Hilfswerke protestieren gegen Urteile in Indien

Reformen statt Todesstrafe

Nach dem Todesurteil gegen vier Vergewaltiger fordert das katholische Entwicklungshilfswerk Misereor ein Umdenken in Indien. Auch das Asiatische Zentrum für Menschenrechte ACHR glaubt nicht, dass das Urteil andere Täter abhalten könnte.

Gefangenentransport in Indien (dpa)
Gefangenentransport in Indien / ( dpa )

"Statt unmittelbarer Rachegelüste braucht es wirkliche Reformen, zum Beispiel im Polizei- und Justizsystem. Das wäre eine größere Genugtuung als jetzt die Todesstrafe für die vier Verurteilten", sagte die Indienreferentin bei Misereor, Anna Dirksmeier, am Freitag dem Internetportal katholisch.de in Bonn. "Als christliches Hilfswerk sind wir natürlich nicht für die Todesstrafe. Auch die meisten unserer lokalen Partner im Land teilen diese Meinung."

Dirksmeier setzt darauf, dass die weltweite öffentliche Aufmerksamkeit für die Massenvergewaltigungen zu Veränderungen in Indien führt. So könnten etwa zurückgehende Touristenzahlen Reformen bewirken. Die Misereor-Referentin verwies darauf, dass die indischen Behörden Frauen, die Anzeige erstatten wollen, oft unverrichteter Dinge nach Hause schickten. "Zu viele Fälle werden von den Gerichten liegen gelassen und enden straflos. Es gibt viele gute Gesetze, aber sie werden nicht umgesetzt."

Besonders frauenfeindlich ist die Situation laut Misereor in ländlichen Regionen. Das Hilfswerk und seine Partner vor Ort unterstützten unter anderem Gruppen, in denen Frauen zusammenkommen und über ihre Probleme mit dem Patriarchat reden können. "Im ländlichen Raum ist die Gesellschaft sehr frauenfeindlich und das Leben der Frauen ist nicht viel wert", sagte Dirksmeier.

Die vier volljährigen Vergewaltiger und Mörder einer 23 Jahre alten Studentin in Indien waren am Freitag zum Tode verurteilt worden. Richter Yogesh Khanna erklärte bei der Urteilsverkündung, es sei ein "bestialisches Verbrechen", welches das Bewusstsein der Gesellschaft erschüttert habe. Er folgte damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft.

Die Verteidiger der 19 bis 26 Jahre alten Männer hatten Haftstrafen gefordert - einer der jungen Männer brach nach dem Urteilsspruch tränenüberströmt zusammen. Der Bruder des Opfers sagte, seine Schwester wollte die Männer bei lebendigem Leib brennen sehen. "Jetzt kann ihre Seele in Frieden ruhen."

Gnadengesuch beim Präsidenten möglich

Die vier Männer hatten mit zwei weiteren Tätern die 23-jährige Inderin im Dezember in einem Bus in Neu Delhi entführt, nacheinander vergewaltigt und unter anderem mit einer Eisenstange so stark verletzt, dass sie zwei Wochen später daran starb.

Das äußerst grausame Verbrechen an der Studentin hatte ganz Indien aufgeschreckt und zu wochenlangen Protesten gegen Sexualstraftaten geführt. Auch am Freitag standen wieder Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude und forderten den Strang für die Vergewaltiger.

Am Dienstag hatte der Richter die Männer bereits des Mordes, der Gruppenvergewaltigung, Entführung und zahlreicher anderer Straftaten für schuldig befunden. Nun verkündete er das Strafmaß. Die Todesstrafe ist in der indischen Justiz nur in den "seltensten der seltenen Fälle" vorgesehen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Verteidiger wollen Berufung einlegen. Der Fall könnte durch zwei weitere Instanzen gehen, dann ist außerdem ein Gnadengesuch beim Präsidenten möglich.

Die Todesstrafe ist in Indien laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International im vergangenen Jahr 78 Mal verhängt worden. Hunderte Menschen stehen derzeit auf der Todesliste. Hingerichtet wird allerdings kaum noch, zuletzt 1995, 2004 sowie 2012 und 2013.

Einer der Täter vom 16. Dezember wurde erhängt in seiner Gefängniszelle aufgefunden. Ob es Mord oder Selbstmord war, ist noch nicht geklärt. Beteiligt war auch ein Jugendlicher, der Ende August die Höchststrafe von drei Jahren Jugendarrest erhielt.

Angeklagte überfordert

Im Gerichtssaal konnten die vier Männer aus armen Verhältnissen dem Prozess über große Strecken gar nicht folgen, weil sie kein Englisch beherrschen und keinen Übersetzer zur Seite gestellt bekamen, was in Indien nicht unüblich ist. Der Antrag der Verteidiger, die mehr als 1000 Seiten lange Anklageschrift in Hindi übertragen zu lassen, war abgewiesen worden. Auch die Familie des Opfers beschwerte sich über das Sprachproblem: "Wir verstehen überhaupt nicht, was vor sich geht."

Die vier Männer arbeiteten vor ihrer Verhaftung als Taxifahrer, Hilfsschaffner, Fitnessstudio-Mitarbeiter und Obstverkäufer. Die meisten von ihnen waren in die Hauptstadt zugezogen, sie lebten zusammen in einem Slum. Richter Khanna erklärte im Urteil, auch ein Signal an andere senden zu wollen. "In diesen Zeiten, in denen immer mehr Verbrechen gegen Frauen begangen werden, müssen die Strafen auf diese Täter sehr abschreckend wirken." Gerichte dürfte bei solchen grausamen Straftaten nicht wegsehen.

Das Asiatische Zentrum für Menschenrechte ACHR hingegen glaubt nicht, dass das Urteil andere Täter abhalten könnte. Obwohl im Jahr 2004 ein Mann aus dem Bundesstaat Westbengalen für die Vergewaltigung und den Mord an einem Mädchen gehängt wurde, sei die Anzahl der Übergriffe auf Frauen danach gestiegen.


Quelle:
KNA , dpa