Hilfsorganisation "Luftfahrt ohne Grenzen" zur Flüchtlingskatastrophe

"Wir halten den Atem an"

Die Lage der Flüchtlinge in der türkisch-syrischen Grenzregion ist dramatisch. Ein Ende des Flüchtlingsstroms ist nicht absehbar. Frank Franke, Präsident der Hilfsorganisation Luftfahrt ohne Grenzen e.V./ Wings of Help, im domradio.de-Interview.

Syrer auf der Flucht (dpa)
Syrer auf der Flucht / ( dpa )

domradio.de: Sie haben in zwei Jahren bislang 1000 Tonnen Hilfsgüter mit 44 LKW ins Krisengebiet gebracht. Was fehlt den Menschen in der Region am meisten?  

Franke: Den Menschen fehlt im Grunde genommen alles. Das allerwichtigste ist natürlich ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen. Aber auch Kleidung ist nicht vorhanden. Wenn man bedenkt, dass in Kürze der Winter beginnen wird - dort unten ist ja Wüstenregion, dort wird es ganz schnell ganz kalt werden, unter null Grad haben - dann fragt man sich schon, warum bei der Weltöffentlichkeit nicht noch viel mehr Entsetzen herrscht und nicht noch viel mehr getan wird.

domradio.de: Die türkisch-syrische Grenzregion ist natürlich ein sehr umkämpftes Gebiet und die politische Lage ist auch sehr fragil. Wie gehen Sie sicher, dass Ihre Hilfsgüter auch bei den Bedürftigen ankommen?

Franke: Luftfahrt ohne Grenzen arbeitet grundsätzlich mit vertraulichen Partnern vor Ort zusammen, das ist der türkische Halbmond oder auch der syrische oder irakische, vor allen Dingen arbeiten wir aber zusammen mit dem International Medical Corps. Das ist eine große, weltweite Organisation, die uns dabei hilft, die Güter dahin zu bringen, wo sie dringend gebraucht werden.

domradio.de: Bei Ihnen zu Gast ist im Moment auch der Bürgermeister der nordirakischen Stadt Erbil. Was hat er Ihnen von der Situation in der Stadt und um die Stadt bisher erzählt?

Franke: Wir sind erst vor ca. 14 tagen aus dem Nordirak zurückgekommen, haben auch dort neun LKW hingeschickt. Der Bürgermeister ist natürlich besorgt, wie alle, die aus dieser Gegend dort sind. Wie das alles im Einzelnen weitergehen wird, das weiß auch der Bürgermeister von Erbil nicht. Tatsache ist, dass es in der Stadt inzwischen mehr Flüchtlinge als Einwohner gibt. Das trifft auch auf Dohuk zu, das trifft auch auf den Grenzübergang Zakho zu und das trifft natürlich die ganzen Flüchtlinge aus Syrien, für die wir ja im Moment unterwegs sind. Wenn man sich überlegt, dass rund zehn Millionen Menschen auf der Flucht sind - das ist jeder zweite Syrer - und dass davon 85 Prozent Frauen und Kinder sind, jeder zweite Flüchtling ist unter 18 Jahren, da hält man nur noch den Atem an und fragt sich: Wie soll das gehen, wie soll das im Winter gehen, wenn es kalt wird? Die Welternährungsorganisation hat ja gerade verkündet, dass sie nicht mehr genug Ressourcen hat, um die Menschen noch anständig mit Essen zu versorgen. Eine Situation, wie es sie seit dem Zweiten Weltkrieg sicher nicht gegeben hat.

domradio.de: Sie sprechen es an: Von den vielen Millionen Flüchtlingen kommen nur etwa 60.000 in die EU. Diesen Umstand kritisiert das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen. Es fordert die EU zum dringenden Handeln in der humanitären Krise in Syrien auf. Was kann denn die EU, was kann Deutschland mehr tun, um den Menschen zu helfen?

Franke: Ich glaube, dass die Europäische Union einfach sehr viel mehr Einsatz zeigen muss für diese Menschen. Da ist Solidarität gefragt, da ist auch Mitgefühl gefragt und humanitäres Handeln. Es kann nicht sein, dass aus diesem reichen Europa so wenig Reaktion kommt und dass einzelne Länder mit dieser Situation alleine gelassen werden. Ich denke hier insbesondere an die Türkei, auch an Jordanien, an den Libanon, die nun mit diesen Flüchtlingen versuchen, das Beste zu machen. Die Türkei hat inzwischen 1,6 Millionen Flüchtlinge aufgenommen, von denen immerhin 220.000 in Lagern wohnen. In Istanbul leben 300.000 Flüchtlinge, die vor allen Dingen dadurch auffallen, dass die Kinder auf der Straße sind und betteln - das geht alles nicht mehr. Wir schreiben das Jahr 2014 und nicht das Mittelalter.

domradio.de: Heute gehen Ihre Hilfsgüter raus. Sie haben schon gesagt, der Winter beginnt bald und dann wird es nochmal dramatischer. Was planen Sie als Hilfswerk für die Zukunft?

Franke: Was heute dabei ist, ist im Wesentlichen warme Kleidung, das ist natürlich auch Essen und Zelte, also Dinge des täglichen Bedarfs. Wir sind im Moment dabei zu überlegen, wenn wir das finanziell stemmen können, noch vor Weihnachten ein Flugzeug nach Erbil in den Nordirak zu schicken. Das ist ein bisschen schwierig, weil es so weit ist und die Anfahrt schwierig ist. Wenn uns das gelingt, haben wir schon ganz schön viel erreicht. Wir haben bisher über 1000 Tonnen dahin geschickt, mit 44 LKW, wir haben aber auch schon vier Flugzeuge in die Region geschickt. Wir würden es gerne noch einmal vor Weihnachten machen und ein Zeichen setzen. Voraussetzung ist natürlich, dass wir die Gelder dafür haben. Im Moment sind wir dabei, sie zu akquirieren. Da kann jeder helfen.

Das Gespräch führte Mathias Peter.


Quelle:
DR

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