Human Rights Watch-Bericht verurteilt illegale Ehen im Irak

Rechtlos und vergessen

Im Irak werden jährlich Tausende Minderjährige verheiratet, berichtet Human Rights Watch. Ihre Kindheit endet teils schon mit zehn oder elf Jahren. Vom Staat werden sie als "Unregistrierte" ein zweites Mal entwürdigt.

Autor/in:
Christoph Schmidt
Symbolbild Kinderhochzeit / © Kitti Tantibankul (shutterstock)
Symbolbild Kinderhochzeit / © Kitti Tantibankul ( shutterstock )

Das gesetzliche Mindestheiratsalter im Irak beträgt offiziell 18 Jahre, in Ausnahmefällen dürfen Mädchen auch schon mit 15 Jahren eine Ehe eingehen. 

Außerdem gibt es Gesetze gegen Zwangsheiraten. Doch die Realität in dem von Krieg und Armut geprägten Land sieht anders aus, wie ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) zeigt.

"Religiöse Vertreter im Irak schließen jedes Jahr Tausende Ehen"

Ein Grund dafür ist die islamische Scharia. "Religiöse Vertreter im Irak schließen jedes Jahr Tausende Ehen, darunter Kinderehen, die irakische Gesetze unterlaufen und offiziell nicht registriert sind", heißt es in dem am Sonntag veröffentlichten Report.

Ein Mann hält ein Exemplar des Koran während eines Protests in Irak nach der Koranverbrennung in Schweden / © Ameer Al-Mohammedawi (dpa)
Ein Mann hält ein Exemplar des Koran während eines Protests in Irak nach der Koranverbrennung in Schweden / © Ameer Al-Mohammedawi ( dpa )

Demnach hat sich die Praxis in den vergangenen 20 Jahren immer weiter ausgebreitet. Sie ist zwar illegal, doch religiöse Autoritäten wie der Dorf-Imam können bisher nicht dafür bestraft werden.

28 Prozent der Bräute sind minderjährig

Inzwischen würden rund 28 Prozent der Bräute minderjährig verheiratet - mehr als ein Fünftel der unregistrierten Ehen beträfen Mädchen, die jünger seien als 14 Jahre, zum Teil sogar erst 9, berichtet HRW unter Berufung auf Zahlen der UN. 

"Die irakischen Behörden müssen erkennen, dass unregistrierte Heiraten die Tür zu Kinderehen in großem Stil öffnen", sagte die HRW-Irak-Expertin Sarah Sanbar.

Seelische und körperlichen Schäden der Betroffenen

Ganz abgesehen von den oft schweren seelischen und körperlichen Schäden der Betroffenen durch Gewalt, Unfreiheit, den Ausschluss von Bildung und frühe Schwangerschaften bewirken die offiziell illegalen Ehen eine tiefgreifende juristische Benachteiligung. 

Keinen Anspruch auf soziale und finanzielle Staatsleistungen

Denn die fehlende staatliche Registrierung bedeutet, dass die Mädchen und Frauen keinen Anspruch auf soziale und finanzielle Staatsleistungen für Ehefrauen oder Witwen haben und sie ihre Rechte nach einer
Scheidung oder im Erbfall gegen die Familie des Ehemannes vor einem staatlichen Gericht nicht geltend machen können.

Genau das ist laut dem neuen Bericht neben der Minderjährigkeit der Braut und Bestimmungen zur Polygamie ein Grund dafür, dass Ehemänner die Registrierung bei den Behörden ablehnen.

Nicht einmal ihre Kinder dürfen die betroffenen Mädchen und Frauen in staatlichen Krankenhäusern zur Welt bringen. Daher sind sie auf medizinisch riskante Hausgeburten angewiesen. 

Keine Geburtsurkunden für Kinder

Obendrein erhielten diese Kinder keine Geburtsurkunde und deshalb oft keine Schulbildung, warnt HRW. Ein Leben in prekären Verhältnissen sei damit vorgezeichnet, sofern die Ehe nicht nachträglich von den Behörden registriert wird. 

Blick über Erbil im Nordirak (KNA)
Blick über Erbil im Nordirak / ( KNA )

Dazu kam es zwischen Januar und Oktober 2023 laut Bericht allein in 37.727 Fällen. Doch das Verfahren sei aufwändig und letztlich der Willkür der Richter überlassen. HRW-Expertin Sanbar fasst die Forderung des Berichts deshalb so zusammen: 

"Der Irak sollte religiöse Vertreter verfolgen, die Ehen gegen das irakische Gesetz schließen, die Legalisierung unregistrierter Ehen erleichtern und sicherstellen, dass alle Iraker ihr Leben im vollen Rahmen ihrer Rechte führen können."

"Es stiehlt einem die Zukunft"

Für den 40-seitigen Report interviewte HRW neben Betroffenen lokale und internationale Nichtregierungsorganisation sowie irakische Richter. Sie alle zeichnen ein bedrückendes Bild vom Schicksal der Mädchen und Frauen. "Es stiehlt einem die Zukunft", erzählt Warda, die mit 13 Jahren verheiratet wurde und gerne zur Schule gegangen wäre. 

Eine andere berichtet, wie sie mit 14 die Ehe eingehen musste, schwanger wurde und dann von dem Mann verlassen wurde, der ihr auch noch den Ausweis wegnahm. Nun sei ihre Tochter 16, habe immer noch keine Papiere und keine Schulbildung. 

Herrschaft der Terrormiliz "Islamischer Staat"

Besonders hart trifft es Mädchen und Frauen, die unter der Herrschaft der Terrormiliz "Islamischer Staat" verheiratet wurden. Ihre Ehen erkennen die Behörden generell nicht an.

Fahrzeugkonvoi mit Mitgliedern der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) / © Uncredited/Militant website/AP (dpa)
Fahrzeugkonvoi mit Mitgliedern der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) / © Uncredited/Militant website/AP ( dpa )

Allerdings ist die kulturelle Akzeptanz von Ehen auf rein religiöser Grundlage in dem Land mit 44 Millionen Einwohnern weit verbreitet. Zum einen ist der Einfluss eines strengen Islam nach dem Sturz von
Diktator Saddam Hussein bei der schiitischen Mehrheit wie bei Sunniten gewachsen und die Regierung in Bagdad so schwach wie korrupt. 

Zum anderen treiben Kriegselend und Armut viele Familien dazu, ihre Töchter schon minderjährig zu verheiraten. Auch unter den verbliebenen Jesiden kommt es zu Kinderehen.

Die Terrormiliz Islamischer Staat

Im Sommer 2014 verkündete der später getötete IS-Propagandachef Abu Mohammed al-Adnani die Errichtung eines "Kalifats" mit IS-Chef Abu Bakr al-Bagdadi an der Spitze. Die Terrorgruppe war zuvor in den Wirren des Irak-Krieges entstanden und aus einem Ableger des Terrornetzwerkes Al-Kaida hervorgegangen. Lange bekämpfte der IS-Vorläufer die US-Truppen im Land.

Ein IS-Soldat bereitet Munition vor, in Syrien 2017.
 / © Mohammad Bash (shutterstock)
Ein IS-Soldat bereitet Munition vor, in Syrien 2017. / © Mohammad Bash ( shutterstock )
Quelle:
KNA