Hirtenbrief von Kardinal Woelki zur Amtseinführung

Mut zum Aufbruch

Der neue Kölner Erzbischof Woelki ruft die Menschen im Erzbistum Köln zum Aufbruch auf. "Lassen Sie uns gemeinsam in den kommenden Jahren, Christus ein Gesicht geben", so die Kardinal in seinem Hirtenbrief zur Amtseinführung.

Kardinal Woelki (KNA)
Kardinal Woelki / ( KNA )

Liebe Schwestern und Brüder,

drei Jahre war ich Erzbischof von Berlin – heute kehre ich als Ihr neuer Bischof von der Spree zurück an den Rhein. Sie können sich vorstellen, wie sehr mich dieser Schritt – auch in einem tieferen Sinn –bewegt. In den vergangenen drei Jahren ist mir Berlin zu einer zweiten Heimat geworden, und viele Menschen sind mir dort ans Herz gewachsen. Unabhängig davon ist mir in meinen Berliner Jahren das Rheinland und damit auch unser Erzbistum Köln immer Heimat geblieben.

Hier bin ich aufgewachsen und zur Schule gegangen, habe meine ersten Erfahrungen mit Glaube und Kirche gemacht, hier war ich in meiner Heimatgemeinde über lange Jahre als Ministrant und Lektor und an meiner Schule in der Jugendarbeit engagiert, hier bin ich zum Priester und Bischof geweiht worden. Und hier leben nicht nur meine Familie, sondern auch viele meiner Freunde, die mir seit meiner Kinder- und Jugend- und nicht zuletzt auch aus meiner Studienzeit vertraut sind, darunter viele Priester, Diakone und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im pastoralen Dienst.

Ich bin also einer von Ihnen, einer, der mit vielen von Ihnen eine gemeinsame Wegstrecke zurückgelegt hat, der mit so manchem von Ihnen Glauben und Leben, Freude und Leid, Angst und Hoffnung geteilt hat und der jetzt in seinem Heimatbistum Ihr Bischof sein darf – nach Josef Kardinal Frings als zweiter Kölner Priester in der jüngeren Geschichte unseres Bistums. So möchte ich Ihnen allen zunächst herzlich dafür danken, dass Sie mich wieder so gut aufgenommen haben. Das hat mir den "Neustart" bei Ihnen sehr erleichtert und mir Mut gemacht!

Meinen Dienst als Bischof darf ich bei Ihnen in dem Jahr beginnen, in dem wir zum 850. Mal jenes Tages gedenken, an dem die Reliquien der Heiligen Drei Könige nach Köln gekommen sind.

In Maria Lyskirchen, der kleinsten romanischen Kirche Kölns, befindet sich über dem Portal das älteste der spätromanischen Fresken dieser Kirche. Etwa um 1230 entstanden und auf wunderbare Weise durch die Jahrhunderte hindurch erhalten, ist es weit älter als unser Dom. Es stellt die Anbetung der Heiligen Drei Könige dar. Der Legende nach war diese Kirche der Ort, an dem die Gebeine der Weisen aus dem Morgenland eine erste Herberge fanden, nachdem die Reise auf dem Rhein im Hafen von Köln – gleich an Lyskirchen – endete. Nach diesem Zwischenstopp wurden sie durch das "Dreikünnijepöötzche" in den alten Dom getragen, von der ganzen Stadt unter Glockengeläut begrüßt.

Gemeinsam hatten sich diese Könige einst auf den Weg gemacht, um einem Stern zu folgen, der sie das Licht ihres Lebens schauen lassen sollte: Jesus Christus. Sicher waren sie auf dem Weg zu ihm lange unterwegs. Wahrscheinlich waren sie sich – ähnlich wie wir dies aus unserem eigenen Leben kennen – nicht immer hundertprozentig sicher und sie hatten vielleicht auch so manches Mal keine Ahnung, wohin der Stern sie führen würde. Vielleicht haben sie sich sogar das eine oder andere Mal verlaufen, bis sie ihn schließlich fanden: Das Glück, das Ziel, den Sinn ihres Lebens, Jesus Christus, Gottes Sohn. Eine Geschichte mit Happy End also, und sie könnte hier zu Ende sein.

Wenn wir jedoch die Heiligen Drei Könige heute immer noch verehren, dann ja nicht nur wegen dieses Happy Ends. Bedeutsam ist auch der Beginn ihrer Geschichte: Da waren drei Menschen aufgebrochen, weil ein Zeichen sie aufmerksam und unruhig gemacht hatte. Und sie waren losgezogen, noch ohne genau zu wissen, wohin ihre Reise sie führen würde. Von diesen Weisen aus dem Morgenland heißt es schließlich, dass sie in dem Moment der Begegnung mit dem Kind eine große Freude erfüllte und sie dann auch schon weiterzogen – heim in ihr Land.

Wenn aber das Herz der drei Weisen voll Freude war, dann ist es für mich kaum vorstellbar, dass sie im Verlauf ihres Lebens über das schweigen konnten, was sie dort in Bethlehem erfahren und erlebt hatten. Denn wo das Herz voll Freude ist, da läuft der Mund bekanntlich über. Und so werden sie von ihrem Glück, Jesus Christus, geredet und erzählt haben – und sind so zu Prototypen einer Erst-Evangelisierung geworden.

Heute, liebe Schwestern und Brüder, ist eine Neu-Evangelisierung unser Auftrag. Gerade auch mit Blick auf viele unserer Mitmenschen, die noch nichts von Christus gehört haben, ist diese Erst-Evangelisierung in der Nachfolge der Heiligen Drei Könige uns aufgegeben.

Heute haben wir – wie sie einst – durch unser Leben in Wort und Tat zu bezeugen, dass das wahr ist: Dass Gott in seinem Sohn Jesus Christus ein menschliches Antlitz angenommen hat, er nicht "jenseits von uns" in einer uns verschlossenen Welt geblieben ist, sondern berührbar wurde, geweint und gefroren, gelacht und getrauert, letztlich ein menschliches Leben gelebt hat. Er ist als Kind in diese unsere Welt gekommen, so wie sie ist. Aber nicht, um sich mit dieser Welt abzufinden, wie sie ist, sondern um ihre Not zu wenden, ihre Tränen zu trocknen, ihre Wunden zu heilen. Um uns und allen Menschen das Heil zu schenken.

Kann man davon heute wirklich noch reden, können wir diesen Glauben gegenwärtig noch überzeugend weitersagen? Unsere Gesellschaft und auch unsere Kirche befinden sich in einem rasanten Wandel. Nicht wenige sind dadurch verunsichert und fragen sich: Was kann uns diese alte Botschaft sagen, und wie vor allem kann ich sie weitersagen? Wo ist der Stern, wo sind die Zeichen der Zeit, die uns unruhig machen und zum Wagnis des Aufbruchs motivieren? Und wo ist die glückliche Erfahrung, die unser Herz mit Freude füllt?

Ich lade Sie heute alle ein, diese Fragen miteinander durchzubuchstabieren. Mag sein – oder sogar höchstwahrscheinlich –, dass wir dabei – wie wohl auch die Könige – manches Unklare und Unscharfe deuten müssen, dass wir mit Umwegen und bisweilen auch mit Holzwegen rechnen müssen. Wichtig ist der Aufbruch und zuvor der Mut dazu. Viel ist oft gar nicht nötig. Gott macht es uns leicht. Die Ermutigung dazu kommt von ihm selbst, von ihm, den die Könige in jenem Kind erkannten.

Denn dieser Gott ist keine blutleere Idee. Er ist ein lebendiges Du. Und wir, wir sind nicht vor ein kaltes Ideal gestellt, sondern unter die einer jeden und einem jeden von uns geschenkte Zuneigung Gottes. Ein Ideal kann entmutigen. Denn es fordert, aber es verzeiht nicht, wenn wir versagen. Gott aber verzeiht. Gott bejaht uns, auch wenn wir schwach sind. Gott hebt uns auf, auch wenn wir fallen.

Wir können immer in ein Antlitz des Erbarmens blicken, jetzt schon in Jesus Christus und einst eine jede und ein jeder von uns von Angesicht zu Angesicht. Gott ist in Jesus Christus Mensch geworden, damit der Mensch Würde und Horizont hat. Gott ist in seinem Sohn Jesus Christus Mensch geworden, damit der Mensch eine Zukunft hat, eine Zukunft, die Gott selber ist. Er ist das Ziel jedes

menschlichen Lebens. Er ist das Glück eines jeden Menschen, er ist die Erfüllung der Sehnsucht eines jeden Menschen nach Liebe. Denn Gott ist Liebe. Das ist sein Wesen.

Der Weg in dieses Glück trägt einen Namen: Jesus Christus, der die Wahrheit und das Leben Gottes in Person ist. Unsere Berufung und Sendung als Kirche ist es, ihm heute ein Gesicht zu geben, indem wir als Christen so transparent zu leben versuchen, dass er, der Christus, in unserem Denken, Wollen, Sehnen, Sprechen, Handeln und Lieben aufstrahlt.

Wo Menschen anfangen, das zu tun, wo sie sich mit ihm, mit Christus auf den Weg machen, Gott entgegen, werden sie frei von all den versklavenden Götzen unserer Tage, werden sie frei für Gott, den Nächsten, frei für ein erfülltes menschliches Leben. Dafür sind wir Zeugen (Apg 5, 32). Denn die Zukunft Gottes will jetzt schon mitten unter uns anbrechen.

Schwestern – Brüder, wir sind Töchter und Söhne unseres Vaters im Himmel. Wir sind Gottes Kinder. Uns ist das Ewige Leben geschenkt. Nicht der Tod wartet auf uns, sondern das Leben in Fülle. Lassen Sie uns gemeinsam in den kommenden Jahren mit den Gaben, die Gott jedem von uns geschenkt hat, in unserem Bistum, in unseren Pfarreien, Seelsorgebereichen und Gemeinden, unseren Verbänden und Gemeinschaften Christus ein Gesicht geben. Dabei kommt es zunächst gar nicht so sehr darauf an, wie viel wir tun, sondern dass wir überhaupt etwas tun und wie wir etwas tun.

Gott fragt uns vor allem nach einem – nach unserer Liebe: Geben wir Gott ein Gesicht, indem wir in alles, was unser persönliches Leben, das Leben in unserem Bistum und in unseren Gemeinden ausmacht, unsere Liebe hineingeben: In das Lächeln, das wir einander schenken können, in die Arbeit, die wir zu tun haben, in das Planen unserer Unternehmungen, in das Miteinander und in unseren Umgang in unseren Gemeinden, in die Tränen, die wir angesichts von Leid und Not und Trauer vergießen, in das Essen, das wir kochen, in die Mail, den Brief, den Artikel, den wir schreiben. Alles, wirklich alles, kann Ausdruck unserer Liebe zu Gott und zu unseren Mitmenschen werden. Denn alles, wirklich alles, ist uns, unseren Händen und Herzen, anvertraut, damit wir ihn, wie einst die Heiligen Drei Könige, hinaustragen in die Welt.

Wenn ich heute meinen Dienst bei Ihnen antrete, dann möchte ich an erster Stelle Diener Gottes sein, der Gott heute – gemeinsam mit Ihnen – ein Gesicht zu geben versucht, damit dieser der Welt immer wieder neu sein Lächeln zu schenken vermag. Wie der Apostel möchte ich nicht "Herr über euren Glauben sein", sondern Diener und Helfer zu eurer Freude (vgl. 2 Kor 1, 24).

So bitte ich Sie alle, das ganze Volk Gottes, die Priester und Diakone, die Ordensfrauen und Ordensmänner, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Pastoral und Caritas, in Seelsorge und Bildung, Beratung und Jugendarbeit, in Kirchenmusik und Kita, in Sekretariat und Verwaltung um Ihr Vertrauen und um eine gute Zusammenarbeit. Seien wir darum bemüht, miteinander im Geiste Christi zu leben, dem Geist, der wegnimmt, was trennt, der uns die Angst nimmt, Neues zu wagen, der uns zu den Menschen sendet. Machen wir uns auf – wie die drei Weisen –, unterwegs mit wachem Herzen, einander auf dem Weg helfend.

Lassen Sie uns Meinungsverschiedenheiten fair austragen, ohne überflüssigen Streit, ohne unnütze Auseinandersetzungen und sinnlose Spaltungen, die nur unser Zusammenleben und Zusammenarbeiten verhindern und so das Zeugnis von der Gegenwart und Menschenfreundlichkeit Gottes, die uns in Jesus Christus erschienen ist (Tit 3, 4), verdunkeln würde. Wo wir Unrecht getan haben, wollen wir um Vergebung bitten. Wo wir selber Unrecht erfahren und erlitten haben, wollen wir verzeihen und zeigen, dass wir bereit sind, immer wieder neu aufeinander zuzugehen.

Versuchen wir, keinen einzigen Menschen einfach abzuschreiben, keinem sein Bemühen um ein Leben aus dem Glauben abzusprechen, keinen aus dem Blick zu verlieren, vor allem auch die nicht, deren Leben in schwieriges Fahrwasser geraten ist: Durch den Verlust eines Menschen oder eines Arbeitsplatzes, durch das Zerbrechen einer Liebe, durch den Verlust von Vertrauen in die Kirche, ihre Botschaft oder ihre Vertreter.

Stehen wir gemeinsam als Kirche dafür ein, dass jeder Mensch von Gott geliebt, gewollt und erlöst ist und so jedes menschliche Leben – auch bei allem Schiefen in ihm – einen Sinn und eine Zukunft hat. Bezeugen wir das gemeinsam als Christen. Geben wir es in jener Liebe, die uns von Gott in Christus verheißen und geschenkt ist und die uns deshalb miteinander verbindet und die so unseren Weg im Bistum prägen will.

Dazu segne und behüte Euch alle der allmächtige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.

 

Köln, 20. September 2014

Ihr

+ Rainer Maria Card. Woelki

Erzbischof von Köln


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