Hilfswerke warnen davor, Syrien und Nordirak zu vergessen

Der Katastrophe müde?

Die Lage der Flüchtlinge in Syrien und im Nordirak ist weiterhin dramatisch, wird wahrscheinlich noch schlimmer. Doch Misereor und Caritas International warnen vor einem nachlassenden Interesse der Öffentlichkeit.

Jesiden demonstrieren für Jesiden (dpa)
Jesiden demonstrieren für Jesiden / ( dpa )

Weiter dramatisch ist die Situation der Flüchtlinge im Nordirak. Allein im August floh innerhalb weniger Tage eine halbe Million Menschen vor der brutalen Gewalt der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) in das von Kurden kontrollierte Gebiet. Fast alle Katastrophen- und Entwicklungshilfewerke wollen die Hilfe ausbauen, doch die Voraussetzungen sind nicht gerade einfach: zu wenig Spenden, viel Zeitdruck, eine politisch komplizierte Situation und ein nachlassendes Medieninteresse an der humanitären Katastrophe.

Misereor-Geschäftsführer Martin Bröckelmann sagt: "Wir können uns keine Katastrophenmüdigkeit leisten." Er spricht von Menschen, die mit "nichts als ihrer Kleidung am Leib" ihre Heimat verlassen haben.

Mehr Geld hilft mehr

Und nun auf Hilfe warten. Das Aachener katholische Hilfswerk stützt sich nach seinen Worten auf ein breites Netz an weltkirchlichen Strukturen, kann auch im Irak helfen, außer in den von den Terrorgruppen besetzten Gebieten. "Mit mehr Geld könnte wir auch mehr machen", sagt Bröckelmann-Simon.

Christoph Klitsch-Ott, bei Caritas International in Freiburg für den Nahen Osten zuständig, sieht das auch so und warnt schon jetzt davor, dass spätestens in drei Monaten im Nordirak die Zeit der frostigen Temperaturen beginnt. "Es wird eine große Herausforderung, die Leute durch den Winter zu bringen. Das wird hart." Gemeint sind die Schicksale von Jesiden, Christen und muslimischen Schiiten. "Die Bilder über die katastrophalen Zustände in den Lagern lügen nicht."

Die Medien sind mit Nabelschau beschäftigt

Doch davon gibt es immer weniger. Der Fokus der Medien hat sich seit rund einer Woche verändert: weg von der Lage vor Ort, hin zur innerdeutschen Nabelschau über die Frage nach dem Ob und Wie von Waffenlieferungen. "Mit der innerdeutschen Diskussion sind in Nachrichtensendungen schnell drei bis vier Minuten gefüllt", sagt Klitsch-Ott. Bröckelmann-Simon befürchtet ebenfalls, dass die "humanitäre Perspektive ins Hintertreffen gerät". Dabei sei es eine Illusion zu glauben, Waffen könnten die Katastrophe beenden.

"Vielleicht wird der Krieg auch nur intensiver und die humanitäre Lage noch schlimmer."

Syrien gerät in Vergessenheit

Immer stärker aus dem Blick zu geraten droht die Lage in Syrien, obwohl es zwischen der Situation dort und den Auseinandersetzungen in Irak enge Zusammenhänge gibt. Schließlich fand der IS nicht zuletzt über den syrischen Konflikt zu seiner heutigen Macht. Mit einem hohen siebenstelligen Betrag ist Syrien inzwischen der Konflikt, in den die meisten Mittel aus Freiburg fließen. Dort gibt es fast fünf bis sechs Millionen Binnenflüchtlinge. Auch Bröckelmann-Simon nimmt wahr, dass "keiner mehr über Syrien redet".

Entsprechend ist laut Klitsch-Ott "das Spendenaufkommen für Syrien nicht schlecht, für den Nordirak als eine Art Bürgerkrieg aber vergleichsweise gut". Dies hängt damit zusammen, dass es prinzipiell leichter ist, nach Naturkatastrophen wie Hurricans, Tsunamis, Erdbeben oder Dürren Geld einzuwerben. Bei kriegerischen Auseinandersetzungen stellen sich Menschen laut Bröckelmann-Simon dagegen immer die Frage, "wo die Guten und wo die Schlechten sind".

Hohe Katastrophendichte

Er sieht auch die Gefahr, dass Menschen angesichts der hohen Katastrophendichte - Syrien, Gaza-Krieg, Ebola, Irak - innerlich zumachen. Beide Werke sind froh, dass sie einen Teil ihrer Mittel aus staatlichen Quellen erhalten.

Klitsch-Ott beobachtet bei beiden Brandherden "eine neue Qualität der Auseinandersetzung". Es werde schon seit zwei Jahrzehnten schwerer, dass die Neutralität von Hilfsorganisationen bei Auseinandersetzungen akzeptiert werde. Doch der IS gehe sogar gezielt gegen Helfer vor.

"Sie werden zur Beute gemacht." Entsprechend ist sowohl für die Caritas als auch für Misereor direkte Hilfe in IS-Gebieten nicht möglich. Damit müssen die Hilfswerke leben. Bröckelmann-Simon geht davon aus, dass es "möglicherweise richtig lange dauern kann, diesen Flächenbrand zu löschen".


Quelle:
KNA