Immer mehr Länder öffnen Ladenschlusszeiten - Bonifatiuswerk im domradio: Den Sonntag heiligen

Weihnachtseinkauf am Adventssonntag

Shoppen in der Nacht, mancherorts auch Weihnachtseinkauf am Adventssonntag: In Kürze soll in fast ganz Deutschland möglich sein, was das Ladenschlussgesetz 50 Jahre verboten hat. Seit die Zuständigkeit im Zuge der Föderalismusreform vor vier Monaten den Bundesländern übertragen wurde, übertreffen sich die Länder gegenseitig in Tempo und Ausmaß der Liberalisierung.

 (DR)

Shoppen in der Nacht, mancherorts auch Weihnachtseinkauf am Adventssonntag: In Kürze soll in fast ganz Deutschland möglich sein, was das Ladenschlussgesetz 50 Jahre verboten hat. Seit die Zuständigkeit im Zuge der Föderalismusreform vor vier Monaten den Bundesländern übertragen wurde, übertreffen sich die Länder gegenseitig in Tempo und Ausmaß der Liberalisierung. Protest kommt von Gewerkschaften und Kirchen. So plädiert das Bonifatiuswerk mit seiner Kampagne "Sonntags nie!" für einen Erhalt der Sonntagswerte. "Trotz geöffneter Läden sollen die Menschen den Sonntag heiligen", wünscht sich Generalsekretär Prälat Clemens A. Kathke im domradio-Interview. - Der Kölner Sozialverband fordert im domradio-Interview NRW-Ministerpräsident Rüttgers auf, den Ladenschluss am Samstag auf 18 Uhr zu begrenzen.

Freier Konsum für freie Bürger
Der Konsumwunsch der Menschen lasse sich nicht mehr in ein gesetzliches Korsett pressen, argumentieren die Befürworter einer unbegrenzten Ladenöffnung. Vor allem die FDP propagiert seit Jahren freien Konsum für freie Bürger. Einkaufen sei heute für viele ein Erlebnis und eine wichtige Freizeitbeschäftigung, meint der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE). Auch die Unternehmen wollten selbst entscheiden, wann sie ihre Geschäfte machen, heißt es. Zudem könnten neue Arbeitsplätze entstehen.

Fast alle Bundesländer planen inzwischen, die Öffnungszeiten werktags komplett freizugeben. Rheinland-Pfalz will lediglich eine moderate Ausweitung, einzig das Saarland lässt alles beim Alten. Er sei gegen eine "vollständige Ökonomisierung der Gesellschaft", erklärte Ministerpräsident Peter Müller (CDU) zur Begründung.

Adventsshoppen in Berlin und Sachsen
Sonn- und Feiertage sollen fast überall in der Regel verkaufsfrei bleiben, mit den bereits geltenden Ausnahmen. Allerdings wollen Berlin und Sachsen erstmals die vier Adventssonntage für den Verkauf freigeben, in Brandenburg sollen die Läden an zwei Sonntagen im Advent öffnen dürfen.

Verfassungsgericht schützt Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung
Gegen eine weitere Aushöhlung des Sonn- und Feiertagsschutzes laufen vor allem die Kirchen Sturm, die größtenteils bereits eine Ladenöffnung am späten Samstagabend ablehnen. Der Sonntag sei als
Ruhe- und Gottesdiensttag vom Grundgesetz geschützt, betont etwa der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber. Auch das Bundesverfassungsgericht hatte 2004 von grundgesetzlich geschützten Tagen der "Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung" gesprochen. Bei den meisten Politikern trifft dies auf offene Ohren.

Shopping-Tourismus befürchtet
Selbst die Einzelhandelslobby würde es gerne bei den derzeit erlaubten vier verkaufsoffenen Sonntagen im Jahr belassen. Eine Aufweichung der Sonntagsruhe drohe aber in jedem zweiten Bundesland durch geplante Ausnahmebestimmungen, kritisiert HDE-Experte Heribert Jöris. Viele Gesetzentwürfe seien nicht nur unübersichtlich, sondern enthielten auch "schwere handwerkliche Webfehler". Als Folgen befürchtet Jöris langwierige Rechtsstreitigkeiten und weitere Wettbewerbsverzerrungen - schon heute seien etwa Tankstellen und Bahnhöfe im Vorteil.

Die Branche hätte sich eine bundesweit einheitliche Regelung gewünscht. Nun werde sie mit 16 verschiedenen Arbeitszeitbestimmungen zu tun haben, beklagt der HDE-Fachmann, der wegen der Unterschiede einen "Shopping-Tourismus" befürchtet. Trotz der Eile vor allem in Nordrhein-Westfalen, Berlin, Sachsen und Brandenburg rechnet Jöris für dieses Jahr noch nicht mit dem großen Weihnachtsgeschäft im Einzelhandel durch die längeren Öffnungszeiten. Die Gesetze kämen zu spät. So seien für geänderte Arbeitszeiten in größeren Unternehmen zunächst Betriebsvereinbarungen nötig.

Testphasen bei Großkonzernen
Manche Ketten wie Karstadt-Quelle wollen trotzdem zumindest ihre Filialen in einigen Metropolen an den Adventswochenenden länger offen halten, sobald der Ladenschluss gekippt ist. Überlegungen gibt es auch bei Bekleidungsketten wie C&A und H&M oder beim Möbelhaus Ikea. Häufig sind aber zunächst längere Testphasen an einzelnen Standorten geplant.

Familien leiden unter Spätschichten
Im Gegensatz zu Jöris sieht ver.di durch eine Ausweitung der Öffnungszeiten Großkonzerne bevorteilt, zu Lasten kleinerer und mittlerer Betriebe. Die 2,7 Millionen Beschäftigten im Einzelhandel sind nach Auffassung der Dienstleistungsgewerkschaft die Hauptleidtragenden der Liberalisierung, auf sie kämen gesundheitsschädliche und familienfeindliche Arbeitszeiten zu. Der HDE forderte zudem bereits die Abschaffung der ab 18.30 Uhr gewährten Spätarbeitszuschläge, damit sich die längeren Öffnungszeiten für die Geschäfte lohnen. Auch Kirchenleute befürchten, das Leben zahlreicher Familien könnte unter Spät- und Nachtschichten leiden.

Kunden bestimmen die Öffnungszeiten
Ob sich die jetzigen Öffnungszeiten durch die Gesetzesänderungen wirklich nennenswert verschieben und die Kassen in den Läden künftig mehr klingeln als bislang, gilt als fraglich. "Es wird keinen Rund-um-die-Uhr-Verkauf in der Breite geben", erwartet Jöris.

"Niemand will nachts um drei eine Bohrmaschine kaufen." Die Regelung übernähmen Markt und Wettbewerb - mit anderen Worten: Die Kunden bestimmen durch ihr Kaufverhalten mit über die künftigen Öffnungszeiten.