Caritas-Aktion "Brille am Dom" im Erzbistum Köln

"Ich sehe was, was du nicht siehst"

Mit der Aktion "Brille am Dom" will die Caritas auch Leuten, die sich keine Brille leisten können, eine bessere Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Vor dem Kölner Dom hat sie dafür geworben.

Überdimensionale Brille bei der Caritas-Aktion am Dom / © Ina Rottscheidt (DR)
Überdimensionale Brille bei der Caritas-Aktion am Dom / © Ina Rottscheidt ( DR )

DOMRADIO.DE: Wenn man zum Augenarzt gehe und eine Brille verschrieben bekommt, egal ob als Erwachsener oder als Kind, muss man alles selber bezahlen?

Andreas Sellner (Leiter der Abteilung Gefähr­detenhilfe beim Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln): Ja, das ist richtig. Es gibt nur wenige Ausnahmen. Seit 2017 sind die Regeln da neu festgelegt worden. In dem Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz bekommen nur stark fehlsichtige Erwachsene einen Zuschuss von 10 bis 120 Euro, je nachdem, wie stark die Sehschwäche ist. Die müssen dann schon mehr als sechs Dioptrien haben, oder vier Dioptrien und eine Hornhautverkrümmung – also im Grunde genommen sieht man da nichts mehr, nur dann gibt es vielleicht einen Zuschuss – ansonsten gibt es gar nichts.

DOMRADIO.DE: Und Brillen sind teuer. Sie von der Caritas gehen von einem Wert von 180 Euro aus. Aber von was für Brillen sprechen wir da? Man kann sich auch im Drogeriemarkt eine Lesebrille für drei Euro kaufen. Und es gibt ja auch Anbieter, die sagen: Bei uns kriegen Sie eine Brille für 40 Euro.

Sellner: Das stimmt. Je nach Sehschwäche und Einschränkung. Wenn das nur wenig ist und wenn das auf beiden Augen auch die gleiche Sehschwäche ist, dann ist das okay. Dann kann man sich damit vielleicht behelfen. Aber meistens sind die Sehschwächen auf den Augen sehr unterschiedlich. Deshalb braucht man dann auch andere Gläser, die wesentlich teurer sind. Und dazu kommt noch das Brillengestell.

Wir haben das mal ausgerechnet, von einer einfachen Brille bis zu einer Hightech-Brille. Man liegt bei etwa 180 Euro, die man eigentlich im Schnitt für eine einigermaßen vernünftige Brille bezahlen muss, durch die man dann auch entsprechend der Sehschwäche etwas sehen kann.

DOMRADIO.DE: Die Aktion "Durchblick für alle" passiert im Vorfeld des Welttages der Armen am Sonntag. Was bedeutet das denn, wenn Menschen sich keine Brille leisten können?

Sellner: Denen fehlt der Durchblick – in vielerlei Hinsicht, in vielen Lebenslagen. Das fängt in der alltäglichen Praxis an: Es ist eine Gefahr im alltäglichen Leben, dass man irgendeine Stolperfalle übersieht und dann wirklich hinfällt. Insbesondere Ältere, die sowieso schon etwas unsicher sind, können sich dabei verletzen. Das ist ja im Grunde eine Erkrankung, eine Einschränkung des Sehens. An dieser Stelle zu sparen, produziert an anderer Stelle wieder wesentlich mehr Kosten.

Es ist im beruflichen Leben eine Voraussetzung in vielen Bereichen, dass man zumindest eine Rechnung lesen kann oder einen Auftrag oder einen Vertrag. Und alle Dokumente, die man unterschreiben muss, beispielsweise Vereinbarungen beim Jobcenter – wenn man die nicht lesen kann, weiß man gar nicht, was man unterschreibt.

DOMRADIO.DE: Heute um 11 Uhr vor dem Kölner Dom haben Sie eine Protestaktion gestartet. Wie wollen Sie auf diese Zusammenhänge aufmerksam machen?

Sellner: Zum einen haben wir eine überdimensioniert große Brille fertigen lassen von unserem Beschäftigungshilfeprojekt, vom SKM DE FLO. Sie haben die dort aufgestellt und sie steht symbolisch dafür, dass wir im direkten Sinne für arme Menschen eine kostenlose Brille fordern. Für Menschen, die sich eine Brille nicht leisten können und auch von einem Bezug ausgeschlossen sind, weil sie noch nicht so schlechtsichtig sind, dass sie eine Brille erhalten können.

Aber gleichzeitig ist damit ja verbunden, ihnen auch im übertragenen Sinne für viele Dinge des alltäglichen Lebens endlich wieder den Durchblick zu ermöglichen. Wenn sie da klarsichtig sind, ist ihnen damit auch Teilhabe am gesellschaftlichen Leben insgesamt möglich.

DOMRADIO.DE: Und wie haben die Leute auf Sie reagiert?

Sellner: Die Reaktionen waren unterschiedlich. Diejenigen, die selber eine Brille tragen und auch eine entsprechende Sehschwäche haben, konnten das sehr gut einschätzen. Andere Leute hatten, auch trotz Brille, erst einmal gar keinen Zugang dazu. Denen musste man das tatsächlich erklären.

Dass es für die Brillen keine finanzielle Unterstützung gibt, stört vielleicht auch nicht so, wenn man über genug Einkommen verfügt. Wenn man aber im alltäglichen Leben tatsächlich mal nicht auf eine Brille zurückgreifen kann, obwohl man eine Sehschwäche hat, wenn man nicht genügend Geld hat, stößt man auf diese Fallen, die das mit sich bringt.

DOMRADIO.DE: Die Protestaktion ist jetzt vorbei. Wie geht denn Ihr Einsatz für den "Durchblick für alle" weiter?

Sellner: Wir haben diese Aktion verknüpft mit einer Postkarte, die wir gedruckt haben. Auf der einen Seite ist sie ganz schwarz. Auf der anderen Seite steht: Ich sehe was, was du nicht siehst. Und das ist so klein geschrieben, dass man es tatsächlich auch mit Brille nicht leicht lesen kann. Diese Postkarte wird an Jens Spahn geschickt. Die kann jeder abschicken, der sich genau damit solidarisch erklärt und diese Aktion unterstützen will: Dass auch armen, einkommensschwachen Menschen ermöglicht wird, eine Brille zu erhalten.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Andreas Sellner / © Melanie Trimborn (DR)
Andreas Sellner / © Melanie Trimborn ( DR )
Quelle:
DR