Heinrich Böll erhielt vor 50 Jahren den Literaturnobelpreis

Durch einen Wald scharf geladener Zeigefinger

Mit "Shitstorms" und "Hatespeech" kannte Heinrich Böll sich aus; obwohl es diese Begriffe vor 50 Jahren noch gar nicht gab. "Modern" und "aktuell" ist der Nobelpreisträger aber aus anderen Gründen.

Autor/in:
Sabine Kleyboldt
Heinrich Böll / © Horst Ossinger (dpa)
Heinrich Böll / © Horst Ossinger ( dpa )

Kritik gehört für einen Autor zum Alltag. Doch Heinrich Böll erlebte regelrechte Kampagnen, die ihm letztlich an Leben und Gesundheit gingen. Er sei seit Jahrzehnten als Schriftsteller und Staatsbürger auf dem Marsch "durch einen dichten Wald von Zeigefingern", sagte Böll am 10. Dezember 1972 in seiner Rede als frisch gekürter Nobelpreisträger für Literatur. "Gar mancher Zeigefinger war scharf geladen." Sein Leben lang hat Böll mutig Stellung bezogen zur Tagespolitik - und sah sich dennoch in erster Line als Literat.

Ausgezeichnet wurde Heinrich Böll vor 50 Jahren für seine Schriften, "die durch die Verbindung von weitem Blick auf seine Zeit und feinfühliger Charakterisierung zu einer Erneuerung der deutschen Literatur beigetragen haben", so die Nobelpreis-Begründung. Böll war damals knapp 55, Familienvater und als ehemaliger Kriegsteilnehmer ein hochpolitisierter Autor.

"Kerkerzeit in Uniform"

Geboren wurde Heinrich Böll am 21. Dezember 1917 in einer "gut katholischen" Kölner Großfamilie, für die die Ablehnung der heraufziehenden nationalsozialistischen Gesinnung selbstverständlich war. 1939 begann seine grauenhafte "Kerkerzeit" in Uniform.

"Jeder Krieg ist ein Verbrechen; für immer bin ich absoluter Antimilitarist geworden", schrieb er 1944. 1942 hatte er während eines Fronturlaubs die Lehrerin und Übersetzerin Annemarie Cech (1910-2004) geheiratet. Die beiden bekamen vier Söhne, von denen der erste, Christoph, noch im Geburtsjahr 1945 infolge von Mangelernährung starb.

Studium und Buchhändlerlehre brach Böll ab und verdingte sich mit Gelegenheitsarbeiten. 1948 ließ er sich als freier Autor nieder. Hervorgetreten ist Böll mit einer für viele unbequemen "Trümmer- und Heimkehrerliteratur". Später schrieb er gegen das allzu rasche Vergessen der Naziverbrechen und für einen differenzierten Umgang mit dem RAF-Terrorismus.

"Schriften voller Überraschungen"

Romane und Erzählungen wie "Und sagte kein einziges Wort", "Haus ohne Hüter", "Ansichten eines Clowns", "Irisches Tagebuch", die Satiren "Nicht nur zur Weihnachtszeit" und "Doktor Murkes gesammeltes Schweigen" sowie "Gruppenbild mit Dame" festigten seinen Ruf.

"Seine überreichen Schriften sind voller Überraschungen", hieß es 1972 in der Nobelpreis-Begründung. Und, etwas doppeldeutig: "Wenige zeitgenössische Autoren dürften allseitiger und methodischer unter die Lupe genommen worden sein als Heinrich Böll."

Umgang mit der RAF

Die Ehrung erfolgte in einer Zeit großer Widerstände gegen den "Moralisten" Böll. Den heftigsten Streit gab es, als er 1972 im "Spiegel" den Umgang des Staates und der "Bild-Zeitung" mit der RAF kritisierte. Die suggerierte Nähe zwischen Böll und Ulrike Meinhof habe es nicht gegeben, so Rene Böll (74), dritter Sohn des Autors; sein Vater habe die RAF-Terroristin nie getroffen.

In den folgenden Zwist und eine regelrechte Kampagne der Boulevardpresse wurde auch Bölls Familie hineingezogen. Seine literarische Antwort war 1974 die Erzählung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum". Im gleichen Jahr nahmen die Bölls den aus der Sowjetunion ausgewiesenen Autor Alexander Solschenizyn auf und sorgten mit für die Ausreise des Regimekritikers Lew Kopelew.

Friedensbewegung und die Grünen

Von Institutionen oder Parteien wollte sich Böll nie vereinnahmen lassen, auch wenn er für Willy Brandts Ostpolitik große Sympathien hegte. Ab Ende der 70er unterstützte er die Friedensbewegung und äußerte Zustimmung für Vorläufergruppierungen der Grünen. In Erinnerung sind seine Auftritte bei der Friedensdemo 1981 im Bonner Hofgarten oder bei der Anti-Aufrüstungsblockade in Mutlangen.

Die Ablehnung jeder Art von Macht prägte auch Bölls Verhältnis zur Kirche, die in seinem Werk immer wieder vorkam. Nicht den Glauben oder die Botschaft der Bibel lehnte er ab, sondern die Amtskirche, aus der er 1976 austrat. Nach seinem überraschenden Tod am 16. Juli 1985 wurde er auf eigenen Wunsch katholisch beerdigt.

Seine Themen wie soziale Gerechtigkeit, Machtmissbrauch oder Umgang mit Gewalt und Terror sind nach wie vor aktuell. Der Nobelpreis, so sagte Heinrich Böll in seiner Dankrede, gelte nicht nur ihm, sondern "auch der Sprache, in der ich mich ausdrücke, und dem Land, dessen Bürger ich bin".

Schriftsteller Heinrich Böll

Heinrich Böll wurde am 21. Dezember 1917 in Köln geboren und starb am 16. Juli 1985 in Kreuzau-Langenbroich (Eifel). Als einer der bedeutendsten Schriftsteller der Nachkriegszeit erhielt er 1972 den Literaturnobelpreis. Immer wieder bezog er Stellung zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen. Den größten Streit um seine Person gab es, als Böll 1972 im "Spiegel" zum Umgang des Staates mit der Baader-Meinhof-Gruppe Stellung bezog.

Unvergessen: Heinrich Böll (dpa)
Unvergessen: Heinrich Böll / ( dpa )
Quelle:
KNA