Das Betreuungs- und Vormundschaftsrecht soll reformiert werden

Im Zentrum steht die Selbstbestimmung

Es ist gleichsam eine Jahrhundertreform: Die ganze Thematik um Vormundschaft soll neu strukturiert werden. Im Mittelpunkt soll die Selbstbestimmung der Betreuten oder Kinder stehen. Am Donnerstag debattiert der Bundestag.

Autor/in:
Christoph Scholz
Betreuung mit Fürsorge / © fizkes (shutterstock)

Eigentlich kann es jeden Treffen: Sei es durch einen Unfall, Demenz oder eine psychische Erkrankung wird eine Betreuung nötig. Seit 1995 hat sich die Zahl der Betreuungsfälle in Deutschland verdoppelt. Nach Angabe des Bundesverbandes der Berufsbetreuer (BVB) nutzen inzwischen rund 1,3 Millionen Menschen einen Betreuer.

"Das durchschnittliche Alter wächst, Familienstrukturen lösen sich auf und soziale Einrichtungen können aufgrund finanzieller Einschränkungen weniger leisten", heißt es beim BVB. Aber auch die Zahl der Minderjährigen steigt, die einen gerichtlich bestellten Vormund brauchen. In beiden Fällen bedeutet das tiefe eingriffe in Freiheitsrechte.

Bisheriges Recht ist unübersichtlich und problematisch

Die Bundesregierung will nun die rechtlichen Grundlagen im Vormundschafts- und das Betreuungsrecht modernisieren und neu strukturieren. Das Ziel: Das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen soll ins Zentrum gerückt werden.

An diesem Donnerstag wird sich der Bundestag in erster Lesung mit dem Gesetzentwurf befassen. Das Vormundschaftsrecht geht bis auf das Jahr 1896 zurück. Durch zahlreiche Ergänzungen und Änderungen ist es nicht nur unübersichtlicher, sondern in der Anwendung auch problematisch geworden. Einig sind sich die Experten auch, dass das 1992 eingeführte Betreuungsrecht, das die umstrittenen Entmündigungen abschaffte, modernisiert werden muss.

Neues Gesetzespaket im Koalitionsvertrag geplant

Das vom Bundesjustizministerium vorgelegte Gesetzespaket einschließlich aller Folgeanpassungen sieht immerhin eine Änderung von 46 Gesetzen vor. Voraus ging ein langjähriger Diskussionsprozesses mit Juristen, Betreuern, Betroffenen und Vereinen. Ein Mammutprojekt, auf das sich Union und SPD im Koalitionsvertrag geeinigt hatten.

Die Reform des Vormundschaftsrechts soll den Mündel mit seinen Rechten in den Mittelpunkt stellen. Deshalb regelt sie ausdrücklich die Erziehungsverantwortung des Vormunds und sein Verhältnis zur Pflegeperson, die in der Regel den Mündel im Alltag erzieht.

Vormund soll zum Stellvertreter werden

Beim Betreuungsrecht orientiert man sich am Paradigmenwechsel der UN-Behindertenrechtskonvention: Statt eines bevormundenden Ansatzes soll der Betreuer den zu Betreuenden etwa bei der Organisation des Alltags, bei Arztbesuchen oder bei der Verwaltung des Geldes helfen; in erster Linie aber ein eigenes, selbstbestimmtes Handeln ermöglichen. So soll der Betreuer nur als Stellvertreter auftreten dürfen, soweit es erforderlich ist.

Für seine Aufgabe und Eignung und die gerichtliche Aufsicht sollen die Wünsche des Betreuten Vorrang haben. Zudem solle Betroffenen besser aufgeklärt und stärker eingebunden werden, nicht zuletzt um Pflichtverletzungen des Betreuers zu verhindern.

Eheleute sollen einander vertreten können

Ein weiterer Punkt der Reform: Ehegatten sollen künftig einander in Gesundheitsangelegenheiten für die Dauer von drei Monaten gegenseitig vertreten können, wenn sich ein Ehegatte krankheitsbedingt vorübergehend nicht um seine Angelegenheiten kümmern kann.

Bislang braucht es auch dafür eine Vollmacht oder eine gerichtliche Bestellung.

Berufsbetreuer brauchen Eignungsvoraussetzungen 

Ein neues Betreuungsorganisationsgesetz regelt die Vorschriften zu den Betreuungsbehörden, den Betreuungsvereinen und ehrenamtlichen wie beruflichen Betreuern. Um die Qualität der beruflichen Betreuung zu sichern, müssen sie künftig persönliche und fachliche Mindesteignungsvoraussetzungen nachweisen.

Derzeit gibt es rund 17.000 Berufsbetreuer. Vorrang haben aber Angehörige, Freunde, Nachbarn und anderen ehrenamtliche Betreuer. Derzeit sind etwa 700.000 Menschen ehrenamtlich dazu bestellt.

Vormundschaftsführende Vereine übernehmen Verantwortung

Auch die Zuständigkeit bei der Vormundschaft will der Gesetzgeber neu regeln. Neben den Jugendämtern, beruflichen oder ehrenamtlichen Vormunden übernehmen vormundschaftsführende Vereine die elterliche Sorgeverantwortung - die meisten Vereine sind in konfessioneller Trägerschaft.

Nach Angaben des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) stehen derzeit etwa 100.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland unter Vormundschaft, weil ihre Eltern nicht für sie sorgen können.

Kritische Stimmen

Nicht zuletzt aufgrund des umfangreichen Konsultationsprozesses stößt das Reformvorhaben auf breite Zustimmung. Allerdings wird bei Einzelheiten noch Änderungsbedarf gesehen. So kritisiert etwa der SkF, dass künftig in der Regel nicht mehr der Vormundschaftsverein, sondern nur noch der einzelne Mitarbeiter zum Vormund bestellt werden kann, als wenig praxistauglich.

Die Länderkammer wiederum fordert etwa, das Leitbild der ehrenamtlichen Betreuung nicht auszuhöhlen. Im Bundesjustizministerium hofft man dennoch, das Reformwerk bereits im Frühjahr abschließen zu können.


Quelle:
KNA