Hirtenbrief von Kardinal Woelki zu Fronleichnam im Wortlaut

Jubiläum Fronleichnamsprozession im Blick

Im Jahr 2029 wird gefeiert, dass in Köln 750 Jahre zuvor die erste Fronleichnamsprozession weltweit stattfand. Daran erinnert Rainer Maria Kardinal Woelki jetzt schon in einem Hirtenbrief. Den Wortlaut finden Sie hier.

Fronleichnam in Köln / © Beatrice Tomasetti (DR)
Fronleichnam in Köln / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki bereitet das Erzbistum Köln auf ein besonderes Jubiläum vor. In einem am Dienstag veröffentlichten Hirtenbrief weist er darauf hin, dass in Köln im Jahr 1279 die weltweit erste Fronleichnamsprozession stattfand - und daher in vier Jahren das 750-Jahr-Jubiläum gefeiert wird.

DOMRADIO.DE dokumentiert den Hirtenbrief des Kardinals im Wortlaut:

Liebe Schwestern und Brüder,

Hand aufs Herz! Wie viele Stunden am Tag sind Sie über Handy, Tablet oder Laptop mit dem Internet verbunden? Wie viel Zeit verbringen Sie damit, Neuigkeiten aus aller Welt wahrzunehmen, Nachrichten zu schreiben oder zu empfangen? Ohne Ihnen die Bildschirmzeit meiner mobilen Geräte verraten zu wollen, können Sie vermutlich erahnen, dass es auch bei mir nicht gerade wenige Stunden eines jeden Tages sind. E-Mails, Kurznachrichten, Soziale Medien – sie alle gehören schon lange zu unserem beruflichen und persönlichen Alltag, sind aus unserer Kommunikation nicht mehr wegzudenken. Die Welt, in der wir leben, wird immer vernetzter, immer digitaler, immer schneller. Es ist heute ein Kinderspiel, auch über lange Distanzen hinweg miteinander in Verbindung zu bleiben. 

Zugleich nehmen Einsamkeit und soziale Isolation in unserer Gesellschaft zu. Das Einsamkeitsbarometer 2024 des Bundesfamilienministeriums zeigt: 26 Prozent der über 75-Jährigen fühlen sich einsam. Unter den 16- bis 30-Jährigen sind es sogar 46 Prozent. Wir verfügen heute also einerseits über nie gekannte Möglichkeiten, miteinander in Kontakt zu bleiben, während andererseits immer mehr Menschen unter Vereinsamung leiden. 

Sicher spielen bei dieser Entwicklung viele Faktoren eine Rolle. Die veränderten Familiensituationen und eine sich rasant wandelnde Arbeitswelt sind dabei zweifelsfrei zu nennen. Doch es bleibt festzuhalten, dass Verbindung allein noch keine Verbundenheit schafft; Erreichbarkeit noch keine Nähe. Die Grundsehnsucht des Menschen nach Liebe, Sinn und Verbundenheit wird allein durch die technologischen Möglichkeiten nicht gestillt. Gott ist die Liebe – Kreuz und Eucharistie der Beweis dafür. 

Die Antwort Gottes auf diese Grundsehnsucht des Menschen ist seine eigene Menschwerdung in Jesus Christus. Er kann uns Menschen nicht näherkommen, als dass er selbst unsere Menschennatur annimmt. "In allem uns gleich, außer der Sünde", heißt es daher seit dem Konzil von Chalcedon (451) in Anlehnung an den Hebräerbrief (vgl. Hebr 4,15). Jesu Hingabe am Kreuz ist dabei der ultimative Beweis Seiner Liebe. Er geht Seinen Weg mit und für uns Menschen bis zum Ende. Doch unser Ende ist nicht Sein Ende. In Seiner Auferstehung hat er den Tod überwunden; und unser Ende wurde durch Ihn zu einem neuen Anfang, einer neuen Hoffnung. Damit ist Sein Leben auch zu unserem Leben geworden. 

Auf die Vollendung dieses Lebens in Gott dürfen wir "hinleben". "Ich bin bei euch alle Tage, bis zum Ende der Welt" (Mt 28,20), versichert uns daher der Auferstandene. Er ist bei uns, um mit uns zu gehen, so wie er mit den beiden Emmausjüngern gegangen ist. Als Unterpfand dieser Zusage, als andauernden Beweis Seiner liebenden Nähe und Gegenwart hat Er uns als kostbares Vermächtnis die hl. Eucharistie hinterlassen. "Nehmet und esset alle davon: Das ist mein Leib … Nehmet und trinket alle daraus: Das ist der Kelch des neuen und ewigen Bundes, mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden". Im Zeichen des Brotes reicht uns Jesus seinen Leib als Speise, und indem wir ihn essen, verleibt er sich uns zu Fronleichnam 2025 ein. Ein Leib werden wir so mit ihm, wie der Apostel sagt (1 Kor 12,27). 

Das ist nicht nur ein Bild. Das ist Wirklichkeit, die allerdings nur von Gott her möglich ist. Im eucharistischen Brot reicht er uns auch nicht nur ein Zeichen seines Leibes, sondern wirklich seinen Leib, d.h. sich selbst leibhaft. Und im Kelch reicht er uns im Wein nicht nur ein Zeichen seines Blutes. Vielmehr lässt er uns sein Blut trinken, dass er am Kreuz für uns vergossen hat. So gibt er uns Anteil am Heil, das er durch seinen Kreuzestod für uns erworben hat. Sein Blut ist das Blut des Bundes, in dem Gott uns mit sich auf ewig verbunden hat. 

Daran erkennen wir, worum es bei der Feier der Eucharistie geht: Wir dürfen dem Herrn begegnen, um immer tiefer mit ihm eins zu werden. "Nehmt und esst; das ist mein Leib" (Mt 26,26). Das heißt doch: Nimm mich auf in dich, so wie auch ich dich aufnehmen will! Nur so kommt es zur Einheit, zur Lebensgemeinschaft mit Jesus. Das ist das große Geschenk, dass uns der Herr mit der hl. Eucharistie macht: Er lebt mit uns, damit wir mit ihm leben. Die Eucharistie ist somit nicht einfach nur der Vorgeschmack auf eine zukünftige Begegnung mit dem Herrn. Vielmehr ermöglicht sie uns schon hier und heute die Begegnung mit Ihm, der unter den Gestalten von Brot und Wein mitten unter uns sichtbar, greifbar, bleibend und damit eben wahrhaft gegenwärtig ist. Deshalb können wir gar nicht anders, als dieses Geschenk auf das höchste zu verehren und den Herrn in der eucharistischen Gestalt des Brotes anzubeten. 

Vertrautheit mit Gott "Naht euch Gott, dann wird Er sich euch nahen!" (Jak 4,8) – so fordert uns der Jakobusbrief auf, Gottes Nähe und Gegenwart zu suchen. Diese Aufforderung ist verbunden mit der Zusage, dass Gott diesem Suchen nach Nähe und Verbundenheit nicht ausweicht. Im Gegenteil. Wenn wir zu Ihm kommen, so wie wir sind, dann kommt Er uns entgegen. Er erwartet uns mit Seinem liebenden Blick. Uns auf diese Begegnung einzulassen heißt: Uns auf eine Beziehung mit Ihm einzulassen, unser Leben, alles, was es ausmacht, was uns bewegt und bedrängt, was uns freut und ermutigt, was uns schwer ist und worunter wir leiden, vor Ihn zu tragen. Das schafft eine Vertrautheit mit dem Herrn, die stärkt und uns immer wieder aufrichtet. Aus einer solchen Vertrautheit und Einheit mit Christus – genährt durch die Eucharistie und gestärkt durch die Begegnung mit Ihm in der Anbetung – erwächst auch eine neue Tiefe unserer Verbundenheit untereinander. Diese drängt uns schließlich hinaus zu den Menschen – besonders auch zu den Armen –, um diesen in Wort und Tat Seine Liebe, Treue und Nähe zu verkünden und zu bezeugen. 

Von Johannes Chrysostomos, einem der vier großen Kirchenlehrer des Ostens im vierten Jahrhundert, stammt das Wort: "Willst du den Leib des Herrn ehren, dann vernachlässige ihn nicht, wenn er unbekleidet ist. Ehre ihn nicht im Heiligtum mit Seidenstoffen, um ihn dann draußen zu vernachlässigen, wo er Kälte und Nacktheit erleidet. Jener, der gesagt hat: Dies ist mein Leib, ist der gleiche, der gesagt hat: Ihr habt mich hungrig gesehen und mir nichts zu essen gegeben, und: Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. ... Was nützt es, wenn der eucharistische Tisch überreich mit goldenen Kelchen bedeckt ist, während er Hunger leidet? Beginne damit, den Hungrigen zur sättigen, dann verziere den Altar mit dem, was übrigbleibt" (zit. nach Ecclesia de Eucharistia 20). 

Wir können nicht ehrlich und glaubwürdig den Herrn unter der Gestalt des Brotes im goldenen Gefäß der Monstranz verehren und anbeten, wenn wir Ihn in der Gestalt unseres Nächsten unter unseren Brücken und in den Hauseingängen unserer Städte verachten. Unter beiden Gestalten begegnet ER uns. Nicht zuletzt deshalb haben wir ja im Jahre 2016 in Köln den Festgottesdienst zu Fronleichnam auf einem Flüchtlingsboot aus dem Mittelmeer gefeiert. Denn die Verehrung des Allerheiligsten und der tätige Einsatz für den Nächsten gehören untrennbar zusammen. Fronleichnam – Das Fest der Gegenwart Gottes Fronleichnam ist ein wunderbares Bild dafür: Wir verehren den Herrn in der hl. Eucharistie. Aber wir verstecken Ihn nicht, schirmen Ihn nicht ab oder wollen Ihn nur für uns behalten. Wir wollen, dass alle Menschen Ihm begegnen können. Wenn wir mit Ihm in unsrer Mitte durch die Straßen unserer Städte und Dörfer ziehen, tragen wir die Botschaft, dass Gott da ist, dass Er uns liebt und uns nahe sein will zu allen Menschen. 

Seit Jahrhunderten steht das Fronleichnamsfest dafür, dass der Herr unser Leben mit uns teilt und lebt. Kein Bereich unseres Lebens ist davon ausgenommen. Er geht aus den Kirchen hinaus zu den Menschen – gerade auch zu denen, die Ihn noch nicht kennen und bietet ihnen Seine Freundschaft an. In der Stadt Köln und damit in unserem Erzbistum hat das Fronleichnamsfest eine besondere Bedeutung und Tradition. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass wir im Jahre 2029 ein großes Jubiläum werden feiern können: Denn vor 750 Jahren gab es bei uns in Köln die weltweit erste Fronleichnamsprozession.

Seitdem lebt diese Tradition bis in unsere Tage hinein ungebrochen fort. 750 Jahre Fronleichnamsprozession – das will in besonderer Weise vorbereitet und gefeiert werden. 2029 soll es aus diesem Anlass nicht einfach nur ein schönes, erhebendes Fest geben. Das natürlich auch! Vor allem aber – so meine Hoffnung – sollen Vorbereitung und Fest zu einer inneren Erneuerung für uns im Erzbistum, für unsere Pfarreien, Gemeinschaften und Verbände führen. Solche Erneuerung erwächst nur aus der Begegnung mit dem Herrn. Zu einer solchen Begegnung laden uns insbesondere die Verehrung und Anbetung der hl. Eucharistie ein. Sie laden uns ein, – wenn nur irgendwie möglich – täglich auf Christus zu schauen, mit ihm zu sprechen, bei ihm zu verweilen, um uns so von Ihm bei der Gestaltung unseres persönlichen wie unseres kirchlichen Lebens mehr und mehr von Ihm und Seinem Willen prägen zu lassen. So werden wir Ihm in unserem Denken, Sprechen und Wollen mit der Zeit immer ähnlicher, so dass Er unser persönliches christliches Leben sowie Kirche und Welt durch und mit uns zu erneuern vermag. Denn unsere persönliche wie unsere kirchliche Erneuerung steht und fällt allein mit unserer Heiligkeit. Sie ist das Herzstück aller kirchlichen Erneuerung. 

Bitte nehmen Sie deshalb diesen meinen Brief als meine ganz persönliche Einladung an Sie, sich in den kommenden Jahren bis 2029 auf dieses Abenteuer einzulassen. Versuchen wir in unseren Gemeinden eucharistische Gebetsgemeinschaften ins Leben zu rufen. Beginnen wir doch wieder bewusst unsere Sitzungen und Konferenzen face to face mit dem Herrn in der eucharistischen Anbetung. Bringen wir dadurch wieder unseren Glauben zum Ausdruck, dass Er die Mitte all unseres pastoralen Tuns ist und Er die Kirche leitet. Kommen Sie in den kommenden Jahren rund um Fronleichnam zu unserem Glaubensfest "kommt & seht" nach Köln und lassen Sie sich von Christus und seiner Gegenwart im Sakrament berühren und inspirieren. Nutzen Sie alle Möglichkeiten, dem Herrn in der Anbetung zu begegnen und lassen Sie sich von Ihm stärken und ermutigen für ein Leben mit Ihm und für den Nächsten. Gehen wir gemeinsam den Weg der Vorbereitung auf 2029 zu, und lassen Sie uns diesen Weg zu einem Weg der Erneuerung machen – für uns selbst, für unsere Gemeinden, für unsere Beziehungen untereinander, für unsere Einheit mit dem Herrn. 

Ich bin mir im Glauben sicher: Er wird diesen Weg mit uns mitgehen. Wagen wir die ersten Schritte. So schenke uns allen auf diesem gemeinsamen Weg Gott Seinen reichen Segen, + der Vater und + der Sohn und + der Heilige Geist. Amen.

Köln, am Hochfest Christi Himmelfahrt 2025

Ihr Rainer Maria Kardinal Woelki

Erzbischof von Köln

Quelle:
DR

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