Heinrich Zille hielt das Leben in Berliner Hinterhöfen fest - Ausstellung zum 150. Geburtstag

Der "Pinselheinrich" und sein "Milljöh"

Kaum ein anderer hat sich in seinem künstlerischen Werk so dem alltäglichen Leben der Berliner gewidmet wie Heinrich Zille. Sein Geburtstag jährt sich am 10. Januar nun zum 150. Mal. Die Aufmerksamkeit von Zille gehörte dem "Milljöh": den Menschen aus der sozialen Unterschicht und den Arbeiterfamilien in den engen Mietskasernen.

Autor/in:
Axel Schock
 (DR)

Mit zum Teil bissig schwarzem Humor skizzierte er die Schattenseiten des mondänen Lebens in der Reichshauptstadt und das soziale Elend jenseits der Prachtstraßen.
Als der "Pinselheinrich", wie ihn die Berliner liebevoll nannten, 1929 nach mehreren Schlaganfällen starb, kam seine Beisetzung auf dem Waldfriedhof in Stahnsdorf bei Berlin unter großer Anteilnahme der Bevölkerung einem Staatsbegräbnis gleich. Dabei war Heinrich Zille nicht einmal ein "richtiger" Berliner, sondern aus Sachsen zugereist.

Geboren in Radeburg unweit von Dresden wuchs er in äußerst ärmlichen Verhältnissen auf. Der Vater saß immer wieder im Schuldturm, und 1867 flüchtete die heillos verschuldete Familie vor ihren Gläubigern nach Berlin. Nach einer Ausbildung an der Königlichen Kunstschule, für die Heinrich Zille selbst aufkommen musste, verdiente er seinen Lebensunterhalt zunächst als Modezeichner und Gestalter von Werbemotiven, später als Lithograf und Tiefdrucker in der Photographischen Gesellschaft.

Ein Stück Berliner Kultur-Identität
Seine genau beobachteten Momentaufnahmen aus den Berliner Hinterhöfen und Arbeitervierteln fanden Zuspruch insbesondere in den liberalen Künstlerkreisen, etwa bei Käthe Kollwitz, Hans Baluschek, Ernst Barlach und Erich Mühsam. Max Liebermann, der Zilles Arbeit sehr schätzte, verschaffte ihm Zugang zu der Künstlergruppe Berliner Sezession und dadurch entscheidende berufliche Kontakte. Zille lieferte nun regelmäßig Illustrationen für auflagenstarke Zeitschriften wie "Simplicissimus" und "Jugend" und erlangte so schnell große Bekanntheit.
"Zille gehört zur Berliner kulturellen Identität - wie Hogarth zu London, Toulouse-Lautrec zu Paris oder Karl Valentin zu München", sagt der Berliner Kunsthistoriker Matthias Flügge, der anlässlich des Zille-Jubiläums die zweiteilige Ausstellung "Heinrich Zille. Kinder der Straße" in der Berliner Akademie der Künste am Pariser Platz und im Ephraim-Palais vorbereitet hat.

Falsch verstandene Folklore und triefender Kitsch
Der Titel der Ausstellung "Heinrich Zille. Kinder der Straße" ist seiner ersten Buchveröffentlichung im Jahr 1908 entliehen. Erstmals werden nun die verschiedenen künstlerischen Medien, in denen Zille tätig war - Zeichnungen, Druckgrafiken, Fotografien und Arbeiten für die illustrierte Presse -, in einer Schau zusammenführt und gegenübergestellt. "Zille ist ein wenig in Vergessenheit geraten", sagt Flügge. Zudem stehe Zille im Bewusstsein vieler Menschen für eine falsch verstandene Berlin-Folklore und triefenden Berlin-Kitsch. "Es ist an der Zeit, den sozialen Kern und die Empathie des Künstlers und seiner Arbeit für die Verlierer der Industriegesellschaft wieder freizulegen", erklärt der Ausstellungsmacher.


Die Berliner Ausstellung "Heinrich Zille. Kinder der Straße" wird an Zilles 150. Geburtstag am 10. Januar eröffnet und ist bis zum 24. März zu sehen. Während am Pariser Platz die Fotografien und bis 1914 entstandene Blätter gezeigt werden, sind im Ephraim-Palais ausgewählte Beispiele des Werks der späteren Jahre ausgestellt. Im Sommer wandert die Schau in die Städtische Galerie Villingen-Schwenningen.