Historikerin mahnt in der Migrationsdebatte zu Gelassenheit

Deutsche Auswanderung: Nicht nur eine Erfolgsgeschichte

Kein Thema sorgt derzeit in Deutschland für so viel Kontroversen wie die Debatte um Migration und Flüchtlinge. Ein Besuch im Deutschen Auswandererhaus Bremerhaven zeigt: Die Diskussion ist nicht neu.

Nachgestellte historische Szene im Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven / © Matthias Greve (KNA)
Nachgestellte historische Szene im Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven / © Matthias Greve ( KNA )

Seit im Jahr 2015 rund 890.000 Flüchtlinge nach Deutschland kamen, wird das Thema Migration kontrovers diskutiert. Inzwischen ist die Zahl der Ankömmlinge deutlich zurückgegangen, doch die Forderungen nach Begrenzung der Zuwanderung und Abschottung werden lauter. Mancher vergisst dabei, dass im 19. Jahrhundert Millionen Deutsche ihr Land in Richtung Amerika verließen, viele als Wirtschaftsflüchtlinge.

Im Deutschen Auswandererhaus Bremerhaven ist diese Geschichte anschaulich dargestellt: Männer, Frauen und Kinder stehen an der Kaimauer und vor einem knarrenden Schiff. Ihre Habseligkeiten haben sie in ein paar Koffern verstaut. In ihren Blicken liegt die Sehnsucht nach einem besseren Leben. Doch zunächst steht ihnen eine wochenlange Überfahrt in unbequemen, überfüllten Schiffskabinen bevor.

Ein herzliches Willkommen?

Mehr als 7,2 Millionen Menschen wanderten so zwischen 1830 und 1974 über Bremerhaven in die USA aus, davon rund 3,8 Millionen Deutsche. Doch in der "Neuen Welt" wurden sie keineswegs durchgängig mit offenen Armen empfangen. "Die Einwanderung der Deutschen in die USA wird oft als riesige Erfolgsgeschichte dargestellt", sagt Museumsleiterin Simone Eick, die sich seit Jahren mit dem Schicksal von Migranten befasst. "Dass das Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen auch für viele Konflikte sorgte, wird gerne vergessen."

So war es vielen Protestanten in den USA ein Dorn im Auge, dass die deutschen Einwanderer sonntags lieber in der Kneipe Bier tranken anstatt in die Kirche zu gehen. Als 1855 in Chicago der Alkoholverkauf an Sonntagen verboten wurde, kam es zu Aufständen, den sogenannten "Lager Beer Riots".

Integration mit Herausforderungen

Schon hundert Jahre zuvor hatte sich Benjamin Franklin, einer der amerikanischen Gründerväter, fürchterlich über die "pfälzischen Rüpel" aufgeregt. Er beklagte, dass sie kein Englisch lernten und so niemals die Verhaltensweisen der Einheimischen annehmen würden. "Integration verläuft in den seltensten Fällen reibungslos. Hitzige Debatten hat es immer gegeben", erklärt Eick.

Auch 1709 waren es vor allem die Pfälzer, die für Aufruhr sorgten - diesmal in England. Damals hatte sich in Süddeutschland das Gerücht verbreitet, die britische Königin Anne habe Land in Nordamerika zu verschenken. Voller Hoffnung zogen rund 12.000 Auswanderer den Rhein hinauf nach London. "Das war damals eine beträchtliche Zahl", sagt Eick.

Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit

Anfangs wurden sie von den Einheimischen mit großer Begeisterung empfangen. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass es weder Land noch eine Perspektive für die Migranten gab. Es kam zu heftigen politischen Diskussionen und fremdenfeindlichen Ausschreitungen, bevor ein Großteil der Neuankömmlinge wieder zurück in die Heimat geschickt wurde. "Die anfängliche Willkommenskultur, die dann in Ablehnung und sogar Feindschaft umschlägt, erinnert mich sehr an unsere heutige Situation", so die Museumsleiterin.

Die Aufnahme von Einwanderern in die Gesellschaft braucht ihrer Meinung nach vor allem eines: viel Zeit. Zwei bis drei Jahre nach dem großen Flüchtlingszuzug von gelungener oder misslungener Integration zu sprechen, ist nach Ansicht der Historikerin viel zu früh. In der aktuellen Migrationsdebatte mahnt sie daher zu Gelassenheit. "Derzeit führen wir die Diskussion so komprimiert und mit einer solchen Heftigkeit, dass das unserer Gesellschaft nicht guttut."

Einwanderungspolitik in Deutschland

Abgesehen davon, dass Schwierigkeiten bei der Integration normal sind, zeigt sich laut Eick ein weiteres Problem. Ihrer Meinung nach hat die Bundesrepublik in Sachen Einwanderung viel versäumt: "Deutschland ist seit Jahrhunderten ein Einwanderungsland, hat sich das aber erst Anfang der 2000er-Jahre eingestanden." Nun gelte es, in aller Ruhe ähnliche Diskussionen zu führen, wie sie Kanada oder Australien schon vor langer Zeit geführt hätten. "Das müssen wir jetzt aushalten - und ab und zu mal an unsere eigene Geschichte denken."

Michael Althaus


Quelle:
KNA