ist "7 Wochen ohne" immer mit dem Versuch verbunden, mich meiner Freiheit gegenüber dem Alkohol zu vergewissern. Also, ich trinke in der Zeit nicht.

domradio: Martin Luther hatte Angst, man könne mit seinem Fasten Gott gefallen wollen.

Kenntner: Martin Luther hat einen interessanten Gedanken gehabt, er hat sich mit dem Fasten auseinandergesetzt, da er als Mönch lange damit befasst war. Er hat gesagt, der Mensch muss ganzheitlich gesehen werden. Er kann nicht in seiner Seele etwas entscheiden und mit seinem Körper anders leben. Zu einem konsequenten christlichem Leben gehört auch das Fasten, sozusagen auch mit dem Körper zu glauben. Die Ganzheitlichkeit des Menschen und die Geschöpflichkeit wahrnehmen, das steckt dahinter. So kann man mit Martin Luther gute Argumente finden.

domradio: Hat Martin Luther selbst gefastet?

Kenntner: Ja, natürlich. Es gibt eine lange Tradition in der evangelischen Kirche, auch vor dem Sakramentsempfang zu fasten. Als Kind kenne ich es noch, nüchtern zur Eucharistiefeier, der Abendsmahlfeier zu erscheinen. In manchen streng gläubigen Gegenden mussten die Tauffamilien zur Taufe ebenfalls nüchtern kommen. Das ist also eine gemeinsame Tradition, beide Kirchen haben den gleichen praktischen Vollzug des Glaubens. Das ist etwas was mich sehr freut. Hier geschieht Ökumene vor Ort, alle Fastengruppen, 123 in diesem Jahr, sind ökumenisch. Das heißt: Menschen fragen nicht mehr ihren Bischof vor Ort oder unsere Landeskirche, sondern Menschen beider Konfessionen sagen, es tut uns gut, unsere Religiosität ganzheitlich und gemeinschaftlich zusammen zu leben. Ich denke, so ist jeder Verdacht eines guten Werkes gegenüber Gott von vorneherein ausgeschlossen.