Im nigerianischen Jos kehrt keine Ruhe ein

Stadt der Angst

Jos wirkt ruhig und gemütlich, eine angenehme Stadt, die mitten in Nigeria liegt - doch die Ruhe trügt. Denn der Name ist zum Synonym für Kämpfe und Konflikte geworden, bei denen seit Anfang der 90er Jahre mehrere tausend Menschen ermordet wurden.

Autor/in:
Katrin Gänsler
 (DR)

Mal sind es Christen, mal Muslime. Dabei haben die vermeintlich religiösen Ausschreitungen kaum etwas mit Religion zu tun. Augustina Haruna hat alle Hände voll zu tun. Der Fastenmonat Ramadan ist angebrochen, und sie möchte nach Einbruch der Dunkelheit eine stärkende Mahlzeit auf den Tisch bringen, obwohl sie gar nicht fasten muss. Die Hebamme ist Katholikin, doch seit mehr als 30 Jahren mit einem Muslim verheiratet. "Wenn ich auf Reisen war, hat sie während des Ramadan unsere Kinder geweckt, damit sie vor Tagesbeginn etwas essen", sagt ihr Mann Alhadji Abdulaziz Haruna und wirft seiner Frau einen bewundernden Blick zu. Augustina Haruna lächelt zurück. "Er ist meine große Liebe." Deshalb hat es beide nie gestört, dass sie unterschiedlichen Religionen angehören. Über Jahrzehnte ging es gut, bis im Januar und März neue Unruhen mit mehreren hundert Toten ausbrachen.

Beide werden leise, wenn sie an jene Tage zurückdenken. Zwar ist keines der vier Kinder ums Leben gekommen, aber trotzdem haben sie zwei Söhne verloren: die Zwillinge von Augustinas Schwester. Weil diese starb, kamen die Säuglinge vor 18 Jahren ins Haus der Familie. Augustina Haruna fütterte sie, zog sie groß und schickte sie vor ein paar Monaten weg in einen christlichen Stadtteil, weil sie Todesangst um die mittlerweile jungen Männer hatte. "Wie hätten sie hier im muslimischen Viertel noch sicher zur Schule gehen können?" Wenn sie selbst sonntags in die Sankt-Theresien-Kirche geht, nimmt Augustina einen langen Umweg in Kauf und vermeidet einige Straßen. "Ich weiß nicht, ob sich die Situation wieder ändert", seufzt sie.

In einem ist sich Augustina Haruna jedoch sicher: "Die Konflikte sind politisch motiviert." Diese Einschätzung teilen viele; etwa Pastor Anthony Fom, der als Koordinator für das Komitee für Gerechtigkeit, Entwicklung und Frieden (Justice, Development and Peace Committee, JDCP) der Caritas arbeitet. "Religion wird benutzt. Anhänger der verschiedenen politischen Parteien kann man auf der Straße nicht unterscheiden - Christen und Muslime aber sehr wohl." Darüber hinaus gebe es tiefe ethnische Gräben, die mit der Frage verbunden sind, wem Jos überhaupt gehört. Sind es die "Einheimischen" oder die "Siedler", die immer noch Siedler genannt werden, obwohl sie seit unzähligen Jahren im Plateau State leben?

Unruhen als Ventil
Für viele Straßenkämpfer aber sind solche Fragen nebensächlich. "Junge Menschen nutzen die Unruhen auch als Ventil", sagt JDPC-Projektleiter Sani Suleiman. Damit protestierten sie gegen die Regierung und wollten ihre oft ausweglose Situation öffentlich machen. Gekämpft wird meist nicht im Zentrum der Stadt, sondern in ärmlichen Vororten. Manchmal, erzählt Suleiman, sind die Ausschreitungen auch schlicht Rachefeldzüge.

An Rache mag Abdulsamad Ibrahim nicht denken - obwohl der 18-Jährige während der Unruhen zu Jahresbeginn seinen Bruder verloren hat. "Sieben Schüsse", erinnert er sich. Doch der Schüler hat seinen eigenen Weg gefunden, um die Situation zumindest für sich in Griff zu bekommen, ohne Gewalt und Vergeltungsgelüste. Abdulsamad ist Mitglied des "Peace Club" seiner Schule. Das "Centre for Peace Advancement in Nigeria" (CEPAN) hat solche schulischen Friedensvereine gegründet. Die Organisation bildet Lehrer aus, die ihren Schülern ein friedliches Miteinander beibringen.

Denn anders als ihre Eltern und Großeltern kennen junge Menschen nur das unfriedliche Jos. Nkem Chukwuanu geht es nicht anders. Im November 2008 brannte das Elternhaus der heute 16-Jährigen nieder. Die Familie zog in eine andere Straße, um nicht ständig daran erinnert zu werden. Doch nicht nur räumliche Distanz hilft mittlerweile bei der Überwindung der Angst, sondern eben auch der Friedensverein. "Wir lernen hier, andere zu akzeptieren und nicht zu diskriminieren." Es klingt ein wenig theoretisch. Doch es steckt viel mehr dahinter. "Ich bin offener geworden und kann wieder auf Menschen zugehen", sagt sie und hat damit eins geschafft: Sie hat ein kleines bisschen Vertrauen zurückgewonnen.