Michael Engelbrecht zieht durch die Main Road, die in unmittelbarer Nähe des neuen Stadions liegt. Alles, was er besitzt, passt genau in einen ausgedienten Einkaufswagen: ein Schlafsack, eine alte Trinkflasche, ein paar Kartons, eine warme Jacke und eine Holzkiste, in der einst edle Tropen aus dem Weingut Steenberg lagerten. Schon seit Jahren lebt der 60-Jährige auf der Straße und ist oft im Herzen von Kapstadt unterwegs. Er freut sich auf die Weltmeisterschaft. "Ich hoffe, dass Südafrika gut spielt", sagt er und lächelt ein bisschen.
Doch ob Engelbrecht während der WM mit seinem alten Einkaufswagen überhaupt in der Nähe des Stadions stehen darf, ist ungewiss. Denn in Kapstadt kritisieren Obdachlose, Nichtregierungsorganisationen und Kirchen gleichermaßen, dass immer mehr Menschen aus dem Zentrum vertrieben werden. Sogar von Zwangsumsiedlungen ist die Rede. Besonders in den Fokus geraten ist Blikkiesdorp, eine unwirkliche Blechhütten-Siedlung gut 20 Kilometer von Kapstadt entfernt, in der eine wachsende Zahl von Bewohnern wie die sprichwörtlichen Sardinen in der Büchse zusammengepfercht werden. Wie viele Menschen dort leben, weiß niemand so genau. Immerhin gibt es Strom. Doch die Straßen sind trist, staubig und trostlos.
Die Stadtverwaltung von Kapstadt hört es allerdings nicht gerne, wenn jemand von Umsiedlungen spricht. "Wir haben keine einzige Person gegen ihren Willen nach Blikkiesdorp gebracht", sagt Pieter Cronje, der für das WM-Programm in Kapstadt verantwortlich ist. Ohnehin macht ihn der Vorwurf von Zwangsvertreibung und Säuberung ärgerlich. "Wir verstecken doch nichts vor den Touristen, und wir leugnen die Armut im Land auch nicht."
"Die Leute fangen an, hier zu hungern"
Angela Johnson weiß indes ganz genau: Freiwillig ist sie nicht nach Blikkiesdorp gezogen. Es passierte Ende November des vergangenen Jahres. Gemeinsam mit ihren drei Kindern musste sie ihre Wohnung in dem Industrie- und Arbeiterstadtteil Woodstock verlassen, das sich allmählich zu einem In-Viertel für Künstler und Medienunternehmen mausert. Möbel und Kleidung der Familie Johnson wurden auf die Straße geworfen. Warum all das passierte und wer genau dahinter steckte, kann sie bis heute nicht sagen.
Eine Woche lang lebte die ausgemergelt wirkende Frau anschließend mit ihren Kindern auf der Straße, bis es hieß: Ihr bekommt in Blikkiesdorp ein Haus. Aber die neue Bleibe bietet gerade einmal 21 Quadratmeter für die ganze Familie. Ein eigenes Haus und Strom dazu, das hört sich attraktiv an, gerade weil im südlichen Afrika der Winter vor der Tür steht und es nachts eisig kalt wird: Doch im Blechdorf gibt es weder Arbeitsplätze noch Schulen, weshalb Angela Johnson gemeinsam mit ihren Kindern jeden Tag nach Kapstadt fahren muss. Diese Touren machen monatlich rund 1.000 Rand für öffentliche Verkehrsmittel aus, umgerechnet etwa 100 Euro. Geld, das sie früher sparen konnte.
Immerhin hat sie seit ein paar Wochen einen neuen Job, der ihr etwas Hoffnung macht. Sie kocht für die Suppenküche von Catholic Welfare and Development (CWD), einer der größten Nichtregierungs-Organisationen am Kap der guten Hoffnung. Auch für CWD ist Blikkiesdorp in den vergangenen Monaten immer mehr in den Mittelpunkt gerückt. "Natürlich, Obdachlose bekommen dort eine Hütte", erzählt Chris Visagie, der als Sozialarbeiter und Fahrer für die Organisation arbeitet. Aber viele Menschen hätten durch den Umzug ihre sozialen Bindungen und den Zugang zu Jobs verloren. "Die Leute fangen an, hier zu hungern." Deswegen will CWD jetzt vor allem ein Projekt in Angriff nehmen: Container mit Lebensmitteln nach Blikkiesdorp bringen.
Im WM-Spielort Kapstadt sorgt ein "Wohnprogramm" für Streit
Jedem Armen eine Hütte
Keine zwei Wochen mehr - dann wird in Südafrika die erste Fußball-WM auf dem schwarzen Kontinent angepfiffen. Rund um das Green Point Stadium in Kapstadt ist alles sauber, ruhig und ordentlich. Keine Bettler und Straßenverkäufer weit und breit. Der Spielort scheint alles im Griff zu haben - fast alles.
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