Historiker über 50 Fußball und Religion

"Fußball ist Fußball, Kirche ist Kirche"

Der  Historiker und Sportexperte Nils Havemann hat die Geschichte der Bundesliga genauer unter die Lupe genommen und das lesenswerte Buch "Samstags um halb 4" geschrieben. Ein Gespräch über seine Erkenntnisse zum Thema Fußball und Religion.

50 Jahre Fußball-Bundesliga (dpa)
50 Jahre Fußball-Bundesliga / ( dpa )

KNA: Herr Havemann, freuen Sie sich schon auf den nächsten Samstag um halb vier? Oder haben Sie nach so viel wissenschaftlicher Beschäftigung damit den Fußball satt?

Havemann: Natürlich freue ich mich - und wie. Mitfiebern, jubeln, trauern, ärgern, freuen - und das am liebsten in der Gemeinschaft, das macht doch bis heute die besondere Faszination der Liga aus.

KNA: Und wie kam dann die Wissenschaft ins Spiel?

Havemann: Ich hatte mich ja schon mal mit dem Fußball in der Nazizeit intensiver beschäftigt, und jetzt war das Jubiläum ein willkommener Anlass. Denn der Fußball ist in gewisser Hinsicht natürlich auch ein Spiegelbild der Gesellschaft.

KNA: Sie beleuchten unter anderem politische, kulturelle, gesellschaftliche und auch wirtschaftliche Aspekte. Aber wie kam es zu dem Kapitel «Fußball als Religion?»

Havemann: Man beachte das Fragezeichen? Es kommt natürlich immer darauf an, wie man Religion definiert. Aber auch wenn es für unsere christlich geprägte Gesellschaft etwas merkwürdig erscheint: Religion kann sich ja auch darin äußern, dass man in gewissen Bereichen eine Sinnerfüllung findet und dementsprechend auch einen Raum für religiöse Vollzüge entdeckt. Und so gesehen ist Fußball mittlerweile für viele eine Religion geworden - oder je nach Definition auch eine Ersatzreligion.

KNA: Wo sehen Sie diese religiösen Vollzüge?

Havemann: Zum einen in diesen vielen Formen von Gemeinschaft, die im Fußball gesucht werden. Dann aber auch an der teilweise spirituellen Überhöhung und kultischen Verehrung einiger Stars und Vereine. Oder denken Sie an gottesdienstähnliche Rituale auf den Tribünen, an Fahnen, Fan-Choräle, Fan-Kutten und vieles mehr. All das hat doch schon teilweise religiöse Züge, die auch wirklich ernst gemeint sind.

KNA: Und wo ist da die Grenze zum Aberglauben?

Havemann: Der ist natürlich auch allgegenwärtig: etwa wenn man sich tagelang vor dem Spiel nicht mehr rasiert oder wenn man einen bestimmten Pullover anzieht, weil man glaubt, dass man nur mit diesem Pullover das nächste Spiel gewinnen kann. Wir mögen das als christlich geprägte Gesellschaft oft absurd finden und belächeln, aber ganz subjektiv ist das für viele Fans, aber auch Spieler und Trainer, eine authentische und ernst gemeinte Form des Glaubens. Es zeigt einfach, dass hier ein quasi-religiöses Bedürfnis zumindest latent vorhanden ist und auch eine gewisse Befriedigung sucht und findet.

KNA: Sie glauben also, dass immer mehr Menschen Gemeinschaft und einen tieferen Sinn im Leben bei ihrem Bundesligaclub finden, während es Familien, Gewerkschaften, Parteien, Kirchen und andere Institutionen immer schwerer haben?

Havemann: Im Grunde schon. Da steckt offensichtlich eine wirkliche Sehnsucht dahinter, und die können wir praktisch an jedem Spieltag beobachten. Wobei auch schon mal der Blick für die Wirklichkeit verloren geht. Aber Fußball eignet sich dazu, Menschen aufzufangen, die sonst vielleicht gar keinen Sinn mehr finden. Das erscheint uns zwar traurig, aber immerhin gibt es dann wenigstens den Fußball, der die Möglichkeiten eröffnet, eine Gemeinschaft zu erleben oder sogar über die Erfolge seines Teams einen gewissen Teil von dem Selbstbewusstsein wieder zu erlangen, das im Alltag verloren gegangen ist.

KNA: Wo könnten sich denn die Kirchen hier positionieren? Mit Ballsegnungen, Stadiongottesdiensten und Trikots am Altar?

Havemann: Da wäre ich vorsichtig, denn es ist eine Gratwanderung. Das wird schnell zur plumpen Anbiederung und macht die Kirchen dann eher lächerlich und unglaubwürdig. Ich denke, sie müssten sich besser mit ihren ureigenen Botschaften und Angeboten stärker an die Menschen wenden, die Gemeinschaft, Halt und Sinn suchen und dies eher im Stadion als in der Kirche finden. Anscheinend findet der Fußball da oft einen leichteren Zugang oder eine verständlichere Sprache. Vielleicht können sich die Kirchen davon etwas abschauen. Aber Fußball ist Fußball und Kirche ist Kirche! Und deshalb sollten die Kirchen die Popularität des Fußballs akzeptieren und sich zugleich die Frage stellen, warum es dem Fußball gelingt, so viele Menschen an sich zu binden, während die christlichen Kirchen in Deutschland damit immer wieder Probleme haben.

KNA: Zum Schluss interessiert mich noch, ob Sie bei ihren Untersuchungen auch den Fußballgott entdeckt haben?

Havemann: Also, nach meiner Überzeugung gibt es ihn nicht. Viele aber glauben ganz fest daran. Und wie es so oft ist in diesen religiös-spirituellen Fragen: beweisen können wir weder das eine noch das andere. Glaube ist nun mal etwas sehr Persönliches - und wenn Menschen ihr Seelenheil im Fußball finden, wer will ihnen das verbieten?

Das Gespräch führte Gottfried Bohl.


Quelle:
KNA