Herbstvollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken

EU-Verfassungsprojekt mit Sozialpolitik verbinden

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) hat an die Bundesregierung appelliert, die Bemühungen um die Neubelebung des EU-Verfassungsprojektes mit einer Initiative zugunsten der Ausgestaltung einer gemeinsamen sozialen Dimension der Union zu verbinden. Die Delegierten der ZdK-Herbstvollversammlung waren sich am Samstag in Bonn einig, dass grundsätzlich die Frage geklärt werden müsse, welchen Stellenwert Sozialpolitik in der EU haben solle. Die EU brauche "eine kräftige Bestätigung ihrer sozialen Dimension", um das Vertrauen in Sinn und Leistungsfähigkeit zurückzugewinnen.

 (DR)

Das ZdK sieht es bei aller Unterschiedlichkeit der Sozialsysteme innerhalb der EU-Länder als den Kern des europäischen Sozialmodells an, wirtschaftliche Dynamik und soziale Gerechtigkeit in eine Balance zu bringen. Das freie Spiel der Kräfte des Marktes müsse in ein Regelwerk eingebunden werden, das nicht nur Fehlentwicklungen und Missbräuche verhindern, sondern auch "auf die Versorgung der sozialen Grundbedürfnisse sowie auf ein ausreichendes Maß an sozialer Sicherheit abgestellt" sein solle. Ein solches Sozialmodell sei heute in Gefahr, "als normatives Leitbild von Vorstellungen verdrängt zu werden, die sich unter Vernachlässigung der sozialen Verantwortung ausschließlich an der wirtschaftlichen Effizienz orientieren und damit den gesellschaftlichen Konsens zerstören, auf dem das europäische Gemeinwesen beruht".

Die EU-Staaten müssen nach Vorstellungen des ZdK das Gemeinsame ihrer Muster der Sozialstaatlichkeit erkennen und sich darüber identifizieren. Es gehöre zu den zentralen ethischen Lernerfahrungen Europas im 20. Jahrhundert, dass der "Zivilpakt" bürgerlicher und wirtschaftlicher Freiheiten ohne einen "Sozialpakt" auf tönernen Füßen stehe.

Ökonomisierung der Gesellschaft
Am Freitag hatte der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Hans Joachim Meyer, Massenentlassungen in der deutschen Wirtschaft kritisiert. Meyer verurteilte das Verhalten großer Unternehmen, die zeitgleich tausende Arbeitnehmer entließen und die Managergehälter um zweistellige Prozentzahlen erhöhten, scharf verurteilt, teilte das Zentralkomitee am Freitag auf der Vollversammlung in Bonn mit.

Kritik übte Meyer an einer zunehmenden Ökonomisierung der
Gesellschaft: "Wir bejahen die soziale Marktwirtschaft, aber wir wollen keine Marktgesellschaft." Die zunehmende Tendenz großer Unternehmen, zeitgleich Tausende Mitarbeiter zu entlassen und die Managergehälter um zweistellige Prozentzahlen zu erhöhen, habe das Ansehen der Wirtschaftselite schwer beschädigt.

Ein solches Handeln beschädige das Ansehen der Wirtschaftselite schwer und untergrabe das Vertrauen in die Führungskompetenz, so Meyer. Die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft beruhe ganz wesentlich auf der Erwartung der Arbeitnehmer, dass der Zusammenhang zwischen ihrer Leistung und dem Erfolg des Unternehmens anerkannt werde.

Ladenöffnungszeiten: Katholiken gegen ungezügelten Wettbewerb
Mit Blick auf die Ladenöffnungszeiten kritisiert Meyer einen "ungezügelten Wettbewerb zwischen den Ländern". Er sieht es dringend geboten, die Landesgesetzgeber an Grenzen des Wettbewerbs zu erinnern. Sonn- und Feiertage ständen unter besonderem Schutz der Verfassung. Nach der Föderalismusreform schöpften zahlreiche Länder ihre neuen Möglichkeiten aus, die Ladenöffnungszeiten zu liberalisieren. Dabei wurden auch teils großzügige Ausnahmen für den Sonntagsverkauf beschlossen.

Meyer nahm die große Koalition gegen ein "Übermaß an Kritik" in Schutz. Es gehöre zur Bilanz des ersten Jahres, dass zentrale Reformvorhaben wie das Elterngeld auf den Weg gebracht worden seien. Gefragt seien noch politische Antworten im Gesundheitswesen. Hören Sie einen Beitrag von Radio Vatikan mit einem Ausschnitt der Rede Meyers.

Papst-Besuch gewürdigt
Als herausragendes kirchliches Ereignis der jüngsten Vergangenheit wertete Meyer den Besuch von Papst Benedikt XVI. in Bayern. Das Kirchenoberhaupt habe Themen behandelt, deren Bedeutung weit über seine bayerische Heimat hinausgingen. Der ZdK-Präsident begrüßte Bemühungen des Papstes um den christlich-muslimischen Dialog. Den vermeintlichen Vorwurf einer besonderen Gewaltnähe des Islam im Vortrag von Regensburg meinten einige durch Gewalt bis zum Mord hin widerlegen zu sollen, kritisierte Meyer. Als "bemerkenswerten und weiterführenden Gesprächsbeitrag von muslimischer Seite" würdigte er das Schreiben von 38 führenden Persönlichkeiten des Islam an den Papst.

ZdK: Patientenverfügungen nicht absolut setzen
Das ZdK wendet sich gegen die Absolutsetzung von Patientenverfügungen. In einer am Freitag von der verabschiedeten Erklärung warnt das ZdK vor dem "gefährlichen Fehlschluss, dass eine früher geäußerte Willensbekundung in jedem Fall dem aktuellen Willen des Betroffenen entspreche".

In dem Papier mit dem Titel "Leben und Sterben in Würde" heißt es, auch in Krankheit und Sterben sei die Richtschnur allen Handelns die unverfügbare Würde des Betroffenen. Das unveräußerliche Recht auf Selbstbestimmung sei kein Recht auf Durchsetzung des eigenen Willens um jeden Preis.
Patientenverfügungen seien kein ausreichender Ersatz für einen aktuell nicht mehr feststellbaren Willen und dürften "niemals zu einem Automatismus führen". Eine Patientenverfügung könne deshalb die sorgfältige Abwägung etwa durch eine vom Patienten bevollmächtigte Vertrauensperson oder den gerichtlich bestellten Betreuer nicht ersetzen.

Das Betreuungsrecht bietet nach Auffassung der Vollversammlung einen ausreichenden Rahmen, um eine Patientenverfügung in die Entscheidungsfindung über einen Behandlungsabbruch einzubeziehen.

Der Entscheidungsspielraum des Betreuers müsse auf solche Fälle beschränkt bleiben, in denen das Grundleiden des Patienten einen irreversiblen Verlauf angenommen habe und der Tod unmittelbar bevorstehe. Dies sei bei Demenzkranken und Wachkoma-Patienten in der Regel nicht der Fall. Deshalb dürfen bei diesen Kranken lebenserhaltende Maßnahmen auch beim Vorliegen einer entsprechenden Patientenverfügung nicht abgebrochen werden.

Die ZdK-Vollversammlung lehnte zugleich alle Versuche ab, unter bestimmten Umständen eine ärztliche Assistenz beim Suizid zu erlauben. Es sei ein gravierender Unterschied, "ob man das Sterben eines Menschen zulässt oder ob man es veranlasst".

Zu diesem Thema hat domradio-Redakteur Johannes Schröer Martina Kern vom Zentrum für Palliativmedizin Bonn auf der Vollversammlung interviewt.

Kritik an Bischof Gerhard Ludwig Müller
Mit großer Mehrheit stimmten die Delegierten dafür, dass die Vertreter des Regensburger Diözesankomitees ohne Einschränkung ZdK-Mitglieder sind. Hintergrund der Abstimmung ist ein Konflikt um die Neuordnung der Räte im Bistum Regensburg. Der dortige Bischof Gerhard Ludwig Müller hatte 2005 den von Laien gewählten Diözesanrat und die Dekanatsräte aufgelöst und dafür einen Diözesanpastoralrat sowie ein Diözesankomitee mit Vertretern aus Verbänden und geistlichen Gemeinschaften ins Leben gerufen.

Einige ZdK-Mitglieder wollten die Aufnahme mit der Begründung verhindern, der Diözesanrat sei nicht rechtlich wirksam aufgelöst worden. Keine Mehrheit fand zuvor ein Antrag, dass die Regensburger Repräsentanten ihre ZdK-Mitgliedschaft zunächst bis zu einer endgültigen kirchenrechtlichen Klärung aus Rom ruhen lassen sollten.

Zu diesem Thema hat domradio-Redakteur Johannes Schröer, den Journalisten Daniel Deckers von der FAZ auf der Vollversammlung interviewt.

Weiter votierten die ZdK-Vertreter einstimmig für den 12. bis 16. Mai 2010 als Datum für den zweiten Ökumenischen Kirchentag in München. Offiziell soll dieses Datum gemeinsam mit dem Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT) veröffentlicht werden.