Vor 70 Jahren: Theodor Heuss wird erster Bundespräsident

Ideale Besetzung in schwieriger Zeit

Er wollte Gräben zuschütten und die Deutschen "entkrampfen": Vor 70 Jahren wurde Theodor Heuss zum ersten Bundespräsidenten gewählt. Eine väterliche Figur, die den Deutschen Vertrauen in die Politik einflößte.

Der ehemalige Bundespräsident Theodor Heuss / © N.N. (KNA)
Der ehemalige Bundespräsident Theodor Heuss / © N.N. ( KNA )

Das waren noch Zeiten, als die FDP den Bundespräsidenten stellte. Am Donnerstag vor 70 Jahren, am 12. September 1949, wurde der Liberale Theodor Heuss zum ersten Staatsoberhaupt der gerade gegründeten Bundesrepublik gewählt. Der Journalist und Schriftsteller, von 1949 bis 1959 im höchsten Staatsamt, war damit das erste deutsche Staatsoberhaupt bürgerlicher Herkunft - nach den Kaisern, dem Sozialdemokraten Friedrich Ebert, Paul von Hindenburg und Hitler.

Heuss war eine ideale Besetzung in schwieriger Zeit. Der 65-Jährige wirkte wie ein Antipode zum Bundeskanzler und Machtmenschen Konrad Adenauer, ein milder Ersatzmonarch, der den Deutschen wieder Vertrauen, Selbstbewusstsein und Lebensfreude geben sollte.

"Höchster Netzwerker der frühen Bundesrepublik"

"Heuss zieht dem Kampf das Nachdenken vor", schrieb der französische Deutschlandkenner Alfred Grosser. Der Protestant Heuss war eher Intellektueller als Politiker. Humor, Gutmütigkeit und Bescheidenheit - so wurde sein väterlicher Stil wahrgenommen. Er selber fand das Klischee von "Papa Heuss" grässlich, hasste die "Staatsschauspielerei" und empfand sich als "Staatssklave im Frack".

Heuss hat das Amt geprägt - nicht allein durch seine großen Reden. Als "höchsten Netzwerker der frühen Bundesrepublik" beschreibt ihn Joachim Radkau in seiner Biografie. Der Schwabe vermittelte zwischen Bildungsbürgertum, der Welt der Naturwissenschaften und der Technik, verschaffte dem jungen Staat neues Ansehen im Ausland. Radkau hebt sein einzigartiges Verhältnis zu vielen jüdischen Zeitgenossen, zum Judentum überhaupt, hervor.

"Kollektivscham" statt "Kollektivschuld"

Als sein größtes Ziel definierte Heuss die "Entkrampfung der Deutschen": Er warb für die Überbrückung der Fronten zwischen "rechts" und "links", Alt-Nazis und Anti-Nazis, und nicht zuletzt auch für eine neue Unbefangenheit gegenüber Emigranten und Siegermächten.

In den Chor des Vergessens der Nazi-Vergangenheit stimmte Heuss freilich nicht ein: 1952 betonte er provozierend, dass jeder Deutsche von den NS-Verbrechen gewusst habe. Den Vorwurf der Kollektivschuld lehnte er hingegen ab. Er sprach vielmehr von der "Kollektivscham", in die jeder Deutsche nach 1945 eingetreten sei.

Warnung vor Hitler

Wie Adenauer hatte Heuss entscheidende politische Erfahrungen in der Weimarer Republik gesammelt. 1884 als Sohn eines Straßenbauingenieurs im württembergischen Brackenheim geboren, war er durchdrungen von unbändigem Bildungs- und Aufstiegswillen. 1905 holte ihn der ehemalige protestantische Pfarrer Friedrich Naumann als Redakteur zur Zeitschrift "Die Hilfe". 1912 wurde er Chefredakteur der "Neckarzeitung" in Heilbronn. Zwischenzeitlich redigierte er auch noch die Kulturzeitschrift "März", herausgegeben von Hermann Hesse und Ludwig Thoma. 1918 wechselte er nach Berlin, dozierte an der Hochschule für Politik, wurde Verbandsfunktionär für den Deutschen Werkbund und den Schutzverband deutscher Schriftsteller, schrieb Porträts und Bücher, darunter ein warnendes über "Hitlers Weg".

1924 ging Heuss für die liberale DDP in den Reichstag. Im März 1933 beging er die große politische Sünde seines Lebens: Er stimmte - wenn auch widerstrebend - für Hitlers "Ermächtigungsgesetz". Und wurde postwendend von den Nazis als Dozent der Hochschule für Politik entlassen; das Reichstagsmandat wurde ihm aberkannt.

Erster Vorsitzender der FDP

In den folgenden Jahren musste er sich, streng beobachtet, mit dem Schreiben über Wasser halten. Heuss verfasste Biografien und schrieb Feuilletons für die "Frankfurter Zeitung". Mit der Gründung der FDP 1948 wurde er deren erster Vorsitzender. 1949 wurde Heuss, der seit 1908 mit Elly Knapp, Tochter des damals bekannten Straßburger Nationalökonomen Georg Friedrich Knapp verheiratet war, von Christdemokraten und FDP im zweiten Wahlgang zum Bundespräsidenten gewählt - und zwar gegen SPD-Chef Kurt Schumacher.

Bei seiner Wiederwahl 1954 hatte er keinen Gegenkandidaten mehr: Heuss war "zu einer mit dem Amt verwachsenen, von jeder Partei unabhängigen Figur geworden", schreibt Grosser. 1959 wurde ihm sogar eine dritte Amtszeit angetragen, doch lehnte er ab, weil dafür die Verfassung hätte geändert werden müssen. Heuss starb im Alter von 79 Jahren am 12. Dezember 1963 in Stuttgart.


Quelle:
KNA