Hunderte Enttäuschte demonstrieren für "offene Schweiz"

Schweizer stimmen für Begrenzung von EU-Zuwanderung

Nach der Zuwanderungsentscheidung herrscht auch vielerorts in der Schweiz Sorge und Ungewissheit. Die Schweizer Bischofskonferenz bedauert das Ergebnis des Votums.

Die Hälfte der Schweizer ist für eine offene Schweiz (dpa)
Die Hälfte der Schweizer ist für eine offene Schweiz / ( dpa )

Die Europäische Union hat angesichts der engen Wirtschaftsbeziehungen zur Schweiz das Votum der Eidgenossen für eine Abschottung ihres Landes kritisiert. Eine Einschränkung der Zuwanderung für Ausländer verletze das Prinzip des freien Personenverkehrs zwischen der Europäischen Union und dem Alpenland, teilte die EU-Kommission in Brüssel mit.

Der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz, ermahnte die Schweizer, sie könnten nicht nur die Vorteile des großen europäischen Binnenmarktes für sich in Anspruch nehmen. Die Deutschen stellen mit rund 300 000 einen großen Teil der ausländischen Bevölkerung in der Schweiz.

50,3 Prozent gegen "Masseneinwanderung"

Die Schweizer hatten sich am Sonntag in einer Volksabstimmung überraschend dafür ausgesprochen, die Zuwanderung aus der EU zu begrenzen. Mit 50,3 Prozent fiel die Zustimmung für die Initiative der national-konservativen Schweizer Volkspartei (SVP) "Gegen Masseneinwanderung" denkbar knapp aus. Aus Enttäuschung über die Niederlage gingen in den Großstädten Zürich, Bern und Luzern am Abend Hunderte Menschen auf die Straßen, um weiterhin für eine offene Schweiz zu werben.

Die Regierung in Bern muss nun binnen drei Jahren das Anliegen umsetzen. "Die Schweiz wird also in Zukunft die Bewilligungen für den Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern durch Höchstzahlen und Kontingente begrenzen", sagte Justizministerin Simonetta Sommaruga. Der Schweizer Bundespräsident Didier Burkhalter kündigte am Abend an, es gehe nun darum, eine auch aus Sicht der EU akzeptierbare Form zu finden.

Kritik vom EU-Parlament

Als assoziierter EU-Partner würde die Exportnation Schweiz im Fall von Zuwanderer-Kontingenten gegen das Recht der Personenfreizügigkeit verstoßen. Offene Grenzen für Arbeitnehmer gehörten zu den Prinzipien des Binnenmarktes, betonte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, Elmar Brok. "Wir können das nicht widerspruchslos hinnehmen", sagte der CDU-Politiker dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Montag). Bei anti-europäischen Parteien in der EU sorgte die Entscheidung hingegen für Begeisterung.

Der Erfolg der Initiative gegen "Masseneinwanderung" löste in der Schweizer Wirtschaft große Sorgen aus. "Wir werden jetzt in eine Phase der Unsicherheit einbiegen", sagte der Präsident des Schweizer Arbeitgeberverbands, Valentin Vogt, im Schweizer Fernsehen. Unsicherheit sei für die Wirtschaft schlimmer als schlechte Nachrichten. Die stark exportorientierte Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie fürchtet nach Angaben vom Sonntagabend beträchtliche Nachteile im Handel mit der EU. Die Politik müsse alles daran setzen, das die Verträge mit der EU intakt blieben.

Bedauern der Kirchen

Simon Spengler, Geschäftsführender Sekretär der Kommission für Kommunikation und Medien bei der Schweizer Bischofskonferenz, sagte im Interview mit domradio.de: "Wir bedauern das Ergebnis sehr. Die bischöfliche Kommission "Iustitia et pax" hat sich auch im Vorfeld der Abstimmung ganz klar davon distanziert und vor den Konsequenzen gewarnt. Wir haben auch deutlich betont, dass die Mentalität, die hinter diesem Ansinnen steht, mit den christlichen Werten nicht vereinbar ist."

Die Entscheidung für eine Begrenzung der Zuwanderung wird auch vom Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund bedauert. Der Zusammenschluss der reformierten Landeskirchen rief am Sonntagabend dazu auf, die Initiative "gegen Masseneinwanderung" in einer Weise umzusetzen, dass sie mit dem Völkerrecht und den Menschenrechten vereinbar ist. Die Umsetzungsbestimmungen müssten zudem mit der Personenfreizügigkeit verträglich sein.

Linkspartei fordert Konsequenzen

In Deutschland fordert die Linkspartei drastische Konsequenz aus dem Schweizer Votum für härtere Zuwanderungsregeln. Parteichef Bernd Riexinger forderte die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen. "Wenn die Schweiz ihre Grenze für Menschen schließt, dann ist es nur gerecht, wenn auch das Geld draußenbleibt", sagte Riexinger dem "Handelsblatt" (Montag). "Die Schweiz kann sich nicht ernsthaft auf den Standpunkt stellen, dass sie sich gegen Zuwanderer abschotten kann, und gleichzeitig das Steuerfluchtgeld aus ganz Europa mit offenen Armen empfängt", argumentierte Riexinger.


Quelle:
dpa , DR , epd